Debatte

Keiner denkt mehr, dass Kevin Kühnert ein kleiner Junge ist

Der Juso-Chef zeigt gerade, wie junge Leute den Alten immer noch Angst machen können.
Kevin Kühnert als konstruktivistisches Plakat im Sowjet-Stil
Foto Kühnert: imago | Uwe Steinert

"Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich,
dann bekämpfen sie dich, und dann gewinnst du."
nicht Mahatma Gandhi

"Egal, was du tust:
Geh den Deutschen nie an ihre Autos!"
– auch nicht Mahatma Gandhi (hab ich mir gerade ausgedacht)

Seit Mittwoch ist klar: Kevin Kühnert ist der schlimmste Mensch, der gerade in Deutschland herumläuft. Zumindest, wenn man dem konservativ-liberalen Establishment glaubt. Dinge, die sie dem Juso-Chef in den letzten beiden Tagen unter anderem an den Kopf geworfen haben:

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  • Er wolle die DDR zurückholen (Bild)
  • Er sei ein "verirrter Fantast" mit einem "verschrobenen Retro-Weltbild" (Verkehrsminister Andreas Scheuer)
  • Er sei auf Drogen (sein eigener Parteikollege Johannes Kars)
  • Er wolle für Deutschland "den schlimmsten Links-Faschismus des 20. Jahrhunderts, der mehr als 25 Millionen Menschen das Leben gekostet hat" (Bild-Politikchef Julian Röpcke)
  • Er sei im Grunde ein Nazi (mehrere Journalisten auf Twitter)

Gar nicht schlecht für einen, den die CDU letztes Jahr noch als den "niedlichen Kevin" belächelt hat. Wie hat er das gemacht?

Erstmal so: Kühnert hat der Zeit am 1. Mai ein Interview gegeben, in dem er ein paar Gedankenspiele darüber angestellt hat, wie Sozialismus in Deutschland aussehen könnte: Indem man Großkonzerne wie BMW kollektiviert, zum Beispiel, oder Privatbesitzern das Vermieten verbietet.

Klar, das sind steile Ideen, die man für nicht praktikabel, populistisch oder sogar völlig bescheuert halten kann – was auch viele Leute tun (andere finden, Kühnert habe auf jeden Fall einen Nerv getroffen). Aber die Wut, die gerade über den Juso-Chef hereinbricht, nur weil er öffentlich über Alternativen zum Kapitalismus nachdenkt, ist ziemlich einzigartig. Statt sich damit auseinanderzusetzen, belagert die Bild zum Beispiel seit Tagen führende SPD-Politiker, um ihnen eine Distanzierung von ihrem Parteikollegen abzupressen – als hätte Kühnert öffentlich verlangt, zuerst die BMW-Erben und dann alle Vermieter Deutschlands mit kollektivierten Heckler&Koch-Waffen erschießen zu lassen.

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Was seine Feinde aber richtig zur Weißglut treibt, ist, dass Kühnert nicht nur zu seinen Äußerungen steht – sondern weiter in die Offensive geht. Auf Spiegel Online erklärte er, er habe seine Forderungen "sehr ernst gemeint", und dass er sich von den empörten Reaktionen erst recht bestärkt fühle, den Kapitalismus noch deutlicher zu kritisieren.

Noch viel schöner war allerdings seine Antwort auf einen herablassenden Tweet von Carsten Maschmeyer: Kühnert machte daraus einen der wohl stärksten und befriedigendsten Bodyslams in der deutschen Twitter-Geschichte:

Der Hintergrund: Carsten Maschmeyer stellt sich selbst gern als genialer Investor dar, womit er es in der Höhle des Löwen immerhin dauerhaft ins Privatfernsehen geschafft hat. Die Leute, die sich mit seinen Geschäftspraktiken beschäftigt haben, halten Maschmeyer dagegen für einen "Abzocker" (ARD), "Drückerkönig" (NDR), einen Feind der Pressefreiheit (FAZ und Deutscher Journalistenverband) und gescheiterten Cum-Ex-Spekulanten (ich).

Kurz: Wenn er solche Verteidiger hat, braucht der Kapitalismus wirklich keine Feinde mehr.

Was können wir also daraus lernen, was mit Kevin Kühnert gerade passiert? Oder – aus anderen, aber irgendwie auch gar nicht so anderen Gründen – mit Greta Thunberg? Dass es ganz einfach ist, von den Alten ernst genommen zu werden. Man muss ihnen nur dahin gehen, wo es wirklich weh tut: an ihre Portemonnaies. Und vor allem an ihre Autos.

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