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Popkultur

Wie das Internet 'Arrested Development' ruiniert hat

Der Video-On-Demand-Riese Netflix hat Arrested Development wiederbelebt und es dabei gleichzeitig geschafft, die Kultserie zu töten.
Foto: Promo-Material

Ich habe einen großen Fehler begangen. Ich bin am Sonntag aufgewacht, aufgekratzt wie ein Kind an Heiligabend, habe mir Kaffee gekocht und mich darauf vorbereitet, mich die nächsten sieben Stunden lang, begleitet von den Facebook-Statusupdates meiner Generation, tot zu lachen. Millionen von Menschen wollten genau

das Gleiche

machen. Schließlich waren diese Millionen schon vorher so in

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Arrested Development

verliebt, dass sie die Insider-Jokes in kulturelle Währung verwandelt hatten und ihr Dasein damit verbrachten, andere Anhänger der Serie anhand orangefarbener DVD-Boxen in ihrem Billy-Regal zu identifizieren.

Die ersten drei Staffeln der Fake-Reality-TV-Sendung um Michael Bluth (Jason Bateman) und seine egozentrisch-weltfremde Familie liefen in den Staaten von 2003 bis 2006. Trotz zahlreicher Nominierungen und Preise brachte die Sendung aber nicht die nötigen Einschaltquoten und wurde abgesetzt. Immer wieder kamen seitdem Gerüchte um neue Folgen und sogar einen Film auf. Dann kündigte der Video-On-Demand-Riese Netflix an, eine vierte Staffel der Serie zu finanzieren und alle Folgen gleichzeitig am 26. Mai zu veröffentlichen. Fünf Prozent der Netflix-Bandbreite, die schon ein Drittel des gesamten Internets ausmachen, sollten von den Zuschauern der neuen

Arrested Development

-Folgen von der Plattform gesaugt werden.

Die virtuelle Luft knisterte am Sonntagmorgen also in den sozialen Netzwerken einer ganzen Generation. Dank Twitter (#birddance, 25 Retweets) und Facebook („arrested development!!!! :), 55 Likes) wissen wir jetzt erst, wie weit gestreut die Bluth-Anhänger tatsächlich sind. Wenn du

Arrested Development

also noch nicht gesehen hast, ist spätestens jetzt der Moment gekommen, dir zumindest die ersten drei Staffeln einmal komplett reinzuziehen. Nicht nur, weil du mir für diesen Rat unendlich dankbar sein wirst, sondern auch, weil du nicht derjenige auf der Party sein willst, der die „Steve Holt!“-Anspielung nicht versteht.

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Der Sonntag war schon halb vorbei, als ich etwas Eigenartiges bemerkte. Die Leute, die die letzten Wochen auf sämtlichen sozialen Kanälen ihre Liebe zu den Bluths bekundigt hatten, waren ungewöhnlich still. Ich hatte relativ spät angefangen. Meine Freunde in anderen Zeitzonen hatten garantiert schon mehrere Folgen gesehen und ich hatte meinen Freunden durchaus einen Zeitvorsprung gelassen. Auf Facebook aber: betretene Stille. Douche chill, wie ein Freund von mir sagen würde. Wahrscheinlich liegt das daran, dass die neue Staffel von Arrested Development einfach nicht so gut ist. Sie ist immer noch durchschnittlich lustig und interessanter als die meisten Sachen im Fernsehen, aber die wilden, diabolisch gut gestalteten Plots der 2000er sind verschwunden. Statt des Wahnsinns, den die Familie gemeinsam kreiert, kriegen wir mühselige Folgen zu den einzelnen Charakteren, von denen einige—besonders die mit Lindsay—sogar ganz schön langweilig sind. Und niemand hat jemals erwartet, einmal Arrested Development mit Langeweile zu assoziieren—Reizüberflutung vielleicht, auf jeden Fall Schizophrenie, aber auf keinen Fall Langatmigkeit. Manche Folgen waren tatsächlich einfach langweilig. Und niemand wusste so wirklich, wie man damit umgehen sollte. Klar, einige schmollende Fans haben die Staffel direkt in guter alter Star-Wars-Manier für Scheiße erklärt und die Hardcore-Fans haben die Serie etwas zu wohlwollend verteidigt, aber es gab keine Flut an Kommentaren und Sofortanalysen, die auch nur annähernd an die Prä-Neue-Folgen-Ära herankommt. Es gab keine niederschmetternde Online-Kritik, die die Serie fast in den Ruin getrieben hätte, wie das in der Vergangenheit mit anderen Kulturerzeugnissen der Fall war. Aber ich glaube trotzdem, dass das Internet Arrested Development kaputt gemacht hat. Die Schuldigen war diesmal nicht die Masse an getweeteter Kritik sondern die Erwartungen, die einfach in der Architektur des Internets selbst stecken.

