Warum Krankenkassen endlich aufhören sollten, für Homöopathie zu bezahlen
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Warum Krankenkassen endlich aufhören sollten, für Homöopathie zu bezahlen

Millionen Menschen zahlen für Behandlungen, die nicht wirken. Eine ehemalige Homöopathin erklärt, warum das nicht nur ungerecht, sondern auch gefährlich ist.

Natalie Grams ist Ärztin und ehemalige Homöopathin, die ihre Praxis geschlossen hat, als sie einsehen musste, dass die Homöopathie als Teil der Medizin im 21. Jahrhundert jeder Grundlage entbehrt. Heute leitet sie das kritische Netzwerk Homöopathie, ist Mitglied im Verein GWUP—Die Skeptiker und Buchautorin.

Die Fronten zwischen Anhängern und Kritikern sind verhärtet: Wirkt die Homöopathie, ist sie der Medizin vielleicht sogar überlegen oder ist sie gefährlich? In der öffentlichen Debatte wird dieser erbitterte Streit oft nur als individuelle Entscheidung zwischen zwei therapeutischen Alternativen diskutiert: Hier die Homöopathie, da die sogenannte „Schulmedizin". Doch diese vereinfachte Gegenüberstellung ist falsch—und ausgerechnet die gesetzlichen Krankenkassen tragen fatalerweise dazu bei, diese Fehlwahrnehmung noch zu bestärken. Denn sie erstatten zunehmend mehr Kosten für homöopathische Behandlungen.

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Warum ist das ein Problem? Krankenkassen sind gesetzlich dazu verpflichtet, Therapien, die nachweislich wirksam und notwendig sind, auf jeden Fall zu bezahlen. Was sie aber logischerweise nicht dürfen: Therapien übernehmen, die nicht nachweislich wirken. Das klingt banal, aber nur so ist das Solidarprinzip einer Sozialversicherung zu verwirklichen, ansonsten würden Beitragsgelder veruntreut.

Weshalb soll Patient A für eine Methode bezahlen, die sich Patient B wünscht, die aber keine Wirksamkeit dargelegt hat?

Daher denken die meisten von uns wohl zu Recht, dass alle Medikamente, die von Krankenkassen erstattet werden, auf ihre medizinische Wirksamkeit hin geprüft worden sind. Doch genau das ist bei der Homöopathie mitnichten der Fall. Ganz im Gegenteil: Homöopathika sind laut Arzneimittelgesetz sogar von einer Wirksamkeitsprüfung ausgenommen. Einen ähnlichen Status als „besondere Therapierichtungen", die nicht wirksam sein müssen, dürfen die anthroposophisch erweiterte Heilkunst und die Phytotherapie (Pflanzenheilkunde) genießen.

Der dünne Boden des „Binnenkonsens"

Es reicht aus, dass Homöopathen in einem sogenannten „Binnenkonsens" bestätigen, dass Homöopathie nach inner-homöopathischem Verständnis wirksam ist—und voilà—einer Anwendung und auch einer Erstattung steht fast nichts mehr im Wege. Das wäre so, als würde der Verband der Wahrsager einstimmig behaupten, Kaffeesatzlesen würde bei Rheuma und Depressionen helfen—und diese sehr spezielle Form der Wahrheitsfindung gelte dann als Beweis.

Die Lobbyarbeit wirkt: Rund 70 Prozent der Krankenkassen übernehmen nach Ärzteangaben inzwischen die Behandlungskosten für Homöopathie.

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Das einzige, was einer Erstattung dann noch im Wege steht, sind Vertreter der ja vermeintlich so „verbohrten Wissenschaft", die nach wie vor kritisieren, dass diese Ausnahmeregelung ein Unding sei. Diesen kleinen Restwiderstand noch systematisch zu unterwandern, das hat sich der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) zur Aufgabe gemacht. Die wichtigste Institution dieses Vereins ist wohl dessen Marketingabteilung. Gemeinsam mit anderen Lobby-Truppen wie beispielweise der homöopathiefreundlichen „Karl und Veronica Carstens-Stiftung", betreiben sie das Geschäft der Irreführung mit einer an Fanatismus erinnernden Begeisterung.

Sie arbeiten gegen den weltweit überwiegenden Konsens der Wissenschaftsgemeinschaft. Denn nach wie vor gibt es weder überzeugende Belege für eine Wirkung über allgemeine Placebo-Phänomene hinaus, noch für den zugrundeliegenden, von Samuel Hahnemann vor 200 Jahren erfundenen (nicht entdeckten!) „Wirkmechanismus" der Potenzierung durch Verdünnung. Und ihre Arbeit zeigt Wirkung: Rund 70 Prozent der Krankenkassen übernehmen nach Ärzteangaben inzwischen die Behandlungskosten für Homöopathie bei speziell dafür ausgebildeten Medizinern.

