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Aktivistinnen liefern Abtreibungspillen mit Drohnen über die polnische Grenze

Am Wochenende transportierte eine Drohne erstmalig Abtreibungspillen erfolgreich nach Polen—wo der Schwangerschaftsabbruch für Frauen noch immer illegal ist.
Die Drohne auf dem Weg nach Polen. Alle Bilder (soweit nicht anders angegeben): Kathrin Gottschalk

„Mission accomplished." Als Maaike und Mark mit diesen Worten ihre Berichte vom Drohnenflug beenden, jubelt der kleine Raum in einem Słubicer Hotel. Zwei Stunden zuvor haben die beiden eine mit Abtreibungspillen beladene Drohne von Frankfurt an der Oder über den Grenzfluss gesteuert—nach Polen, neben Irland und Malta das einzige Land Europas, in dem Abtreibungen noch strafbar sind.

Eine der Drohnen trägt die Pillenpackungen, die andere ist mit einer Kamera ausgestattet. Während des Schmuggelflugs über die Oder scheint alles gut zu gehen, bis kurz vor Schluss zwei Polizeibeamte die Aktivisten entdecken. Ein Gerangel um die Controller beginnt, das die Beamten letztlich gewinnen. Die Drohne kann gerade noch rechtzeitig auf polnischer Seite ans Ziel gesteuert werden. Sie legt nur eine kleine Bruchlandung hin, bevor die Polizisten die Controller letzlich beschlagnahmen. „Wir würden Drogen illegal über die Grenze schmuggeln," gibt Mark die Begründung der Polizei für die Beschlagnahmung wieder. „Aber vor allem waren sie sauer, weil wir nicht gemacht haben, was sie gesagt haben."

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Die Aktivistinnen und Aktivisten der Frauenrechtsgruppe Women on Waves halten ihre Aktion für legal, schließlich hat eine Gynäkololgin das Medikament nach deutschem Recht verschrieben. Die deutsche Polizei konfisziert die Fernsteuerung dennoch und prüft jetzt, ob die Aktion gegen das deutsche Arzneimittelgesetz verstoßen hat.

Wenn sich die rechtlichen und technischen Voraussetzungen verbessern, können wir uns gut vorstellen, Drohnen zum Medikamententransport einzusetzen.

Als DHL ein eigenes Drohnenprogramm ankündigte, um Waren schnell und zielsicher durch die Lüfte zu versenden, war die Lieferung von Medikamenten das erste Anwendungsbeispiel. Im vergangenen September wurden mit einem DHL-Copter Medikamente über zwei Kilometer auf die Nordseeinsel Juist geliefert. Tatsächlich bieten sich Drohnenlieferungen gerade für eilige oder sensible Medikamente an, da ihre Zustellung nicht durch verstopfte Straßen, den langwierigen Postweg oder, wie in diesem Falle, durch Grenzkontrollen verzögert oder aufgehalten werden kann.

Die Drohnencrew, bestehend aus Maaike und Mark, trifft letzte Vorbereitung vor dem Start.

„Wir hätten mit den Pillen auch einfach über die Brücke laufen können, aber das hätte weniger Medienaufmerksamkeit erzeugt," meint Dr. Gunilla Kleiverda. Die Gynäkologin gehört zur niederländischen Organisation Women on Waves, die eine der Hauptinitiatorinnen der Aktion ist. Women on Waves setzt sich weltweit für eine Entkriminalisierung von Abtreibungen ein. Bekannt geworden ist die Organisation mit dem Betreiben mobiler Kliniken. Schiffe nehmen dabei die Frauen in internationale Gewässer mit, um dort einen Schwangerschaftsabbruch nach niederländischem Recht legal durchzuführen.

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Wer in einem Land wohnt, in dem Abtreibung illegal ist, kann über die Webseite von Women on Waves Abtreibungspillen auf Rezept bestellen. Zur Ausstattung von Women on Waves gehören nun nicht mehr nur Schiffe, sondern auch Drohnen; diesmal gesteuert von Maaike und Mark.

Nur wer Geld und Kontakte ins Ausland hat, kann sich in Polen momentan eine Abtreibung leisten.

Noch einen Tag vor ihrem Flug über die Oder hatten die beiden die Lieferung mit der Drohne DG1 Phantom 3 an der niederländisch-deutschen Grenze geübt, direkt vor den Augen der Bundespolizei. Niemand interessierte sich für die Aktion, denn das Überschreiten innereuropäischer Grenzen mittels Drohnen ist legal.

Der Plan, für Medienaufmerksamkeit zu sorgen, ist aufgegangen. Schon vor der Aktion berichteten etwa der Guardian oder der Telegraph. Jetzt, als die 30-jährige Marta aus Warschau zum krönenden Abschluss der Aktion eine der Abtreibungspillen schluckt, filmen und fotografieren sie einige Kameras, vor allem von polnischen Medien. Marta erklärt ihnen: „Ich will eine sichere und legale Abtreibung haben." Angst vor einer Verhaftung braucht sie nicht zu haben, denn auch wenn eine ärztliche Abtreibung verboten ist, machen sich Frauen, die sie selbst durchführen, nicht strafbar. Die Ärztinnen und Ärzte hingegen schon, was für die Frauen im Land denselben Effekt hat: Sie werden in ihrer Not alleingelassen.

