FYI.

This story is over 5 years old.

ost-liga

Hält die dritte Liga, was sie verspricht?

Um die dritte Liga gibt es einen regelrechten Hype. Selbstbewusste Traditionsvereine, heiße Ost-Duelle und humane Anstoßzeiten. Doch kann man sich auch den Fußball anschauen?
Foto: Imago/Karina Hessland

24.07.2015, 20:30 Uhr, Magdeburg: Das Flutlicht strahlt, das Stadion ist voll, Anstoß zwischen dem FC Magdeburg und Rot-Weiß Erfurt. Ein Hauch von DDR Oberliga weht durchs Stadion. Allerdings ist das hier kein Freundschaftskick in Erinnerung an gute alte Zeiten. Es ist auch kein Spiel der Regionalliga Nord, wie beim letzten Pflichtspiel zwischen den Traditionsvereinen in der Saison 2007/08. Es ist die Eröffnungspartie der neuen Drittligasaison. Topmodernes Stadion, eher klein, eng, fast 30.000 Plätze und eine Fanbasis, die Stimmung garantiert. Für viele hier ist das ein Fest, die langersehnte Rückkehr zum Profifußball.

Anzeige

Zu ihrer Gründung war die Dritte Liga eher kein Sehnsuchtsort—wenn überhaupt als Durchgangsstation für höhere Aufgaben. Aber sie ist seit Jahren konsequent im Aufstieg. Mehr Fans, mehr Umsatz, mehr Einschaltquoten. Inzwischen bemüht sich sogar Sky um die Übertragung. Woher kommt der Hype? Wir haben ein paar Gründe zusammengetragen.

Anstoßzeiten

Aktuell geht das Gerücht um, dass der Bundesliga-Spieltag ab 2017 weiter zerstückelt werden soll. Endlich bekommen wir Fans ein Spiel am Montagabend! Fuck Yeah. Das haben wie NIE gewollt, also danke DFL. Ein kleiner Schritt, der aber die geliebte Struktur mit möglichst vielen Spielen am Samstagnachmittag, 15.30 Uhr, massiv bedroht. Von hier es ist nur ein nächster kleiner Schritt zur kompletten Zerstückelung. In Zukunft kommt dann vielleicht noch ein Spiel am Sonntagabend. Eins am Sonntagnachmittag. Eins am Sonntagmittag. Eins am späten Samstagabend. Eins am frühen Samstagabend. Eins am Nachmittag. Eins am späten Freitagabend und eins ein am frühen. Grüße nach Spanien. Oder England. Die dortigen Umsatzzahlen gelten als Totschlagargument: Geld schlägt Romantik — aber nicht zwei Etagen weiter unten: Die Dritte Liga hat regulär zwei Anstoßzeiten: 14 Uhr am Samstag und 14 Uhr am Sonntag. In den englischen Wochen kommt dann ab und zu mal das ein oder andere Flutlichtspiel dazu.

Übertragung

Keine Liga wird in Deutschland so ausführlich im Free-TV übertragen wie die Dritte Liga. Die erste Bundesliga ist bis auf drei Spiele pro Saison komplett ins Pay-TV gewandert, die zweite Liga gibt uns wenigstens noch ein Spiel montagabends zwischen den Werbeblöcken auf Sport 1. Die Topspiele der Dritten Liga wiederum kannst du dir fast jedes Wochenende auf irgendwelchen dritten Programmen anschauen (dieses Jahr vermutlich hauptsächlich im MDR). Und was noch besser ist: Im Internet gibt es noch mehr Spiele zu sehen, gratis und legal auf sportschau.de. In voller Länge, live, später auf Demand. Luxus pur. Klar ist das fußballerische Niveau oft eher überschaubar, aber so eine Partie zwischen Dynamo und Hansa, Cottbus und Aue, Preußen und Fortuna oder Magdeburg und Halle kann man sich an einem Samstagnachmittag durchaus mal antun. Die Stimmung macht die taktischen Mängel wett und eine schmerzhafte Blutgrätsche oder ein übers Stadiondach geklärter Ball in Höhe der Mittellinie ist auch irgendwie ehrlicher als ein sinnlos verdribbelter Ball von Götze am Sechzehner.

