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Eine Ode an den Kapitalismus

In der Fuggerei in Augsburg gibt es tatsächlich Menschen, die für das Wohl von Kapitalisten und Bankern beten.

Es gibt tatsächlich Menschen auf der Welt, die für das Wohl von Kapitalisten und Bankern beten. Das hier geht also raus an alle Occupy-Anhänger, die von einer Welt ohne Wachstum und ohne Banken träumen—was wir uns im Westen übrigens nur erlauben können, weil wir die materiell reichste Generation seid, die jemals auf diesem Planeten gelebt hat. Wer für das Wohl von Großkapitalisten betet?

Die Bewohner der Fuggerei in Augsburg, wie etwa Monika-Louise Sieber, die 39 Jahre als Chefsekretärin im Augsburger Zentralkrankenhaus gearbeitet hat, aber deren Rente hinten und vorne nicht reicht. Nachdem sich unsere Regierung nach acht Monaten auch mal wieder dazu herabgelassen hat, im gestrigen Koalitionsgespräch tatsächlich so etwas wie Politik zu machen, wurde doch tatsächlich beschlossen, dass die Rente irgendwann bald zumindest über der Grundsicherung von 688 Euro monatlich liegt. Die Aufstockung wird etwa 10 bis 15 Euro betragen. Staatsversagen at its best. Deshalb sind die Bewohner der Fuggerei, der ältesten Sozialsiedlung der Welt, wohl so dankbar. Konzipiert und erbaut wurde sie bereits 1521—also zu einer Zeit, als sich kein Mensch um Bedürftige scherte—vom ersten Großkapitalisten der Welt: Jakob Fugger aus Augsburg, genannt „Jakob der Reiche". Ohne die Fuggerei hätte es vielleicht auch Wolfgang Amadeus Mozart nie gegeben. Sein Urgroßvater Franz Mozart war ein verarmter Maurer in Augsburg, der in der Fuggerei Unterschlupf fand. Jackl, wie Jakob Fugger von den Bewohnern der Fuggerei liebevoll genannt wird, ersann ein Dorf in der Stadt mit eigener Dorfmauer und Kirche, Gassen, Brunnen und Garten, in dem Bedürftige Augsburgs seit fast 500 Jahren für immer noch nur einen Rheinischen Gulden (umgerechnet 0,88 Euro) Jahreskaltmiete wohnen können. Aber nicht in runtergekommenen Bunkern wie das der moderne Sozialstaat die letzten Jahrzehnte fertiggebracht hat, sondern in einer wunderbar gepflegten Anlage, die den Bewohnern Privatsphäre und ein würdiges Leben trotz Armut und schwerer Schicksale ermöglicht. „Die Fuggerei finanziert sich aus einer Stiftung, die Jakob Fugger 1511 gründete. Bis heute ist die Stiftung unabhängig und in der Hand der Familie", erzählt mir Graf Alexander Fugger von Babenhausen, der jüngste männliche Nachfahr der Fugger, stolz auf seinem Schloss in Wellenburg. Neben 88 Eurocent Kaltmiete im Jahr sind die Bewohner der Fuggerei dazu angehalten, für die Seele Jakob Fuggers zu beten. Einziehen darf außerdem nur, wer Augsburger (mittlerweile reicht es auch, in Augsburg gemeldet zu sein), katholisch und nachweislich bedürftig ist. „Die Satzung der Stiftung gibt uns vor, dass jeder Bewohner katholisch sein muss und wir halten uns gerne daran, denn es ist einerseits historisch gewachsen und hat sich auch durch die Jahrhunderte hindurch bewährt. Du musst dir vorstellen, dass die Fuggerei als Gemeinschaft die beiden Weltkriege ebenso überstanden hat wie den Dreißigjährigen Krieg", erläutert Graf Alexander. „Durch den gemeinsamen Glauben gab und gibt es bei den Bewohnern Zusammenhalt." Ich wollte einerseits die Bewohner der Fuggerei und ihre Schicksale kennenlernen und habe deshalb einen Tag in der Fuggerei verbracht. Andererseits wollte ich erfahren, wie es bereits jetzt um das staatliche Sozial- und Rentensystem in Deutschland steht. Als Ersten treffe ich