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Big Boring System katapultiert dich zurück in die Social Media-Steinzeit

Dieses textbasierte soziale Netzwerk nimmt dich mit auf eine Zeitreise in die Modemepoche und bietet eigentlich alles, was eine glückliche, kleine Online-Gemeinschaft braucht.
Screenshot: Big Boring System​

​Um dich bei Big Boring System anzumelden, brauchst du nichts weiter als eine Telefonnummer. Für das soziale Netzwerk mit dem gemütlichen Retro-Charme musst du weder deine E-Mail-Adresse, dein Alter, dein Geschlecht noch deinen Namen preisgeben. Nach der Anmeldung wird dir ein vierstelliger PIN aufs Handy geschickt, mit dem du dich einfach einloggen kannst. Es ist ein angenehm anachronistischer Einstieg in ein soziales Netzwerk.

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Big Boring System ist ein ​Open-Source Social Network, das maßgeblich von Jen Fong-Adwent, besser bekannt unter ihrem Online-Pseudonym ​Edna Piranha, entwickelt wurde. Der Titel des Netzwerks ist sowohl eine dezente Absage an große Netzwerke wie Facebook und Twitter, als auch eine Hommage an das textbasierte ​Mailbox- bzw. Bulletin Board System, das wohl beliebteste soziale Netzwerk des Modem-Zeitalters.

Auf wie viel kannst du verzichten, ohne dass es sinnlos wird?

BBS-User können ausschließlich Text-Posts erstellen, diese auf ihren öffentlichen Seiten teilen und in Echtzeit per Chat hin- und herschicken. Es gibt keine Bilder, keine Gifs, keine Videos, keine Likes, keine Kommentarfunktion und keine „Freunde." Deinen Nutzernamen kannst du frei wählen und private Chat-Nachrichten werden automatisch nach kurzer Zeit vom Server gelöscht.

Der Chatroom reagierte etwas träge, als ich mich zur sonntäglichen Kaffeezeit einloggte. Screenshot: Big Boring System.

Das BBS-Netz ist eines der wohl konsequentesten Modelle von Retrofuturismus, das sich dieser Tage im Netz finden lässt. Wie mir die Entwicklerin Fong-Adwent berichtete, steht der Minimalismus absichtlich im scharfen Kontrast zu der mit Features überladen Konkurrenz:

„Haufenweise Social Media-Tools sollten Echtzeit-Unterhaltungen simulieren: Likes, Retweets, Favourites, etc.—doch kaum eins hat meiner meiner Meinung nach je einen echten Mehrwert für eine entstehende Online-Gemeinschaft geboten."

Die ursprünglichen Bulletin Board Systems liefen gern über private Server, die von lokalen Systemadministratoren betrieben wurden. Um teure Telefonrechnungen zu vermeiden, haben die Nutzer sich daher in der Regel per Modem zum Ortstarif eingewählt, wodurch die Foren ​de facto oft zu lokalen Communities wurden.

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Big Boring System, das von Fong-Adwent über ihre heimischen Server betrieben und von ihr gemeinsam mit einigen anderen Administratoren moderiert wird, soll nun die gleiche gemütliche lokale Atmosphäre wieder zum Leben erwecken:

„Wir sorgen dafür, dass eine Community und ein gewisses Vertrauen entstehen können: Indem wir auf viele Features verzichtet haben, uns nur auf die von Nutzern verfassten Inhalte und minimale Interaktion konzentrieren, und indem wir ein einfaches Tool zum Chatten mit anderen BBS-Usern zur Verfügung stellen."

Anders als ​andere Social-Media-Start-Ups wie Ello, die versuchen, sich explizit als Facebook-Alternative zu positionieren, sollte Big Boring System nicht als Ersatz für die existierenden Netzwerke gesehen werden. Das radikal reduzierte Format und Design dürfte seine Nutzerbasis am ehesten unter den Fans oder Kennern des ursprünglichen BSS finden. (​Hier ist eine Liste eines Großteils der immer noch aktiven Bulletin Board Systems, und hier findet ihr ein wohlfrequentiertes ​BBS-Reddit.)

Auch Internet-Foren und Message-Boards, die Nachfolger der ursprünglichen BBS, erfreuen sich trotz der Allgegenwart etablierter sozialer Netzwerke immer noch einer erstaunlich großen Beliebtheit. So gibt es zum Beispiel eine immer noch aktive ​obskure Düsseldorfer BBS-Gruppe (zum Einloggen könnt ihr die angebotenen Standardprogramme eures Betriebssystems nutzen. Der Gast-Log-in lautet Gast), wie auch gern genutzte Foren für Nischeninteressen, wie diese ​Seite für authentische Sex-Puppen —letzterer Link ist offensichtlich NSFW.

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Auf der „Entdecken"-Seite kannst du die öffentlichen Posts von anderen anschauen. Screenshot: Big Boring System.

Die Entwicklerin Fong-Adwent selbst ist kein Anfängerin in Sachen alternative Kommunikationsplattformen. Erst kürzlich hat sie auf der XOXO-Konferenz Meatspace vorgestellt. Dabei handelt es sich um ein minimalistisches Chat-Forum, in dem User GIF-Selfies von sich machen, diese über den Äther schicken, um dabei entspannt elektronische Musik zu hören. BBS ist für sie eine weitere Entwicklung experimenteller Online-Kommunikation:

„Während meiner gesamten Entwicklungsarbeit standen für mich immer folgende Fragen im Mittelpunkt: Was sorgt dafür, dass etwas funktioniert, und was steht dem im Weg? Wodurch entstehen solche Communities und wie halten sie zusammen? Auf wie viel kannst du verzichten, ohne dass es sinnlos wird?"

Aber eine Online-Gemeinschaft kann nur so lebendig wie ihre User sein. Ob es tatsächliche viele Nutzer geben wird, die Lust haben, über eine Seite zu kommunizieren, die ohne die vielen etablierten Social-Media-Funktionen unserer allzeit vernetzten Gegenwart auskommt, muss sich erst noch zeigen.

„Ich kann nicht voraussagen, was aus Big Boring System wird", erklärte mir Fong-Adwent. „Es ist ein Open-Source-Projekt und längst sind auch andere Entwickler involviert, nicht nur ich selbst. BBS wird das werden, was die Gemeinschaft daraus macht."