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Interviews

Ben Khan macht es sich langsam in seinem Hype-Nest gemütlich

Der Londoner hat sich an die Aufmerksamkeit gewöhnt und ist bei unserem Treffen überraschend redselig.

Von 0 auf ausverkauft: Kaum veröffentlicht Ben Khan im letzten Jahr seine erste EP 1992 will einfach jeder etwas von dem 22-jährigen Londoner. Schließlich klingt seine Mischung aus tiefen Elektro-Beats und soulig-funkigen Versatzstücken wie ein verdammt erfolgsversprechendes Jugend-forscht-Projekt. Doch Khan fühlt sich zunächst von dem Erfolg überrannt, hält sich mit Worten und selbst mit neuen Sounds für eine ganze Weile zurück. Aber so langsam hat er es sich in seinem Hype-Nest gemütlich gemacht. Am 31. Mai soll nun seine zweite EP, 1000, erscheinen. Und mit einem Mal spricht er sogar wie ein Wasserfall über die musikalische Vorbildung durch seine Eltern, die Angst, schon den besten Teil seines Lebens hinter sich gebracht zu haben und darüber, dass er in seinem Leben am liebsten mehr Platz für wohltätige Zwecke einräumen würde. Geht doch!

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Noisey: Ich habe gelesen, dass du als Teenager Skater warst?
Ben Khan: Naja, ich war nicht wirklich gut… Aber wenn man außerhalb von London aufwächst, gibt es nicht viel mehr zu tun. Ich brauchte Adrenalinkicks und die habe ich mir durch das Skateboarden geholt. Mein erstes Skateboard bekam ich mit acht Jahren geschenkt. Von da an war es meine Ausrede dafür jede Menge Mist zu verzapfen. Ich wollte einfach nur Spaß haben, weil um mich herum alles langweilig erschien. Aber als ich dann nach London ging, habe ich mit dem Skateboarden aufgehört. Letztlich hat die Gitarre den Sport abgelöst.

Wann kam dein Interesse dazu, auch am Computer an Musik zu arbeiten?
Das folgte kurz darauf. Ich hatte die Gitarre zur Seite gelegt, weil ich durch eine ziemlich schlimme Zeit ging. Ganze vier Jahre habe ich sie nicht angerührt. Da habe ich mich lieber als Produzent versucht und mehr am Computer ausprobiert. Als ich dann wieder bereit für meine Gitarre war, hatte ich einen ganz neuen Ansatz. Ich wusste wie ich sie und den Computer auf eine Weise aufeinanderprallen lassen kann, dass es gut klingt. Eine fantastische Entdeckung!

War das ein bewusster Prozess?
Definitiv unbewusst. Aber ich versuche, meinen Verstand immer in Bewegung zu halten und mit neuen Eindrücken zu füttern. Ich tausche mich viel mit anderen aus, werde high, schaue Filme, lese… Ich mag besonders Comic-Bücher. Wie die von Alejandro Jodorowsky. Der ist einfach nur verrückt! Und wenn ich dann ins Studio gehe, nehme ich all diese Impressionen und mache etwas daraus.

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Was konntest du von der Plattensammlung deiner Eltern lernen?
Durch meine Mutter habe ich Fleetwood Mac kennengelernt. Als ich zum ersten Mal „The Chain“ hörte, hat mich das total umgehauen. Und mein Vater hat mich auf Michael Jacksons „Bad“ gebracht. Ich weiß noch wie ich dazu mal so heftig auf dem Sofa getanzt habe, dass ich herunterfiel und mir das Schlüsselbein brach. In dem Augenblick hatte ich noch gar nicht gemerkt, wie schlimm es war. Erst als ich mich auch zwei Wochen später noch aufgrund des Schmerzes in den Schlaf geweint habe, bin ich zum Arzt gegangen. Aber wenn man ein Teenager ist, findet man es noch ziemlich cool, wenn man sich etwas gebrochen hat (lacht).

