Ein Spielzeugpolizist steht vor Cannabis und hält seine Kelle hoch.
Foto: IMAGO / Panama Pictures
Drogen

Ein Dealer erzählt: So endete Deutschlands größter Online-Drogen-Marktplatz

Sein Verräter sollte besser keinen Urlaub in Holland machen, sagt "Der Holländer", der Teil des Drogen-Onlineshops Chemical Revolution war.

Der Holländer, wie er sich nennt, möchte seinen Namen nicht in den Medien lesen. Er ist 39 Jahre alt und arbeitet bei einem niederländischen Autohaus. Anfang des Jahres hat das Landgericht Gießen ihn zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil er geholfen hat, Drogen im Internet zu verkaufen: Sie landeten bei Chemical Revolution, dem einst größten Online-Drogen-Markt Deutschlands.

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Wir haben mit dem Holländer und seinem Anwalt Jannik Rienhoff  über den Verrat gesprochen. Der Holländer sitzt in  seinem Büro in dem Autohaus. Er weicht immer wieder aus, macht Witze, wirkt nervös. Sein Anwalt Rienhoff – Piercing in der Unterlippe und akkurater Scheitel – wirkt gelassen. Rienhoff hat mit seinem Kollegen Frank Richtberg erwirkt, dass der Holländer abgeschoben wird. So muss er den Rest der Haft nicht absitzen. Er kann aber auch nie wieder nach Deutschland reisen.

In Deutschland lebt der Mann, der den Holländer vor Gericht verraten hat. Sein Name: Arkadiusz D. Er hat der Staatsanwaltschaft noch sechs weitere Namen gegeben, um selbst einer Freiheitsstrafe zu entgehen.

VICE: Das Landgericht Gießen hat dich zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Wegen welcher Taten?
Holländer
: Ich hatte nichts mit dem Internetgeschäft zu tun. Ich habe die Drogen in Holland organisiert und jemand hat sie nach Deutschland gebracht, damit sie dort bei Chemical Revolution verkauft werden. Ich wusste aber gar nicht, dass die Drogen für diesen Onlinemarkt sind.

Rienhoff: Es ist gar nicht so dumm, dass jeder nur das weiß, was er wissen muss. Der BND macht es auch so: Need-to-know-Prinzip nennen sie das. Die Gruppe um den Holländer wurde unter anderem wegen des Handels von 125 Kilogramm Speed, 23.000 Pillen Ecstasy, 5.000 Hits LSD, fast vier Kilogramm Kokain und 31 Kilogramm Cannabis verurteilt. Der Holländer wurde dann wegen unerlaubten Handeltreibens in nicht geringer Menge in insgesamt sechs Fällen verurteilt.

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Jannik Rienhoff trägt einen Anzug, ein Piercing in der Lippe und einen Tunnel im Ohr. Er hat blonde Haare und steht im Wald.

Jannik Rienhoff hat "den Holländer" vor Gericht verteidigt | Foto: arienart.com

Hätten sie dich auch gekriegt, wenn dein Kollege dich nicht verraten hätte?
Holländer
: Niemals. Die Polizei und Staatsanwaltschaft hatten gar nichts gegen mich in der Hand: keine Telefonate, keine DNA, keine Fingerabdrücke. Nichts.

Wer hat dich verraten?
Holländer
: Wir wollten eigentlich gerade mit den Deals aufhören, da meinte Arkadiusz D.: Los, lasst uns nochmal treffen. Seine Aufgaben lagen bei allem, was offline war. Es gab eigentlich nur noch Restbestände von den Drogen und die wollte Arkadiusz D. plötzlich verkaufen. Er hat mich nach Hamburg gelockt, obwohl ich damals in den Niederlanden lebte. An dem Parkplatz, wo wir uns treffen wollten, waren dann verdeckte Ermittler. Ich habe damals die Gruppe um Chemical Revolution mit Drogen beliefert. An jenem Tag hatte ich gar keine Drogen dabei.

Rienhoff: 2019 galt der Shop als bundesweit größter Drogen-Umschlagsplatz im Darknet. Der Holländer wusste nicht, dass die Drogen für diesen Onlinemarkt bestimmt waren. Arkadiusz D. hat der Polizei geholfen, den Beteiligten eine Falle zu stellen.

Dann hat dich die Polizei auf einem Parkplatz festgenommen?
Holländer:
Ja, genau. Das war in Hamburg. Ich stand da mit einem anderen Dealer und zwei Männern, die unsere Drogen kaufen wollten. Wir vier haben das Finanzielle besprochen und sind in zwei Autos zum Parkplatz gefahren. Ich war in dem Auto ohne Drogen. Viel zu spät stellte sich für mich heraus, dass diese beiden Männer Zivilbeamte waren. Am Parkplatz hat sich dann ein Sondereinsatzkommando um uns aufgebaut. Wenig später saß ich in einer Zelle in Untersuchungshaft. 

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Wie war die Untersuchungshaft für dich?
Holländer
: U-Haft ist schlimm.

Rienhoff: Dort hast du so gut wie keinen Kontakt zur Außenwelt, um keine Absprachen machen zu können mit deinen Komplizen. Man kann nicht unkontrolliert telefonieren oder reden. Man wird 23 Stunden eingeschlossen und von seinen ehemaligen Kollegen getrennt inhaftiert. Am Anstaltsprogramm nimmt man nicht teil. Das geht dann über Monate oder Jahre so. 

