Ein Blick ins Zeitkapsel-Zimmer, das erst in 6.000 Jahren geöffnet werden darf
Thornwell Jacobs mit einem versiegelten Zeitkapsel-Behälter | Bild: Wikipedia | Fair Use

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Ein Blick ins Zeitkapsel-Zimmer, das erst in 6.000 Jahren geöffnet werden darf

Im Jahr 1940 wurde ein Raum im Keller der Oglethorpe University luftdicht versiegelt. In ihm werden die wichtigsten Errungenschaften für die Nachwelt konserviert—die uns schon heute fremd und exotisch erscheinen.

Wie sah das alte Ägypten im Jahr 4241 vor Christus aus? Eine Frage, die kaum zufriedenstellend beantwortet werden kann. Ohne die konservierten Grabbeigaben in den Pyramiden wäre die Vergangenheit unserer Zivilisation ein noch größeres Rätsel, als sie es eh schon ist. Unser Wissen darüber, wie die Menschen vor tausenden von Jahren gelebt haben, beruht in erster Linie auf cleveren Rückschlüssen und der Analyse wertvoller Fundstücke, die in möglichst gut erhaltenem Zustand eine längst vergangene Geschichte erzählen.

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Doch heute werden keine Pyramiden mehr gebaut, und hochrangige Politiker auch nicht mehr mumifiziert. Thornwell Jacobs, der Präsident der Oglethorpe Universität in Atlanta, Georgia, plagte der Wissensverlust um unsere Zeit und deren prägende Objekte so sehr, dass er sich dazu entschloss, nach dem Vorbild der Pyramiden von Gizeh selbst eine Zeitkapsel zu bauen, um unsere Lebensweise im 21. Jahrhundert zu konservieren. Besonders die Öffnung des Grabs des ägyptischen Königs Tutenchamun im Jahr 1922 schien ihn zu seinem Vorhaben inspiriert zu haben.

So wandelte er das ehemalige Schwimmbad im Keller der Universität Ende der 1930er Jahre in ein versiegeltes Museum um, das erst 6177 Jahre später wieder geöffnet werden darf. Damit erschuf der Pädagoge, Autor und Presbyterianer das nunmehr älteste und größte museale Zeitzeugnis, das heutzutage existiert. Unter der Bezeichnung „Vater der modernen Zeitkapsel" ging er in die Geschichte ein.

Die Zeit der Versiegelung orientiert sich an der Entstehung des ägyptischen Kalenders im Jahr 4241 v. Chr., welches von Historikern Anfang des 20. Jahrhunderts als erstes belegtes Datum der Geschichte angesehen wurde. 1936, genau 6177 Jahre nach diesem initialen Datum, ließ sich Jacobs davon zu seiner Idee für die Errichtung seiner „Krypta der Zivilisation" inspirieren. Auf 1936 rechnete er noch einmal 6177 Jahre drauf und hatte somit das Datum für die Öffnung der Zeitkapsel parat: 8113.

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„Nicht vor dem 28. Mai 8113 öffnen"

Somit würde der glückliche Finder einen Einblick in eine Ära erhalten, die sich genau in der Mitte befand. Diese Vision präsentierte Jacobs noch im selben Jahr in einem Artikel im Magazin Scientific American der Öffentlichkeit. Er war überzeugt davon, dass seine Generation die erste sei, die ihre „archäologische Pflicht" wahrnahm, um zukünftigen Historikern eine wissenschaftlich akkurate Forschungsbasis zu bieten.

Bild: Oglethorpe University Archives

Bereits ein Jahr später, im Jahr 1937, begannen die Arbeiten an der Krypta, in der die westliche Kultur vom Anfang des 20. Jahrhunderts in feinster Konservierung aufbewahrt werden sollte. Im Gegensatz zu den bisher bekannten Zeitkapseln—kleinen mit Münzen, Fotos oder Schriftstücken gefüllte Behältnisse, die an geheimen Orten in Mauerwerke eingebaut wurden—wagte sich Jacobs an eine völlig neue Dimension heran.

Der Raum, den er ausgesucht hatte, maß ganze 6x3 Meter, wurde wasserdicht versiegelt und mit einer Edelstahltür versehen. Die Behälter, in denen sich die Objekte befinden, bestehen aus Edelstal und Glas und wurden mit dem Inertgas Stickstoff gefüllt, um die Oxidation zu verringern. An dem Eingang, der 1940 endgültig für die ferne Nachwelt verschweißt wurde, befindet sich ein Schild mit der Inschrift „Nicht vor dem 28. Mai 8113 öffnen".

