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Cadence Weapon - eine Kaltwetterfront zieht von Norden auf

Kanadas Raptalent spricht mit uns über Rap als Kunstform und warum Lil Wayne diese nicht beherrscht.

Den Namen Cadence Weapon könnte man mit Rhythmuswaffe übersetzen, wobei der militärische Ursprung leider etwas verloren geht: Kadenz heißt auch Gleichschritt. Kein Wunder, dass der kanadische Musiker Cadence Weapon viel mehr mit der disziplinierten Arbeit an seinen Sounds beschäftigt ist, als Gras zu rauchen oder mit Blingbling zu wedeln. Schaut man sich seine Diskografie an, hat Cadence den richtigen Weg eingenommen. Schon mit 19 Jahren tauchte er 2006 in der kanadischen Liste der „15 Artists to Watch“ auf und 2009 ernannte ihn seine Heimatstadt Edmonton, Alberta, zum Hofdichter. Sein neuestes Album Hope in Dirt City wird schon jetzt als ein genresprengendes Meisterwerk gefeiert.

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Im Gespräch offenbarte Cadence die großartigen Möglichkeiten für ihn, seine beiden größten Interessen miteinander zu verbinden: Geschichten erzählen und Musik zu machen - „Es ist als würde ich Basketball spielen und gleichzeitig Bier saufen“. Wir haben auch darüber gesprochen, dass Rap dank so moderner Produktionshilfen wie Autotune oder dieser Orwell'schen Maschinen, die Produzenten vorhersagen, ob ihr Song Geld einbringen wird oder nicht, beinahe ausgestorben ist.

Hey Cadence Weapon, ich möchte damit beginnen, dass ich dir erstmal zu deiner letzten Veröffentlichung Hope in Dirt City gratuliere! Ich habe mir heute Morgen das Video zu „Conditioning“ angesehen und es hat den ganzen Schlaf direkt weggeblasen und mich in den Tag katapultiert.
Oh, das ist toll. Weißt du, ich trinke überhaupt kein Koffein oder sowas, weil ich immer gleich hibbelig werde. Vielleicht hat mein Song dir ja so eine Art natürliches Koffein verpasst.

Auf jeden Fall. Keine Aufputschmittel, nur trockene Beats. Habt ihr das Video in Edmonton gedreht? Ich weiß, dass du dort aufgewachsen bist und dich in deinen Texten viel damit beschäftigst.
Nein, wir haben in Montreal gefilmt, wo ich schon seit drei Jahren immer mal wieder bin. Ich bin mit meinem Produzenten Tim Kelley durch mein Viertel gelaufen, um nach geeigneten Drehorten zu suchen. Am Ende sah das Video viel übler aus als erwartet. Das Lied handelt davon, Sport zu machen und zwar bei schlechtem Wetter und Tim hatte sehr viel Spaß daran, mich zum Rennen zu bringen und mich dabei nasszuspritzen obwohl es eh schon geregnet hat. Er sagte: „Du musst aussehen als würdest du rennen und schwitzen“ und ich schrie: „Das TUE ICH DOCH!“

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Etwa bei der Hälfte des Liedes fängst du an zu schreien – war das eine Reaktion auf Tims Folter?
Haha, nein, nein. Das geht darauf zurück, dass ich nicht an Genres in der Musik glaube. Für mich ist alles nur Popmusik. Als ich mit dem Song anfing, wollte ich eigentlich eine ganz minimalistische Rock'n'Roll-Nummer à la Bo Diddley/Chuck Berry. Deshalb schrie ich im Song ursprünglich nur über eine Drummachine. Doch dann hab ich mir gedacht, ich bin ein Rapper, ich sollte vielleicht ein bisschen in diesem Lied rappen. Also habe ich zurückgespult und gerappt.