Ben Khan / BRTHR from FRIEND on Vimeo.

Haben dir deine Eltern den Rücken gestärkt, als du den Wunsch geäußert hast, selbst Musik machen zu wollen?
Auf jeden Fall. Sie wollten immer, dass ich mein eigenes Ding durchziehe. Mein Dad ist selbst ein ziemlich erfolgreicher Zeichner und meine Mutter hat eine lange Zeit für einen Modedesigner gearbeitet. Als ich eine Gitarre wollte, waren sie sofort dafür und kauften sie mir sogar.

Lautes Üben im Kinderzimmer war also kein Problem?
Doch! (lacht) Da wollten sie plötzlich, dass ich ruhig bin und lieber meine Hausaufgaben mache. Nur hatte ich nie Lust darauf, etwas für die Schule zu tun. Die hat mich nicht interessiert. Ich wollte rund um die Uhr meinen Spaß haben. Was rückblickend ziemlich dumm war, denn so bin ich insgesamt von vier Schulen geflogen… Meine Mutter blieb trotzdem hartnäckig und wollte mich immer wieder dazu bringen, dass ich mich mehr an Regeln halte und nicht nur für Ärger sorge.

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Was hat dich erwachsen werden lassen?
Als ich vierzehn oder fünfzehn war, ist meine Mutter an Krebs gestorben. Da habe ich dann langsam verstanden: Das ist das echte Leben. Ich kann mir nicht andauernd alles versauen. Ich muss meinen Kram geregelt kriegen.

Stimmt die Behauptung, je älter man wird, desto ängstlicher wird man auch?
Damit habe ich mich in meiner Musik schon viel auseinandergesetzt. Speziell mit der Angst in der Jugend, die Jugend zu verpassen. Davon handelt auch der Song „Youth“. Es geht um die Sorge, dass man vielleicht schon jetzt seine besten Tage hinter sich hat. Wobei ich eigentlich glaube, dass dies totaler Quatsch ist. Der Philosoph Alan Watts vertritt die Meinung, dass es keine Vergangenheit und keine Zukunft gibt. Wenn man das Vergangene zu sehr an sich heranlässt, lebt man nicht im Jetzt. Und wenn man zu sehr in der Zukunft lebt, ist man ebenfalls nicht in der Gegenwart. Doch bedenkt man, dass es Vergangenheit und Zukunft nicht gibt, so existiert man demnach gar nicht. Man ist nur ein angsterfülltes Etwas. Wie schrecklich! Aber klar, ich verstehe das und bin auch ständig voller Sorgen. Nur versuche ich da irgendwie eine Balance zu finden. Ein allzu konzeptuelles Nachdenken über das Kommende lehne ich ab. Aber auf künstlerische Weise liebe ich es. Elon Musk, Arthur C. Clarke und Salvador Dalí geben mir viel mit ihren Ansichten über die Zukunft. Damit beschäftige ich mich gerne.

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Was nimmst du dabei für dich heraus?
Ich denke, es geht darum, der Fantasie ihren Lauf zu lassen. Egal, welcher Unsinn dabei herauskommt. Das hat etwas Kindliches, Spaßiges. Die Zukunft erlaubt genau das. Wie zum Beispiel: Was passiert, wenn ein Roboter, der ja keinen eigenen Willen besitzt, einen Menschen umbringt? Ist das Mord? Wer ist dafür verantwortlich? Die Firma, die den Roboter hergestellt hat? Oder doch irgendwie der Roboter? So ein Gedankenspiel finde ich interessant. Und es ist doch Wahnsinn, wenn man sich überlegt, dass man vielleicht so lange leben wird, um all das noch mitzukriegen.