Derbys

Sieben der 20 Drittligisten der Saison 2015/16 haben in der letzten Saison vor der Eingliederung in die Bundesliga in der Oberliga der DDR gespielt. Mit Aue war ein weiterer damals DDR Zweitligist. Das diesjährige Revival ist nicht für alle ein Grund zur Freude, denn Mannschaften wie Aue oder Cottbus hatten sich eigentlich längst in der zweiten Bundesliga etabliert und andere wie Dynamo Dresden sehen sich eigentlich sogar eher noch eine Spielklasse weiter oben. Aber 2015/16 ist es nun mal so, dass sich exakt die halbe Oberliga der Abschlusstabelle 1991 in der dritten Liga tümmelt. Das bedeutet auch, dass jeder Drittligist aus dem Osten diese Saison ingesamt 26 von 38 Spielen auf Staatsgebiet der ehemaligen DDR ausführt. Wer das jetzt für Ostalgie hält oder wem die DDR Oberliga am Arsch vorbeigeht, all das bedeutet ja eben auch: Derby-Alarm! Darunter sehr heiße Spiele wie FCM gegen HFC und die Derbys zwischen Dresden, Cottbus, Aue und Chemnitz. Aber auch Erfurt HFC oder Chemnitz HFC gehen gut und gern noch als Derby durch. Und zwischen Magdeburg, Dresden und Hansa Rostock dürfte es auch grundsätzlich hoch hergehen. Und das war ja längst nicht alles: Auch wenn Bielefeld sich wieder nach oben verabschiedet hat, gibt es ein West-Derby zwischen Münster und Osnabrück. Aalen gegen Stuttgart ist zwar nicht so emotional aufgeheizt, aber 80 Kilometer Entfernung zählen definitiv als Derby. Großaspach liegt sogar noch näher. Wiesbaden und Mainz sind faktisch dieselbe Stadt, auch wenn von Mainz nur die zweite Mannschaft in der dritten Liga spielt. Und ja, das dürfte auch für den einen oder anderen Bengalo sorgen. Hoffen wir, dass die meisten der Fans sich an den neuen, alten Derbys eher erfreuen als sie mit Gewalt zu zelebrieren.

Traditionsmannschaften

Während in der ersten Liga der VfL Wolfsburg Bayern die Meisterschaft streitig machen will, der FC Augsburg international spielt, Hoffenheim und Mainz auf Platz sieben schielen und der FC Ingolstadt den Abstieg vermeiden will, tümmeln sich zwei Ligen weiter unten ein paar sehr viel klangvollere Namen: Dynamo Dresden, Hansa Rostock, 1. FC Magdeburg, Fortuna Köln, Stuttgarter Kickers, Holstein Kiel, Preußen Münster, etc. Eine leichtes Gefühl von Romantik stellt sich bei solchen Namen bei Fußball-Traditionalisten schnell ein.

Obwohl es bei all der Freude über die viele Traditionsvereine, vor allem aus dem Osten Deutschlands, natürlich eine sehr bittere Kehrseite der Medaille gibt: In der ersten Liga spielt kein einziger Ost-Verein. In der zweiten nur Union Berlin und der eher österreichische als ostdeutsche Brauseclub aus Leipzig. Der Rest der ehemaligen Oberliga spielt noch weiter unten. Das ist bitter. Aber eventuell erwächst aus den Erfahrungen der Vergangenheit nun etwas Konstanteres. Cottbus und Dresden sind Aufstiegskandidaten, Aue hat Potenzial, der HFC war in der letzten Saison die stärkste Auswärtsmannschaft. Da geht doch was. Und diese Saison dürfte für viele der Fans allemal interessanter sein als Zweitligaspiele gegen Heidenheim, Sandhausen oder Fürth.

