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Aus dem Leben eines Ministranten

Als Messdiener hatte ich nicht viel zu lachen. Von Weihrauch und Fleischweihen.
Buben und Mädchen ordnungsgemäß getrennt.

In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, war es das Normalste der Welt, irgendwann Ministrant zu werden. Es war nicht mal so, als hätte man groß eine Wahl—man wurde einfach einer. Schon mein Papa ist Ministrant gewesen, mein Bruder war einer, und irgendwann, ich muss ungefähr 10 gewesen sein, war ich auch einer. Einfach so.

Ministrant, oder Messdiener zu sein, war nichts, was man mit Freude gemacht hat, aber man hat es gemacht. Im Grunde genommen muss man die meiste Zeit ruhig links und rechts neben dem Altartisch stehen und versuchen, keinen Schabernack zu treiben. Klingt einfach, ist aber für Kinder nicht gerade die einfachste Aufgabe. Vor allem dann nicht, wenn man eine gute Stunde in die Augen seiner gleichaltrigen Kollegen schauen musste und Mitzis Todesblick ausgeliefert war—aber dazu später mehr. Hauptsächlich musste man aber beim wöchentlichen Gottesdienst vor Ort sein.

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Es war Sonntagmorgen und für gewöhnlich hatte ich verschlafen, weil es Sonntagmorgen war. Für Frühstück blieb da selten Zeit—ich war also hungrig und in diesem Augenblick glücklich über alles, was ich auftreiben konnte. So ein trockenes Scheiberl Sauerteig kam mir da gerade recht, auch wenn ich dafür anstehen und ein Kreuzzeichen geben musste. Hostien sind eigentlich das beste Knabbergebäck der Welt und wenn die Kirche das mal begreifen und vielleicht unterschiedliche Geschmacksrichtungen anbieten würde, dann würden womöglich auch wieder mehr Leute hinkommen, aber ich sag ja nur.

Als Ministrant gab es Aufgaben, die verhasst waren, und solche, um die man sich förmlich reißen musste. Eine davon war zum Beispiel das Auslöschen der Kerzen nach dem Ende der Messe. Dieser meterlange Stab war einfach das mächtigste Kerzenlösch-Teil aller Zeiten und wenn man ihn benutzen durfte, fühlte man sich wie ein Feuerbändiger, der sich seinen Weg direkt aus der Hölle in das Haus Gottes gebahnt hatte. Ansonsten waren wir ja nur die meiste Zeit damit beschäftigt, irgendwelche Mantras über die Mutter Gottes aus dem Stegreif runterzubeten.

Andächtige Szene während meiner Erstkommunion.

An einem Punkt in der Messe gab man „einander ein Zeichen des Friedens", indem man seinen Nachbarn die Hand schütteln sollte. Blöd wie ich bin, habe ich das eine gefühlte Ewigkeit lang nicht ganz verstanden und entgegnete den Leuten um mich herum anstatt des verlangten „Der Friede sei mit dir" immer ein leises „Seawas".

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Zu den Aufgaben eines Ministranten zählte jedoch nicht nur der sonntägliche Messdienst, man verpflichtete sich auch automatisch und unausgesprochen dazu, einmal im Jahr Blackfacing zu machen. Quasi. Wie falsch diese Tradition beim Sternsingen eigentlich ist, wäre mir damals nie in den Sinn gekommen—einer der Heiligen Drei Könige musste den Part des Melchior übernehmen, der laut Bibel nun mal aus Afrika kam (und die Bibel meint nicht niederländisch-deutsch aussehende Südafrikaner). In meinem Fall musste immer derjenige, der als letztes am vereinbarten Treffpunkt erschien, der Schwarze sein—ja, wirklich. Und der letzte war meistens ich. Heute wird das in meinem Heimatort nicht mehr gemacht, wofür ich sehr dankbar bin.

Der mit Abstand schlimmste Aspekt in meiner Laufbahn als Ministrant war jedoch—mehr oder weniger—menschlicher Natur: Die Messnerin. Das personifizierte Böse. Satan in Gestalt einer kinderfressenden Dauerwelle. Eine dicke, alte, nach säuerlicher Pisse riechende Hexe, mit dem reidigsten Husten, den diese Welt je gehört hat: Mitzi.

Mitzi hatte die Angewohnheit, mir die Ministranten-Kordel qualvoll eng um den Bauch zu schnüren und mir währenddessen mitten ins Gesicht zu krächzen. Als Messnerin war es ihre Aufgabe, für die Sauberkeit der muffigen Gewänder zu sorgen, die Kirchenglocken zu läuten, die Liedtafel vor der Messe zu aktualisieren und ihrer Ansicht nach wohl auch während des Gottesdienstes unverständliches Gebrabbel aus der Sakristei herauszukeuchen. Diese röchelnden Geräusche galten meist uns Ministranten, weil wir immer irgendwie nicht gerade genug dastanden oder unsere Blicke nicht andächtig genug waren.

