Everybody Looking
AtlanticAus der Sick Day IssueAm 19. Mai 2005, so erzählt die Legende, drangen fünf Männer in das Haus einer Stripperin, mit der Gucci Mane abhing, ein, um eine offene Rechnung zu begleichen. Die fünf waren bewaffnet, Gucci Mane nicht. Gucci entrang einem von ihnen die Waffe, vier der Männer entkamen. Die Leiche des Fünften, Pookie Loc, wurde später in der Nähe einer Schule im Wald gefunden. Das war 2005.
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
CHRISTIAN KRACHT
Die Toten
Kiepenheuer & WitschDie Toten ist Christian Krachts fünfter Roman. Ein neues Buch und einmal mehr der kollektive Versuch des Feuilletons, die Person hinter diesem Buch zu ergründen.Warum verspüren so viele beim Lesen von Kracht das Bedürfnis, zu wissen, wer der Typ ist, der sich das alles ausgedacht hat? Es könnte wohl daran liegen, dass seine Geschichten unheimlich reich an Worten und Ideen sind, oder auch daran, dass Kracht seine Texte wie ein Magier Schicht für Schicht aus Be- und Andeutung hervorzaubert. Nichts handfestes, nur der Schein dessen. Das liegt nicht unwesentlich an der Sprache des Erzählers—auch in Die Toten bedient sich der Erzähler des reichen Potenzials der deutschen Sprache in all ihrer Präzision und Pointiertheit und lässt aber trotzdem oft ungreifbar, was den Zusammenhang seiner Erzählung angeht. Dieser Widerspruch, oder vielleicht besser gesagt, diese verlaufende Dualität, steht im Zentrum dieses Buchs.Die Toten, erzählt die Geschichte eines im Leben verlorenen Schweizer Regisseurs namens Emil Nägeli, der entscheidet, nach einer langen, erfolglosen Inspirationssuche, seinen neuen Film in Japan zu drehen (wobei selbst diese "Entscheidung" wohl von Anderen für ihn getroffen wurde). Seine Geschichte verläuft parallel zu der eines japanischen Kulturbeamten, der die UFA und ihren neuen Chef Alfred Hugenberg um Hilfe bittet. Masahiko Amakasu will erstens mit deutscher Unterstützung das japanische Kino vor der Unterwanderung durch amerikanische Filme retten, und zweitens, dem japanischen Volk durch Bewegtbild und die große Leinwand, die Treue zur Nation und zum Kaiser näherbringen. Für dieses Vorhaben braucht er einen Regisseur: enter Nägeli.
Anzeige
Anzeige
FRANK OCEAN
Blonde
Boys Don't CryFrank Oceans neues, langerwartetes Album präsentiert in Perfektion eine ganze Gattung: Ich nenne sie Ningel-RnB. Ningel-RnB ist Musik für Leute, die keine Ahnung von guter Musik haben, aber deren Lebensinhalt die Distinktion ist, weshalb sie sich über intellektuelle Verrenkungen ihre Supermarktmusik cool schreiben müssen. Ningel-RnB ist die musikalische Entsprechung von Fahrradtouren und Familienessen. Man findet sie sehr lange Zeit zurecht ätzend, irgendwann beginnt man, sie doch irgendwie ganz gut zu finden, schon ist man nur einen Schritt entfernt von Raclette-Abenden, und dann ist es wirklich vorbei, ab da erfährt man nur noch sporadisch, wer jetzt wieder gestorben ist. Trotzdem lieben alle Ningel-RnB. Sie lieben folglich auch Blonde oder Blond, obwohl sich Frank Ocean in all den Jahren, die er dafür gebraucht hat, noch nicht mal entscheiden konnte, wie man den Scheiß Albumtitel denn nun schreibt. Nun, wie Radiohead sagen würden: "Nohoohooohooo Surprises". Cool ist aber definitiv "Good Guy", mit Kendrick Lamar, denn das ist wohl der erste Track in Franks Diskografie überhaupt, der ein offenes Liebeslied an einen Mann ist. Egal, das Essen wird kalt. Legen wir die Hände auf den Tisch und warten auf den Tod. Willst du noch einen Kloß, Schatz?
