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Kolumbien

Kolumbiens neongelbe Hennen

In Kolumbien leuchten Hennen auch schon mal neongelb, schmecken köstlich und sichern seit Generationen Arbeitsplätze sowie das Haupteinkommen vieler Familien.
All photos by Laura Rodriguez Castro.

In den Bergen Kolumbiens liegt Ubaté. Abhängig davon, wen du fragst, wirst du entweder hören, dass es ein netter Halt zur Zwischenverpflegung oder doch vielmehr ein total unnötiger Umweg ist. Kolumbianer sind echte Sparfüchse und verwerten fast jedes Teil ihrer Kühe, Hühner oder Schweine. Wir braten, stopfen und kochen einfach alles—und kein Ort ist wohl ein besseres Beispiel dafür als Ubaté.

Wenn du hier auf der Hauptstraße unterwegs bist, grüßen dich an jeder Ecke liebeswerte Damen und locken dich in ihre Restaurants und Imbisse. In den einfach eingerichteten Lokalen wird das Essen vor deinen Augen zubereitet, und der Kohlerauch, der von den Öfen rüberzieht, erfüllt den ganzen Raum.

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Für einen Nichtkolumbianer ist es oft schwer einzuschätzen, was für ein Körperteil er gerade im Mund hat, und des Rätsels Lösung kann dann doch recht überraschend ausfallen. Highlights sind auf jeden Fall: Hennenhals gefüllt mit Reis, Blut, Kartoffeln und Erbsen; Kuhfuß; und dann natürlich der Klassiker: Henne mitsamt ihren ungelegten Eiern. Diese Hühnerembryos, denen nicht vergönnt blieb, das Licht der Welt zu erblicken, sind knallgelb und schmecken nach ganz normalen Eiern, die mit Hühnerbrühe gewürzt wurden. Sie zu verzehren ist ein echt saftiges Erlebnis, das dir zwar eigentlich widerlich vorkommen müsste, aber deine Geschmacksknospen komischerweise ziemlich anturnt.

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Für die Zubereitung dieses Gerichts werden die Hennen unter ganz normalen Bedingungen gehalten: Sie kommen also in den Genuss von Getreide und Würmern und haben zudem sehr viel Freilauf. Alles in allem also ein ziemlich nettes Leben, bis, ja bis der Kochtopf wartet. Wenn die Eier im Inneren der Henne das embryonale Stadium erreichen, wird das Tier geschlachtet. Traditionell wird der Henne dazu der Hals umgedreht.

Als ich als Kind in Kolumbien aufwuchs, habe ich regelmäßig an diesen Imbissständen Halt gemacht. Dabei kam mir häufig die Frage in den Sinn, warum sich weibliche Hühner so sehr von ihren männlichen Artgenossen unterscheiden. Ich kam damals zu dem Schluss, dass in der Haut von Hennen etwas Magisches schlummern muss, das sie gelb und besonders schmackhaft werden lässt. In dieser Region werden sie auch radioaktive Hennen" genannt, was daran liegt, dass sie grell-gelb sind und damit ziemlich unwirklich aussehen. Das unwirkliche Gefühl endet aber spätestens dann, wenn du ein Exemplar davon bestellst und die gute Frau hinter der Theke die Henne ausnimmt und vor deinen Augen plötzlich die ungelegten Eier auftauchen. Dann wird es nämlich doch sehr real. Die Haut ist ziemlich hart. Dafür ist das Fleisch umso zarter und zergeht förmlich auf der Zunge. Die Hennen werden übrigens mit weichen Kartoffeln serviert, die zuvor in Hühnerbrühe gekocht wurden.

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All photos by Laura Rodriguez Castro.

Das Geheimnis hinter dem zarten Fleisch der Hennen liegt in der Art des Kochens: Sie werden langsam auf Holzkohleherden mit Zwiebeln, Koriander, Thymian sowie Lorbeeren gedünstet—jeder Laden hat dabei sein eigenes Rezept. Wenn der Vogel fertiggekocht ist, kommt er schnurstracks in die Glasauslage. Dabei handelt es sich um selbst hergestellte Öfen, die dazu dienen sollen, das Essen warm zu halten. Hinter der Glasscheibe müssen sich die Hennen dann den Platz mit ausgestopften Hennenhälsen und Kuhfüßen teilen. Früher wurde das Essen noch mit ganz normalen Glühbirnen erwärmt, wohingegen heute immer häufiger modernes Equipment—wie du es aus Supermärkten kennst—zur Anwendung kommt.

Die Kuhfüße sind leider weitaus weniger liebreizend und schmecken genau so, wie wohl auch ein menschlicher Fuß schmecken muss: hart und schleimig und mit einer intensiven Note von alten Socken—nicht gerade empfehlenswert, wenn dir noch eine mehrstündige Fahrt bevorsteht. Von den vielen Leuten her, die sich die Kuhfüße an fast jedem Imbissstand genüsslich reinpfeifen, muss es sich hierbei definitiv um einen anerzogenen Geschmack handeln.

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Der gestopfte Hennenhals ist hingegen schon deutlich leckerer—trotz seiner Zubereitung. Denn hierfür wird der Kopf am Halsansatz abgetrennt. Im Anschluss werden alle Knochen, mit Ausnahme des Schädels, entfernt. Dann wird ein breiiger Mix aus Kartoffeln, Erbsen, Reis und Blut gekocht und in den wurstähnlichen Hals gestopft, bevor dieser zugenäht und gebraten wird. Das gekochte Blut verleiht dem Ganzen ein einmaliges Aroma und sorgt zudem für eine dunkle Färbung. Im Grunde ist es also die Hühnerversion der berühmten kolumbianischen Blutwurst, morcilla.

Die Hennen sind in jedem Fall die unangefochtenen Stars der hiesigen Restaurants, und Leute aus ganz Kolumbien machen hierfür gerne Halt. In letzter Zeit wurden sie fast schon als Touristenattraktion gehandelt, dabei sichert ihr Neonfleisch vor allem Arbeitsplätze und das Haupteinkommen vieler Familien—und das schon seit Generationen. Denn unzählige Kindermäuler konnten durch die Einnahmen aus ungelegten Eiern, Hennen und Kuhfüßen schon gestopft werden.

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Meine Familie geht immer in dasselbe Restaurant, ins La Chata. Die Inhaberin, Elvira, grüßt uns freundlich und fragt, wie es uns geht. Sie erzählt mir, dass sie selbst schon unter den Tischen gespielt hat. Durch das Geld, das sie mit ihrem Lokal verdient, konnte sie ihre Kinder auf die Universität schicken. Sie ist stolz auf ihr Essen, auf ihre Suppen und all die Spezialitäten, die sie ihren Gästen anbietet. Eine Suppe und ein Hauptgericht kosten hier zwischen zwei und vier Euro. Elvira kocht und serviert von drei Uhr morgens bis sieben Uhr abends. Damit arbeitet sie deutlich länger und härter als ich—und nimmt sich dennoch gerne die Zeit, um sich mit mir in aller Ruhe über ihr Essen zu unterhalten. Als es schließlich ans Zahlen geht, will sie umgerechnet nur etwa 4 Euro für das Essen. Dann verlassen wir das Lokal, während es für sie mit dem 16-Stunden-Tag weitergeht.

Alle Fotos: Laura Rodriguez Castro