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Außerdem war Mitzi die ortsansässige Organistin und kannte meine Oma, also musste ich immer brav freundlich zu ihr sein und die Luft anhalten, wenn sie mir zu nahe kam. Damals hat man sich erzählt, Mitzi wäre früher mal in den Pfarrer verliebt gewesen, der das jedoch nicht erwidern konnte, selbst wenn er gewollt hätte, weil Zölibat. Wahrscheinlich war sie deshalb so verbittert. Die arme Haut wurde einfach vom Leben enttäuscht und ließ ihren Frust an uns aus.

Der Bursche neben mir hat einen rassistischen Reim in meinem Stammbuch hinterlassen.

Der Pfarrer, auf den Mitzi so einen festen Stand hatte, war hingegen der beste Typ. Nicht zuletzt, weil er Kette rauchte, und man ihm deshalb an der Länge seiner Predigten immer recht gut anmerken konnte, dass er die Messe am liebsten schnell hinter sich bringen wollte, um anschließend die nächste Tschick puffen zu können.

Von diesem Pfarrer haben wir auch die einzige Kompetenz erlernt, die ein Ministrant wirklich draufhaben sollte: Schreiten. Ich höre ihn heute noch: „Ein Ministrant geht nicht, ein Ministrant läuft auch nicht, ein Ministrant schreitet". Und verdammt, was sind wir geschritten. Wie die Profis. Langsam, aber entschlossen.

Der ärgste Ministrier-Exzess ereignete sich jährlich am Ostersamstag. Die Menschen hatten Fleisch, aber sie wollten ihr Fleisch gesegnet und wir würden dafür sorgen. Das Besondere daran war, dass es mehrere „Stationen" gab, die wir innerhalb eines Tages abarbeiten mussten. Es war ein Marathon, und wir Ministranten—vier an der Zahl—waren nicht etwa zu Fuß unterwegs, nein, wir wurden im nagelneuen Mercedes unseres Qualmer-Pfarrers chauffiert.

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Der war dabei so gechillt, dass er total cool blieb, als mir der ganze Weihrauchkessel samt glühender Kohle im Auto umfiel und sich alles auf den Gummifußmatten und im ganzen Innenraum verteilte. Geweihte Nebelschwaden überall, schreiende Kinder in Kleidern, ein gelassener Pfarrer am Steuer. Der Typ glaubte so hart an Gott, ein brennendes Fahrzeug konnte ihn nicht davon abhalten. Meine letzte Erinnerung an ihn geht auf die Bundespräsidentenwahl 2004 zurück, als er meinte, er fände es schön, wenn Benita Ferrero-Waldner gewinnen würde.

Foto: Bene16 | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Die Prozedur der Fleischweihe war an jeder Station die gleiche—Menschen kamen mit ihren Jausenkörben, blickten ehrfürchtig auf ihre Schweinshaxn hinab und unser Job war es, sie zu bewässern und -weihräuchern. Außerdem durften wir an dem Teil, an dem wir üblicherweise mit kleinen Handglocken klingeln mussten, ordentlich mit Ratschen Lärm machen. Erklärt wurde uns dieser Umstand damit, dass die Glocken über Ostern nach Rom geflogen wären. Das war plausibel genug, und Kinder lieben sowieso alles, was laut ist, dementsprechend super fanden wir die Ratschen.

Der gravierendste Unterschied zur herkömmlichen Messe war jedoch, dass die Opfergelder in den Opferkörben am Ostersamstag uns Ministranten uns galten—keine Ahnung wieso. Aber wir waren logischerweise extra freundlich zu den Leuten und straften sie mit urteilenden Blicken, wenn mal wieder jemand die abstruse Idee hatte, es wäre angebracht, zu Ostern hartgekochte Eier in die Körbe zu legen. Die einzig logische Konsequenz war es, sie im Nachhinein für das unisinnigste Spiel der Welt zu verschwenden: Eierketschen.

Am Ende bedeutete das dann vor allem eins: Geld. Sehr viel Geld. Fleischweihen waren neben Frisch und gsund wichsen meine sicherste Einnahmequelle als junger Bub. Wenn ich heute darüber nachdenke, ist es ziemlich absurd, dass ich mir ausschließlich durch die „Dienstleistung", einen Vormittag lang Leuten mit einer dicken Rute auf den Arsch zu prügeln, mein erstes eigenes Klapphandy leisten konnte. Ich war so reich.

Irgendwann war ich dann sowohl zum Sternsingen, als auch zum Frisch und gsund wichsen zu alt geworden und schließlich war ich auch kein glaubwürdiger Ministrant mehr. Ich weiß nicht mehr so genau, wie meine letzte Messe ausgesehen hat, oder wie genau meine Dernière ablief, aber ich glaube mich zu erinnern, froh gewesen zu sein, nicht mehr in die Kirche zu müssen. Vor allem aber darüber, Mitzi nicht mehr sehen und riechen zu müssen. Amen.

Franz ministriert mittlerweile Twitter: @FranzLicht