LUSTMORD
Dark Matter
Juno Records15 Jahre hat Brian Williams alias Lustmord an diesem Album gearbeitet, weil er Audioaufnahmen aus dem Weltall verwendet hat. Brian Williams ist einer der bekanntesten Industrial- und Dark-Ambient-Musiker der Welt. Neben seinem Projekt Lustmord ist er vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Nurse With Wound, Current 93 und Chris And Cosey bekannt. Außerdem ist er Chef des Side Effekts Labels. Das Schräge ist, dass Dark Matter, obwohl es aus Materialien der NASA kreiiert wurde, genau klingt wie alle anderen irdischen Ambient-Alben. Was ist, wenn wir nach Jahrtausenden der Suche irgendwo da draußen endlich einen bewohnten Planeten finden, und darauf sitzen die gleichen Deppen wie hier, sammeln alte Syntheziser, versauen ihre Umwelt und kauen an ihren Fingernägeln, wenn keiner hinschaut? Eine grauenhafte Vorstellung. Der zweite der drei Tracks des Albums (Ambient halt) wird dann gegen Mitte unglaublich geil, als er zu Industrial übergeht, vielleicht ist irgendwas Cooles durchs All geflogen. Das Beste ist aber, dass Lustmord in Track drei ein Sample verwendet hat, das klingt (vollkommen wertungsfrei) wie ein lautes, lang gezogenes Schnarchen. Entweder, er ist während der Aufnahmen eingeschlafen (Ambient halt), oder das Universum schnarcht. Danke, Lustmord, wir sind der reinen Erkenntnis wieder ein Stück näher.
Anzeige
ATLANTA
FXDonald Glovers erfrischende Serie Atlanta folgt dem Geschick des Rappers Paper Boi, während er beginnt, sich mit einem lokalen Hit einen Namen zu machen. Der Track, das ist der Serie anzurechnen, ist dumm, eingängig und vertraut genug, um glaubwürdig zu sein. Glover spielt seinen Cousin und künftigen Manager Earn. Der Ton der Show ändert sich innerhalb einer Szene oder eines Handlungsstranges gelegentlich abrupt: Eine Episode schaltet zwischen Earn und Van, seiner Freundin, auf einem schrägen Date und einem Drogendeal zwischen Paper Boi und den Mitgliedern des wirklichen Atlanta-Raptrios Migos um, wobei Letzterer von einem grausamen Mord unterbrochen wird. Eine andere Folge, in der Earl einen langen Tag wartet, ins Gefängnis eingeliefert zu werden, ist auf Lacher aus—bis zu einem schrillen Moment von Polizeigewalt. Die beste Performance liefert Lakeith Lee Stanfield als Darius, Paper Bois rechte Hand mit einem herrlich unvorhersehbaren trockenen Humor. Es scheint den Machern mit dem Vorantreiben der Story nicht zu eilen, aber ich würde den Jungs durchaus eine ganze Weile dabei zusehen, wie sie durch die Stadt laufen, bis Paper Boi endlich groß rauskommt. -ANDREW MARTIN
EMMA CLINE
The Girls
HanserAchtung, in dieser Rezension wird das Ende des Buches verraten. Aber wer damals in Geschichte (oder beim Serienmörder-Googeln) aufgepasst hat, weiß das Ende ohnehin, ihr könnt sie also trotzdem lesen. Beginnen wir mit den Trivia: Emma Cline ist eine junge amerikanische Autorin, die für ihren ersten Roman mehrere große Eimer Vorschusslorbeeren gekriegt hat—in Form von 2 Millionen Dollar. (Was gleich die erste Frage aufwirft: Warum kriege ich keinen Vorschuss von 2 Millionen Dollar für diese Rezension?) Ihr Roman erzählt die Geschichte der Mädchen um Charles Manson, der im Buch nicht Charles Manson heißt, sondern Russell. Evie Boyd, Heldin des Buches, gerät in die Kreise einer hippiesken Sekte und bringt am Ende nach viel Hin und Her doch niemandem um. Dafür die anderen. Tja. Was Emma Cline gut kann: die nervenzerrüttete Phase der Pubertät in einer Präzision wieder zu erwecken, die einem das nackte Grauen einjagt, weil man schon vergessen hatte, wie grässlich das eigentlich war. Worin sie nicht so gut ist: Den Übergang vom abgefuckten Hippietum in Russells Kommune zum tatsächlichen Morden glaubhaft darzustellen. Und ja, Emma Cline findet sehr schöne Bilder, aber manchmal liest es sich wie eine Schönschreib-Übung mit ein paar Momenten der Weisheit.