In Polen können sich eine Abtreibung also nur diejenigen leisten, die Kontakte und entsprechendes Geld haben, um ins Ausland zu reisen. Alle anderen müssen auf unsichere illegale Abtreibungen im Inland zurückgreifen. Verschiedene Quellen schätzen, dass inzwischen um die 240.000 Abtreibungen in Polen pro Jahr illegal durchgeführt werden.

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Deutsche Polizisten wundern sich, was hier im beschaulichen Frankfurt Oder vor sich geht. Bild: Women on Waves

Der Copter mit den gut gesicherten Pillenpackungen kurz vor dem Abflug.

Ebenfalls vor Ort ist die polnisch-deutsche Organisation Ciocio Basia, die versucht, polnischen Frauen mit geringem Einkommen eine Reise nach Berlin für eine Abtreibung zu ermöglichen, sowie zwei Politikerinnen der säkulären, linksliberalen Partei Twój Ruch, die sich für eine Lockerung der Gesetze in Polen einsetzt. Bei den vergangenen Wahlen bekamen sie zehn Prozent der Stimmen. Wenn im Oktober erneut gewählt wird, rechnet Agnieszka Stupkiewicz Turek jedoch mit noch weniger: „Die konservativen Stimmen werden immer stärker."

Während sie spricht, nähert sich eine Gruppe von Abtreibungsgegnern dem Medienereignis: Es ist Bractwo, übersetzt heißt das: die Brüderschaft der kleinen Füße. Sie verteilen kleine Embryonen-Modelle aus Körbchen und sprechen vom „Töten". In Polen ist es Frauen theoretisch erlaubt, eine Abtreibung in Anspruch zu nehmen; etwa wenn sie vergewaltigt wurden. Allerdings wird ihnen häufig nicht geglaubt—und Ärzte verweigern den Abbruch. Mit den drastischen Auswirkungen auf die Psyche werden die Frauen allein gelassen.

Diskussion mit Abteibungsgegnern auf polnischer Seite.

Ciocia Basia organisieren Abtreibungen in Deutschland für Frauen aus Polen— unbeeindruckt von den Abtreibungsgegnerinnen im Hintergrund.

Zwei polnische Abtreibungsgegnerinnen in Slubice haben ganz eigene Vorschläge für den Fall einer ungewollten Schwangerschaft. So erklären zwei von ihnen in ruhigem, aber nachdrücklichem Tonfall: „Sie sollten das Kind dann bekommen und zur Adoption frei geben." Und dann wäre es eben Aufgabe der Gesellschaft, sich um diese Kinder zu kümmern. Dass dies so in der Realität nicht passiert, dass gerade alleinerziehende Mütter von Armut bedroht sind, sieht diese Abtreibungsgegnerin zwar auch. Aber: diese Wirklichkeit müsse sich eben einfach irgendwie ändern.

Alle anderen hier auf der Wiese meinen: Was geändert werden muss, ist die Gesetzeslage in Polen. Schließlich sind reproduktive Rechte Menschenrechte. Und Pillen per Drohne zu verschicken, ist keine Lösung für den Alltag. Rebecca Gompert, Gründerin von Women on Waves, bezeichnet die Aktion als Test: „Momentan gibt es sowohl rechtliche als auch technische Hindernisse. Wie wir gemerkt haben, muss die rechtliche Situation erst geklärt werden. Und dann reicht auch die Akkulaufzeit der Drohne nicht aus, um wirklich weite Strecken zu fliegen. Sollte sich das in Zukunft ändern, können wir uns sehr gut vorstellen, Drohnen für Medikamententransport einzusetzen."

Während die Abtreibungsgegner ihr mit Kunststoff-Embryonen im Gesicht herumfuchteln, erklärt Dr. Gunilla Kleiverda der Delegation von Bractwo am Ende des Tages noch einmal die Realität medizinischer Schwangerschaftsabbrüche: „Bei mir waren schon viele Frauen, die meinten: ‚Ich bin gegen Abtreibung, aber ich brauche eine!'" Nach zwei Stunden sind alle über die Grenze gelieferten Pillen verteilt. Die Women on Waves-Aktivisten sammeln ihre Drohnen wieder ein und gehen in das Hotel in Słubice, in dem sie vor einem kleinen Pressekreis noch einmal die Ereignisse des Tages schildern. Von Seiten der polnischen Polizei hatte sich niemand für die Aktion interessiert. Nur auf die Drohnen-Controller müssen Maaike und Mark noch warten, bis die deutsche Polizei ihre beschlagnahmte Ware wieder rausgerückt hat.