Eine Menge der Menschen, die dein Album besprochen haben, nannten es genresprengend.
Dieses Album ist eine Hommage an all die Musik, die ich gehört habe als ich aufwuchs. Mein Vater war Radio-DJ und er zeigte mir alles an Musik – Funk, Soul, Rap – ich habe wahrscheinlich schon in der Gebärmutter Rap gehört.

Rap in der Gebärmutter? Das ist beeindruckend!
Haha, danke.

Im Jahr 2009 wurdest du zum Hofdichter von Edmonton ernannt. Ich würde vermuten, dass das eine sehr seltene Ehre für einen Rapper ist, obwohl es das eigentlich nicht sein sollte, oder?
Ich bin der einzige Rapper, den ich kenne, der Hofdichter einer Stadt ist. Und ich hoffe, es gibt keine anderen, dann würde ich mich weniger besonders fühlen. (Lacht) Anfangs kam es mir sehr komisch vor. Aber letztlich habe ich eine lange Geschichte in Bezug auf Gedichte und ich nehme das Schreiben sehr ernst. Seit ich ein Hofdichter bin, hab ich die tiefsinnigsten literarischen Rätselstücke geschrieben und sie der Welt dargebracht. (Lacht)

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Welche Rapper und Dichter haben den größten Einfluss auf dich?
Ich glaube, dass Rap meistens auch poetisch ist, aber den wohl größten Einfluss auf mich hat Saul Williams. Ein Rapper, der mit Sicherheit nicht die Anerkennung bekommt, die ihm gebührt, ist Q-Tip von A Tribe Called Quest. Er hat diese Zeile geschrieben: „Ich bin ein schwarzer Intellektueller, aber unkultiviert“. Eine großartige Zeile.

Q-Tip ist auf jeden Fall ein ziemlich guter Dichter. Rappt er nicht in „Excursions“ sogar über Shakespeare?
Ich glaube ja.

Ein Thema, das dich auf Hope in Dirt City beschäftigt, scheint die fehlende Dichtkunst in modernem Rap zu sein. Du sagst, Rapper seien zu sehr damit beschäftigt, in Blogs aufzutauchen und Gras zu rauchen, als dass sie noch Zeit für gute Musik hätten. Du fasst das vor allem in deinem Song „Hype Men“ in Worte.
Ja, in diesem Lied wollte ich sehr satirisch sein. Ich glaube das ist ein Ansatz, der im Rap bisher viel zu kurz gekommen ist.

Und in dem Song „The Machine“ zeigst du deine Unzufriedenheit damit, wie Musik heutzutage produziert wird, indem du Autotune als deinen Nemesis bezeichnest.
Dieses Lied ist in seinen Methoden sehr doppeldeutig. Ich rede über akustische Manipulationen, aber ich rede gleichzeitig auch über eine Story, die mir jemand aus der Musikindustrie erzählt hat. Er meinte, er wäre in ein Studio gefahren in dem es tatsächlich eine Maschine gab, in die Produzenten ihre Song einspielen konnten und die Maschine bewertete den Song dann auf einer Skala von 1 bis 100. Wenn der Song nicht gut abschnitt, wurde er nicht veröffentlicht.

Das ist schockierend!
Ich weiß!

Wie soll das überhaupt funktionieren? Wie sollte es nur eine Art von „guten Songs“ geben?!
Ganz genau!

Also versuchst du, die Sache möglichst real zu halten?
Ja. Wenn es etwas über kanadischen Rap zu sagen gibt, dann, dass er ehrlich ist - er versucht nie etwas zu sein, was er nicht ist. Wir hängen einfach ewig in der Kälte rum und denken über unsere Gefühle nach. Wir sind eigentlich wie Neil Young.

Ha, ich versuche mir gerade vorzustellen, wie Lil Wayne sich Neil Young als Vorbild nimmt.
Ja, das wird wohl niemals passieren. Aber ich bin so. Was mich am meisten an Rap interessiert, ist die Zeit, bevor er Rap war. Als die Leute sich noch ausprobierten - die Musik, die verrückten Outfits, Graffitis. Mich interessiert Rap als Kunstform.