Anzeige

Ausgeglichenheit

Die Ausgeglichenheit der Dritten Liga ist seit Jahren konstant. Zwischen Platz eins und Platz vier in der Abschlusstabelle der letzten Saison waren gerade mal 9 Pünktchen. Zwei Spieltag vor Saisonende, waren der Tabellenführer, Arminia Bielefeld, der zweite, MSV Duisburg, und der Dritte, Holstein Kiel, gar nur drei Punkte auseinander. Über den Abstieg entschieden für zwei Mannschaften ebenfalls nur zwei Punkte und auch das Mittelfeld war über weite Teile der Saison denkbar dicht beieinander. Zum Start der Rückrunde waren Platz eins und Platz zehn nur fünf (!) Punkte auseinander. Jeder kann bei einer solchen Konstellationen jeden schlagen. Das ist keine Floskel, wie sie die Bayern gern benutzen, sondern Fakt. Eine mittellange Siegesserie und der achte steht auf Platz eins. In der Dritten Liga ist sehr lange alles möglich, das macht die Sache extrem spannend.

Die Ausgeglichenheit zeigt sich auch, wenn man nur Niederlagen und Siege vergleicht. Der Bundesligameister Bayern München hatte in der letzten Saison ingesamt fünf Niederlagen, davon allerdings drei an den letzten vier Spieltagen, als die Bayern wirklich keinen Bock mehr hatten. Drittligameister Bielefeld hatte insgesamt acht Niederlagen und musste bis zum vorletzten Spieltag Vollgas geben, um nicht noch auf den verfluchten Relegationsplatz abzurutschen. Tabellenzehnter Halle hat über die Saison 15 Spiele gewonnen, genauso viele wie in Liga eins der FC Augsburg, der damit am Ende allerdings auf dem fünften Platz landete.

Kommerz

Das Ansehen und damit der Wert der Dritten Liga steigt bei Fans aus all den oben genannten Gründen, die Einschaltquoten sind hoch, damit wächst auch die Bereitschaft von Unternehmen, Geld in die Liga zu investieren.

Während in den ersten Jahren noch verbreitet vom „Armenhaus" des deutschen Fußballs die Rede war, weil die Einnahmen kaum die Ausgaben für eine Profi-Abteilung decken konnten, hat sich die Lage inzwischen stark verbessert. In der Saison 2013/14 wurden die Umsätze laut DFB um satte 33% gesteigert, auf immerhin durchschnittlich 9 Millionen pro Verein. Die letzte Saison dürfte mit Großkalibern wie Dynamo Dresden, MSV Duisburg und Arminia Bielefeld noch mehr Umsatz gemacht haben, die offiziellen Zahlen kommen gewöhnlich im Herbst.

Trotzdem ist ein Gesamtumsatz von 165 Millionen natürlich nicht ansatzweise mit dem Niveau der Bundesliga (2,5 Milliarden) zu vergleichen, aber das hat ja auch Vorteile. Für Fans sind zum Beispiel niedrigere Eintrittspreise großartig. Und weniger Möglichkeiten zum großen Geld verdienen bedeutet nun mal auch weniger Kommerz. Man muss sich eher selten mit zwielichtigen Investoren, Börsengängen und seltsamen Marketingkampagnen rumschlagen. Hoffenheim und Leipzig haben alles dran gesetzt, die „Zwischenstation Dritte Liga" gleich nach einem Jahr wieder zu verlassen, weil solch aufgeblasene Projekte dort noch mehr Verluste machen, als in höheren Ligen. Kleingeschrumpfte Vereine wie Magdeburg hingegen sind froh über ein Etat im Millionenbereich und können sich in aller Ruhe etablieren, ähnlich wie Erfurt oder Halle.