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Als AD 2003 anlief, gab es noch kein On-Demand-Streaming. Kein Twitter, kein Google+, kein Instagram. Facebook war noch das Nur-für-Studenten-MySpace. Wir haben Fernsehserien und andere Medien komplett anders diskutiert und konsumiert. Farhad Majoo ist der Ansicht, dass Arrested Development seiner Zeit voraus war, weil es die Wichtigkeit von Aufnahmetechnologien wie Festplattenrecorder in der Art, wie man in Zukunft Comedy machen würde, antizipierte. Dabei konnte es jedoch kein großes Publikum für sich gewinnen, da diese Technologien zu dieser Zeit noch nicht weit verbreitet waren. Es wurde auch viel gesagt über die Macht von Arrested Development, was Meme-Kreationen betrifft, angeblich sogar schon bevor das überhaupt groß wurde. Die Sendung scheint ein futuristischer Auswuchs an Über-Comedy zu sein.

Aber daran glaube ich nicht.

Arrested Development

war einfach verdammt gut. Es war Fernsehcomedy auf Steroiden: Witze eingebaut in Witze eingebaut in Witze. Die Serie war einfach absurd gut geschrieben, absurd gut gespielt und nahezu perfekt gefilmt und geschnitten. Es gibt zahlreiche, perfekte Zitate in Twitterlänge und memewürdige Momente in, sagen wir mal, Seinfeld, aber das fühlt sich einfach zu sehr nach traditioneller Sitcom an, um es als die Zukunft von im Internet vertriebener Comedy zu bezeichnen.

Arrested

war einfach schneller, schlauer, erotischer.

Unglücklicherweise haben Mitchell Hurwitz und sein Team ihren eigenen Mythos ein bisschen zu sehr ausgenutzt. Der Macher von

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Arrested Development

plante die Staffel ursprünglich so, dass man die Folgen in beliebiger Reihenfolge sehen kann—ein äußerst ehrgeiziges Vorhaben, dass in die Ära des On-Demand-Streaming passen sollte. Du solltest dir eine Folge anschauen, über die Witze lachen, von der Handlung verwirrt sein, eine andere schauen und langsam alles zusammenfügen können. Es hatte bereichernd und lustig und total einzigartig sein sollen. Natürlich bedeutet das auch viele stumpfsinnige Runderneuerungen der gleichen Handlungselemente und Überdruss. Wirklich überraschend war es also nicht, als die Idee irgendwann verworfen wurde.

Die Überreste aber bleiben. Jede Folge wiederholt ziemlich viel von den vorherigen und Höhepunkte und Witze werden auf clevere Art offenbart, wenn wir den Moment zum dritten oder vierten Mal sehen—aber clever heißt nicht unbedingt immer lustig. Wenn tatsächlich die Möglichkeit besteht, fünfzehn simultane Handlungsstränge für zehn oder elf der beliebtesten Charaktere in der Geschichte der Comedy zu schreiben, ohne dass die Überlappungen langweilig wären, und in jede Folge neue Witze zu packen, wäre das wahrscheinlich die Tat eines komödiantischen Genies.

Aber leider ist das nicht so. Trotzdem ist es nachvollziehbar, dass Hurwitz, den man seit Jahren als eben dieses Genie bezeichnet hat, genau das versucht hat. (Es gibt auch Gerüchte darüber, dass die Struktur der Staffel teilweise mit Terminproblemen der Darsteller zu tun hatte—offenbar braucht die Welt Wie ausgewechselt und Running Wilde mehr als eine mit kompletter Hingabe gefertigte Staffel von Arrested Development.) Es wäre wirklich innovativ gewesen. Austauschbare Folgen! Binge-Watching für Netflix! Das wäre eine neue Form des Fernsehens—etwas, für das Arrested Development 1.0 doch schon so atemlos besungen wurde. Zweifellos hat Hurwitz den Druck dieser Erwartungen gespürt. Er wollte den Fans etwas geben, über das sie am Sonntagmorgen tweeten können. Er wollte das herkömmliche Fernsehmodell aufrütteln, was—wie wir Internetbewohner wissen—die beste Möglichkeit ist, dein Produkt herauszustellen, es zu etwas Besonderem zu machen. Seine Sendung sollte ein innovatives Internetprodukt sein, nicht nur gute Comedy. Aber der Plan ging nicht auf. Das Ganze war eine unmögliche Aufgabe und kurz nachdem die Staffel online war, musste Hurwitz ein Statement veröffentlichen, in dem er den Zuschauern sagt, dass die Folgen in der richtigen Reihenfolge angschaut werden müssen. Das, was wir jetzt bekommen haben, ist der eigenartige Mittelweg zwischen bester Network-Sitcom überhaupt und einer hochtrabenden Zukunftsvision von abendfüllenden Comedystreams. Das Ganze ist ein ziemlich machtvolles Argument dafür, dass man manchmal einfach die erwartungsvollen tweetenden Massen und den konstanten Schrei des Internets nach Fortschritt ignorieren sollte—die beste Art, Leute zum lachen zu bringen ist immer noch, ein paar talentierte Leute in einen Raum zu sperren und sie Witze schreiben zu lassen. Gesunder Menschenverstand, Leute. Come on.