Deals mit Staatsanwaltschaften können das abkürzen. Wie läuft das ab?
Rienhoff
: Wenn die Staatsanwaltschaft eine Menge Indizien hat, aber zentrale Erkenntnisse fehlen oder das Verfahren über eine lange Zeit gehen würde, lassen sich Verfahren über einen sogenannten Deal vereinfachen. In der Regel geben die angeklagten Personen ein Geständnis ab, was allen viel

Arbeit erspart, und bekommen dafür eine vorher grob vereinbarte Strafe. Das Angebot lautet zum Beispiel, dass man für ein Geständnis zwischen einem und zwei Jahre Haft bekommt.

Die Haftstrafe ist dann niedriger als das, was sich die Staatsanwaltschaft eigentlich nach Aktenlage vorgestellt hat. Den Angeklagten wird entgegen gekommen und das Verfahren abgekürzt. Die Person weiß dann ungefähr, was im Falle eines Geständnisses für ein Urteil fallen wird und kann die Konsequenzen abwägen. Es ist ein Kompromiss, aber aus der Praxis nicht mehr wegzudenken. Solche Deals sind kritikwürdig, weil sie die Suche nach der Wahrheit zurückstellen.

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Seid ihr auf den Deal der Staatsanwaltschaft eingegangen?
Holländer
: Das Gericht hat am Ende eine Strafe von rund sieben Jahren angeboten, wenn ich eine Aussage mache. Ich habe dann einfach ein paar Sachen zugegeben, damit das Verfahren endlich zu Ende ist.

Hast du damit jemand anderes verraten?
Rienhoff
: Nein, hat er nicht. Die Staatsanwaltschaft hat ihm aber angeboten, ihn sofort aus der U-Haft zu verlassen, wenn er jemanden preisgibt.

Holländer: Genau, ich habe niemanden verraten. Hätte Arkadiusz D. die Ermittler nicht auf mich gebracht, wäre ich nie verurteilt worden. Ich wurde allein durch seinen Verrat verurteilt.

Rienhoff: Dabei hätte es im Sinne des Angeklagten sein können. Die Ermittler haben Chats über Drogengeschäfte vorgelegt und behauptet, der Holländer habe an ihnen teilgenommen. Da hauen sich Angeklagte gegenseitig in die Pfanne, um Milderungen zu erwirken. Am Ende wurden die Fälle nicht richtig aufgeklärt.

Nach anderthalb Jahren Untersuchungshaft fand dein Prozess statt. Wie hast du die Verhandlung erlebt?
Holländer
: Mein Verräter hat sehr blumig erzählt. Er hat sich dabei sichtlich gefallen, kam mit einem großen Auto vorgefahren und hat mächtig

Eindruck gemacht. Er war zu dem Zeitpunkt ja der Einzige, der frei war.

Rienhoff: Wenn er mal durcheinander kam und etwas anders als zuvor erzählt hatte, war das Gericht sehr verzeihend. Er war ja der einzige richtige Zeuge, der die Verurteilten belasten konnte. Alle saßen da in Anstaltskleidung, nur er hatte ein ziviles Outfit.

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Weißt du, wo Arkadiusz D. jetzt ist?
Holländer
: Ja, weiß ich.

Woher weißt du das?
Holländer
: Ich weiß das halt. Er sollte keinen Urlaub in Holland machen.

Was passiert dann?
Rienhoff (lacht)
: Dazu wird mein Mandant auf keinen Fall etwas sagen.

Bereust du es, andere Kriminelle mit Drogen beliefert zu haben?
Holländer
: Ich bereue nichts!

Rienhoff: Man sollte die Menschen, mit denen man kriminelle Geschäfte macht, gut kennen. Freunde verraten sich eher selten.

Welche Fehler machen Dealer am häufigsten?
Rienhoff
: Ich will natürlich keine Tipps für Straftäter geben, aber es gibt im Bereich der Drogenkriminalität immer wieder Dinge, die mir als

Strafverteidiger auffallen. Beispielsweise wird eher selten die Kommunikation der Verdächtigen live überwacht. Viel häufiger haben wir den Fall, dass Personen bei einer Festnahme ein Mobiltelefon dabei haben, auf dem sich zahlreiche Chats befinden, die Hinweise für die Polizei enthalten.

Was genau hat die Polizei von solchen Chats?
Rienhoff
: Darin befinden sich Namen, Adressen, Mengen und Übergabeorte. Diese Chats werden selten gelöscht, da hilft auch keine noch so gute Verschlüsselung bei der Übertragung. Sobald das Telefon in die Hände der Polizei gerät, kann sie es in der Regel auslesen und erhält jede Menge Beweise, wenn die Gesprächsverläufe nicht gelöscht worden sind.

VICE: Und wenn man nicht verschlüsselt, sondern die eigentlichen Nachrichten durch Schneemann-Emojis codiert?
Rienhoff
: Die meisten Codewörter sind eher peinlich. Niemand trifft sich Freitagabend um 23 Uhr am Hauptbahnhof, um 100 Gramm Schokolade zu übergeben. Entweder man schreibt gleich Hasch rein. Oder man lässt es bleiben, so etwas per Handy abzumachen. Oder man löscht wenigstens die Nachrichten.

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