Sobald ein Mensch der Zukunft die „Krypta der Zivilisation" öffnet, findet er als erstes einen Apparat, der einen kleinen Lehrgang für das Englisch des 20. Jahrhunderts bereithält, falls diese Sprache in Vergessenheit geraten sein sollte—unpraktischerweise ist dieser ebenfalls auf Englisch verfasst). Weiter geht's mit einer Zusammenstellung von „für die Menschheit wichtigen Gegenständen", wie die offizielle Website der Universität das Inventar bezeichnet.

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Das Gebäude der Oglethorpe University Archives | Bild: Oglethorpe University Archives

Bild: Oglethorpe University Archives

Neben einem Plastikvogel, diversen Schallplatten (unter anderem mit Vogelgeräuschen—man weiß ja nie, was die Menschheit noch so anstellt), einer männlichen und einer weiblichen Schaufensterpuppe, einer Taschenlampe, einem elektrischer Rasierer, einer Brustform zum Einsatz in den BH, einem Pfannenwender, Aluminiumfolie, einem Spielzeugpanzer oder ein paar Damenstrümpfen befinden sich in dem Raum mehr als 800 Werke aus Kunst, Religion und Wissenschaft auf Mikrofilm, sowie Bild- und Tonaufnahmen bekannter Persönlichkeiten, in denen Politiker der damaligen Zeit wie Roosevelt, aber auch Hitler oder Stalin vorkommen.

Auszug aus dem Inventar: Ein BH-Einsatz, ein Pfannenwender, eine Asbestmatte, Alufolie und ein Spielzeugpanzer.

Schmuck oder Wertgegenstände beinhaltet die Krypta übrigens nicht, stattdessen jedoch eine möglichst vollständige Liste aller Erfindungen in maßstabsgetreuen Zeichnungen, medizinische Instrumente und solche aus Wissenschaft Luft- und Schifffahrt. Auch Dinge, die selbst Kinder unserer heutigen Zeit nicht wiedererkennen würden, wie fünf Fernsehröhren, eine Asbestmatte oder ein Taschenrechner befinden sich in der Zeitkapsel. Die komplette Bestandsliste findet ihr hier.

Die rasante Entwicklung unserer Gesellschaft hat allerdings zur Folge, dass Jacobs Krypta schon heute eher als museales Kuriositätenkabinett als einer repräsentativen Zusammenstellung unserer Gegenwart gelten kann. Um nicht den Überblick über die existierenden, gerne vakuumisierten Räume oder Behälter zu verlieren (die meisten davon befinden sich in den USA), hat sich im Jahr 1990 die Internationale Zeitkapselgesellschaft (ITCS) gegründet, die alle vorhandenen Zeitkapseln dokumentiert und vor dem Vergessen bewahren will. Gegründet vom Schriftsteller Knute „Skip" Berger und dem Anthropologen Brian Durrans hat diese ihren Sitz ebenfalls an der Oglethorpe University und lässt den Geist des ehemaligen Präsidenten Jacobs weiterleben.

Bild: Oglethorpe University Archives

Bild: Oglethorpe University Archives

Zur Zeit sind rund 1.400 Zeitkapseln bei der ITCS registriert. Die Gesellschaft geht in einer Schätzung davon aus, dass allein in den letzten Jahren noch einmal 5.000 weitere gebaut wurden, was aufgrund der permanenten (technischen) Evolution durchaus sinnvoll zu sein scheint. Doch auch Geschichte ist bekanntlich subjektiv. Wer nun seine eigene Kapsel bauen und registrieren lassen möchte, kann das hier tun. Auch Tipps zur Herstellung solch eines Gegenwartsdokuments haben die Archivare der Oglethorpe University parat.

Insgesamt soll es weltweit mehr als 10.000 Zeitkapseln geben, von denen der größte Teil jedoch als verschollen gilt oder aus anderen Gründen nie geöffnet wurden. Paul Hudson von der Zeitkapselgesellschaft geht davon aus, dass nur eine einzige von tausend Kapseln wirklich geöffnet wird. Dank der fleißigen Archivarbeit wird der Krypta der Zivilisation dieses unrühmliche Schicksal hoffentlich erspart bleiben.