Raimund, Bauarbeiter in Rente, der gerade den Vorgarten einer anderen Bewohnerin in Stand setzt. Durch seine Scheidung und frühe Arbeitsunfähigkeit könnte er sich eine normale Mietswohnung kaum leisten, erzählt er mir. Er ist sehr dankbar, dass er in der Fuggerei wohnen darf. „Na klar bete ich jeden Tag für den Jackl. Sieht er ja. Aber zu Hause fühle ich mich hier noch nicht. Ich helfe hier mit und richte die Gärten her. Manche Leute halten sich halt nicht an die Regeln. Das finde ich schade. Es ist leider keine Einheit hier. Mehr Gemeinschaft wäre schön." Raimund wirkt ein wenig verloren, vom Schicksal gezeichnet. „Was ich durchgemacht habe, willst du nicht wissen." Auf seinem Unterarm prangt ein altes Tattoo (Herz und Dolch), das wir nicht fotografieren dürfen. „Das habe ich mir mit 10 Jahren auf einem Jahrmarkt von einer Zigeunerin stechen lassen", erzählt er uns lachend. „Als Mutprobe!" Zum Abschied schreit er uns noch ein freundliches „Solche Sauhunde!" hinterher. Auf dem kleinen Platz am Brunnen treffen wir Christine und ihren Sohn Noel. Christine ist alleinerziehende Mutter zweier Söhne und lebt von Hartz IV. „Ich bin sehr froh, hier aufgenommen worden zu sein. Wir haben nun endlich genügend Platz. Leider ist es für uns schwer, hier zu leben. Meine Kinder farbig. Ein paar der Einwohner—wirklich wenige—nannten uns am Anfang Zigeuner. Ein paar der älteren Leute müssen sich jetzt eben umstellen", erzählt sie uns. Was die Älteren stört, ist wohl auch, dass die beiden Jungs eher ungern in die Kirche gehen. „Sonntag ist halt schwierig für mich, verstehst du?", meint Noel. „Ach kommen Sie, überall, wo Menschen sind, gibt es Streit. So ist das eben", wiegelt Hermine, eine der alten Damen am Brunnen, auf meine Frage hin ab, ob die Fuggerei nur nach außen so idyllisch wirke. Die Vier empfangen mich herzlich, ich setze mich zu ihnen auf die Bank und höre mir ihre Geschichten an—soweit sie davon berichten wollen. „Ich war alleinstehend, zwei Kinder groß gezogen. So bin ich hier reingekommen. Ich habe als Altenpflegerin gearbeitet. Meine Rente würde nie reichen", meint ihre Freundin Margot. Hermine erzählt mir, dass das Mietshaus, in dem sie und ihr Mann ihr Leben nach dem Krieg verbracht hatten, abgerissen werden sollte. Das hätte für sie und ihren Mann die Obdachlosigkeit bedeutet. „Bei uns ging die Aufnahme zum Glück ganz schnell. Wir konnten nach nur vier Monaten Wartezeit einziehen." Was sie denn über den Urgroßvater Mozarts wüssten, frage ich sie. „Ja, der war Maurer. Aber verarmt, weil der den Augsburger Henker unterstützt hat. Deswegen war er bei den Leuten sehr unbeliebt und hatte keine Aufträge mehr", berichten die Damen belustigt. „Der König von Augsburg hat auch hier gelebt. Wissen Sie das?", fragt mich Maria, die älteste in der Runde. „Das ist ein sehr gescheiter Mann und so bemüht um die Menschen." Monika-Louise, eine vergnügte, junggebliebene Frau, treffe ich beim Verlassen der Fuggerei. „Ich war Chefsekretärin, habe drei Kinder alleine großgezogen. Meine Rente hat hinten und vorne nicht gereicht, um die Miete und alle Kosten zu bezahlen. Ich habe etwa 900 Euro Rente nach 40 Jahren Berufstätigkeit." Ihre Kinder haben studiert, auf ihren Ruhestand hat sie sich gefreut: „Doch, dass es so wenig wird, hätte ich nicht gedacht." Zehn Jahre hat sie auf ihren Platz in der Fuggerei gewartet, in denen das Geld manchmal knapp wurde. Dankbar ist sie der Familie Fugger sehr und betet brav ihr tägliches Gebet.

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