Homöopathische Anreize für Ärzte

Auch die Ärzte bekommen einen Anreiz: Zur Zeit haben ca. 1500 Ärzte sogenannte Selektivverträge mit den Krankenkassen—und bekommen ihre homöopathischen Anamnesen und Medikamentengaben erstattet. Und das nicht zu knapp: Während ein normaler Arzt um die 40 Euro pro Quartal an einem Patienten „verdient", egal, wie oft er den Arzt aufsucht, kann ein homöopathisches Gespräch sechs Mal im Jahr mit 60-120 Euro pro Sitzung (!) gut abgerechnet werden.

Um diese Selektivverträge an den Mann zu bringen, übernimmt im Fall der Homöopathie die Managementgesellschaft des DZVhÄ die Lobbyarbeit. Ursprünglich waren die Selektivverträge für chronisch Kranke vorgesehen, doch mittlerweile gibt es für viele Verfahren und Leistungen solche Verträge.

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Wenn man auf die Kügelchen voller Nichts vertraut und deshalb eine richtige Therapie hinausschiebt, steigern sich die Kosten am Ende sogar noch.

Obwohl es keinen Beweis dafür gibt, dass Homöopathie wirkt, können gesetzliche Krankenkassen homöopathische Leistungen trotzdem in ihren satzungsmäßigen allgemeinen Tarif aufnehmen—und zwar „unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit" und nicht etwa der Wissenschaftlichkeit. Bei Heilpraktikerleistungen ist eine Übernahme zum Beispiel ausgeschlossen.

Wenn Homöopathie für Kassen zur Marketingmaßnahme wird

Die gesetzlichen Krankenkassen bieten also keine besonderen „Zusatztarife", in die nur diejenigen einzahlen, die solche Leistungen auch in Anspruch nehmen wollen. Zur offiziell legitimierten Leistung der Krankenkassen wurde die Homöopathie vor über vier Jahren: Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz, das am 1.1.2012 in Kraft trat, werden homöopathische Behandlungen als satzungsmäßige Kassenleistung übernommen. Und da liegt der eigentliche Skandal, denn damit wird die Solidargemeinschaft aller Versicherten mit diesen Kosten belastet.

Schlimmer noch: Wenn man auf die Kügelchen voller Nichts vertraut und deshalb eine richtige Therapie hinausschiebt, steigern sich Kosten am Ende. Die Kassen tragen damit zur Desinformation der Patienten bei und letztlich zum Gegenteil von Aufklärung. „Für die Krankenkassen ist das wahrscheinlich ein Marketinginstrument, um sich von der Konkurrenz abzusetzen", sagte sogar die Vorsitzende des DZVhÄ selbst. Wie kann das sein? So profan? Hätte man nicht eher einen Jubelschrei des Inhalts erwartet, dass nun endlich auch von den Kassen Seriosität und Wirksamkeit der Homöopathie anerkannt werde?

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Es gibt keine andere ethische Richtlinie als Goldstandard-Studien, um gesetzlich legitimierte Veruntreuung von Mitgliedsbeiträgen zu vermeiden.

Nein, Krankenkassen bieten wohl tatsächlich aus Marketinggründen solche Leistungen an—Nachfrage schafft Angebot. Die Wirkung ist dennoch fatal, denn viele Patienten gehen so davon aus: Was die Kasse zahlt, muss doch auch „echte" Medizin sein, sonst würden sie es ja nicht zahlen. Bei der Kostenerstattung für Homöopathie werden, im Vergleich zur wirksamen Medizin, zugegebenermaßen keine riesigen Beträge bewegt, allerdings konnte eine klare Kostenersparnis auch nicht gezeigt werden.

Bei den Krankenkassen gilt: Alle zahlen für alle. Deshalb sollte doch auch gleiches Recht für alle gelten. Weshalb soll Patient A für eine Methode bezahlen, die sich Patient B wünscht, die aber keine Wirksamkeit dargelegt hat? Es gibt keine andere ethische Richtlinie als Goldstandard-Studien, um gesetzlich legitimierte Veruntreuung von Mitgliedsbeiträgen zu vermeiden.

Homöopathiekritiker sehen dabei, dass die Homöopathie nur ein Teil des Problems ist. Krankenkassen zahlen nämlich jede Menge Fragwürdiges, von Ayurveda bis Eigenharn-Therapie. Warum dann nicht auch Homöopathie, Tanzen bei Mondschein und astrologische Beratung? Wenn die Grenze nicht konsequent zwischen evidenzbasiert und nicht evidenzbasiert verläuft, ist sie schlicht nicht mehr definierbar.

Trotz all dieser Argumente erstatten bereits 90 von 130 deutschen Krankenkassen die Kosten für Homöopathie. Es scheint, als ob die für Wissenschaftler selbstverständliche Forderung, ein System müsse nach innen und außen stimmig sein, bei den Entscheidungen der Politik und der Krankenkassen über die Finanzierung der besonderen Therapierichtungen überhaupt keine Rolle spielt. Womöglich sind die Krankenkassen heute kaum noch Gemeinschaften auf dem Fundament schulmedizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern vielmehr Konsumentenvereinigungen auf Glaubensbasis. Und ob das den Patienten—und der Solidargemeinschaft der Sozialversicherung—wirklich hilft?