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The Talking Issue

Ein Typ aus der Retorte

Wir stellen euch Jayce Newton vor. Er ist als ein waschechtes, lebendiges Retortenbaby auf die Welt gekommen.

Foto von Guillaume Simoneau

Vor ungefähr 30 Jahren onanierte ein Mann in einen Becher und ließ das Sperma einfrieren. Später taute ein Ärzteteam den Becher wieder auf und injizierte den Samen in eine weibliche Eizelle, die in einer Petrischale lag. Anschließend schoben sie das Ding mit einem Gerät, das aussah wie eine riesige Pipette, zurück in die Gebärmutter der Frau. Voilà! Jayce Newton wurde geboren. Ein waschechtes, lebendiges Retortenbaby!

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VICE: Wusstest du schon immer, dass du das Ergebnis einer künstlichen Befruchtung warst? Oder dachtest du einfach, dein Vater hätte euch verlassen?
Jayce Newton: Ich wusste, dass mein Vater und meine Mutter wahrscheinlich nie zusammen in einem Raum waren.

Wieso hat deine Mutter sich für eine künstliche Befruchtung entschieden? Ist sie eine Kampflesbe und hasst alle Männer?
Nein, aber sie hatte Probleme, Kontakte zu knüpfen, vor allem zu Männern. Vermutlich gab es auch diesen feministischen Aspekt. Sie wollte Karriere und ein Kind, aber hatte keinen Nerv für das ganze Drumherum.

Hat sie dich nach ihren Wünschen zubereiten lassen?
Nein. Damals war die Gentechnik noch nicht so weit. Aber sie gab den Arzt eine Liste mit Merkmalen, die der Spender haben sollte, und anhand dessen haben sie dann das Sperma ausgesucht. Sie wollte, dass ich den gleichen ethnischen Hintergrund habe, irisch oder schottisch, und dass ich groß und intelligent werde.

Hat das funktioniert? So weiß, wie du bist, hat dieses Irisch-Schottisch-Ding wohl hingehauen.
Ja, ich bin weiß.

Und wie groß bist du?
182 cm.

Nicht schlecht, nicht schlecht. IQ?
159.

Ziemlich schlau. Warst du immer so offen mit der Tatsache, dass du aus dem Labor kommst?
Nein. Tatsächlich habe ich die ersten 27 Jahre alle Menschen, die ich kannte, belogen.

Was hast du denn erzählt?
Das mein Vater bei einem Autounfall ums Leben kam, bevor ich geboren wurde. Ich meine, ich war ein dicker Junge mit Brille und Zahnspange. Ich wollte wirklich nicht noch mehr Angriffsfläche bieten.

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Wie haben deine Freunde reagiert, als du es ihnen dann erzählt hast?
Ich denke, die meisten haben schon etwas geahnt. Die Geschichte mit dem Autounfall war nicht wirklich wasserdicht. Die Mehrheit glaubte, dass meine Mutter eine einsame Lesbe war, die irgendwann mal einen Typ flachgelegt hat, nur um schwanger zu werden und mich dann alleine großzuziehen. Bis auf den Lesbenpart ist diese These ja auch gar nicht so falsch.

Weißt du, wer dein Vater ist?
Ich habe keinen Schimmer. Vielleicht will ich es auch gar nicht wissen. Falls das Sperma noch woanders eingesetzt wurde und ich Halbrüder oder -schwestern habe, würde ich sie gerne kennenlernen. Aber ich habe kein besonderes Verlangen danach, meinen Vater zu treffen.

Könntest du es denn theoretisch herausfinden?
Ich habe einmal einen halbherzigen Versuch unternommen, mich bei der Klinik zu erkundigen. Ich glaube, sie sind verpflichtet, dir alle Informationen zu geben, die sie haben. Die Sache ist, damals war diese Methode so neu, dass sie womöglich gar keine Aufzeichnungen archiviert haben. Vielleicht könnte ich mit einem Anruf herausfinden, wer mein Vater ist. Aber ich möchte das gerade nicht.

Heutzutage sind die Samenbanken sehr wählerisch. War das bei dir auch schon so, oder konnte da jeder obdachlose verkrustete Junkie sein Sperma hinbringen?
Ich weiß es nicht. Vielleicht hat mein Vater nur etwas schnelles Geld gebraucht. Ich habe mal gehört, dass sie viele Studenten von der UCLA rekrutiert haben. Das machen sie immer noch. Ich war auch auf der UCLA und da gibt es ständig Werbung für Samenbanken.

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Wie viel Geld bekommt man da?
Genug, um sich ein Semester lang Bier zu kaufen. Ein paar hundert Dollar oder so.

Würdest du das auch machen?
Scheiße, ich habe sogar darüber nachgedacht. Als ich auf dem College war, habe ich echt Geld gebraucht. Aber wenn ich mal Kinder haben sollte, will ich auch wissen, wer sie sind.

Findest du, ein Samenspender sollte auch Rechte haben?
Wenn er mit den Geschäftspraktiken der Klinik nicht einverstanden ist, muss er ja nicht in den Becher wichsen. Samenspender brauchen keine Rechte.

Hättest du lieber einen Junkievater, der sein halbes Leben unter der Brücke verbracht hat, oder gar keinen, so wie jetzt?
Lieber gar keinen.

Das ist dir lieber?
Ja, dann kann man wenigstens niemandem die Schuld geben. Inzwischen habe ich gelernt, für mich selbst verantwortlich zu sein. Damit habe ich kein Problem.

Hast du wirklich kein Interesse daran, deinen Vater zu treffen oder hast du nur Angst, dass du in Tränen ausbrechen könntest?
Wirklich kein Interesse.

Wieso nicht?
Weil nur die Erziehung wichtig ist. Wenn meine Mutter mich zur Adoption freigeben hätte, wäre ich jetzt vielleicht in Bombay und ein Hindu. Dann würde ich mich eben als Inder fühlen.

Aber du wärst kein richtiger Inder.
Sicher, OK. Aber zum Glück bin ich in Amerika aufgewachsen und musste mich nie fremd fühlen. Ich wurde größer, bildete mir eine eigene Meinung und habe dafür keinen Vater gebraucht. Was soll ich denn über mich erfahren, wenn ich ihm jetzt begegne? Ich bin doch schon erwachsen.

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