Welche anderen Themen faszinieren dich derzeit?
Ich habe neulich die BBC-Dokumentation „Bitter Lake“ geschaut. Die hat mir komplett die Augen geöffnet. Es ging dabei darum, was alles in Afghanistan von 1940 bis heute schief gelaufen ist. Es ging um die Art der Beziehungen, die Afghanistan mit Amerika, Großbritannien und auch Russland hatte. Und es wird der Bogen bis hin zu ISIS geschlagen. Ein Thema, um das man ja in den Nachrichten nicht herumkommt. Ich versuche immer wieder, ein bisschen mehr darüber herauszufinden.

Es ist schwer nachzuvollziehen, wozu Menschen im Stande sein können.
Wir sind einfach zu allem fähig! Du kannst die netteste Person der Welt nehmen und sie in einen Teufel verwandeln und andersherum. Es geht immer nur um den Kontext und die Umgebung. Erst sie machen uns zu dem, wer wir sind. Ich habe eine Weile Psychologie studiert und mich mit solchen Sachen wie dem Milgram-Experiment beschäftigt. Das ist doch krank! Als ich meinen Vater in Indien besucht habe, wurde ich auch mit etwas konfrontiert, mit dem ich noch immer nicht umzugehen weiß… Da gibt es sehr viele Bettler auf den Straßen. Es ist dort noch viel schlimmer als in Europa. Man sieht Babys mit fehlenden Gliedmaßen, die von ihren Müttern herumgetragen werden. Ich frage mich, wieso keiner etwas dagegen unternimmt? Und wieso ist es mein Nichtstun nicht genauso schlimm wie eine unschuldige Person zu erschießen?

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Diese große Grauzone macht mir schon lange zu schaffen. Also gab ich einer Frau und ihrem Kind ein bisschen Geld. Mein Vater erklärte mir daraufhin, dass er nicht wüsste, ob ich das wirklich hätte tun sollen. Er sagte, dass manche Menschen in Indien daraus ein Geschäft gemacht hätten. Sie würden die kleinen Kinder mit voller Absicht verstümmeln. Ihnen zum Beispiel einen Arm abhacken. Das ist doch Irrsinn! Ich fühle mich oft schuldig, weil ich mein Leben nicht damit verbringe etwas gegen solche Missstände zu unternehmen. Wenn man einmal so etwas gesehen hat, vergisst man das nicht wieder. Außer man ist total ignorant. Und das ist ja irgendwie auch jeder bis zu einem gewissen Teil. Ich auch. Ich fahre zurück in mein Haus in England und esse mein gutes Essen, gehe auf Tour und so… Ich bin genauso schuldig wie der Rest von uns.

Ben Khan- "Youth" from BRTHR on Vimeo.

Wenn man dich so reden hört, liegt die Vermutung nahe, dass es dir nicht geschadet hat, der Schule kein Interesse entgegenzubringen. Du scheinst dich auf deine Weise weitergebildet zu haben.
Ja, Schule war mir nicht wichtig. Ich habe für mich selbst herausgefunden, was ich spannend finde und mich damit mehr beschäftigt. Die Infrastruktur der Schule funktioniert eben nicht für jeden. Ich habe auch ein massives Problem mit dem Bildungssystem. Es bräuchte da einfach ein paar Innovationen. Denn die Kinder werden heutzutage immer noch so unterrichtet als würden wir im Industriezeitalter leben. Als müssten alle nur darauf vorbereitet werden, in Fabriken zu arbeiten. Das ist doch altbacken! Macht mal was Neues!

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Deine Musik ist auf jeden Fall etwas sehr Neues. Du bringst darin viele verschiedene Stile zusammen, so dass es schwierig ist, sie zu beschreiben.
Dabei denke ich gar nicht so viel darüber nach. Was klappt, das klappt. Es ist mir egal in welche Richtung es geht, so lange es mir gefällt. Ich muss keinem Genre entsprechen, so lange es nur wirklich nach mir klingt.

Das hört sich sehr selbstbewusst hat.
Das muss ich auch sein. Schließlich mache ich ja alles selbst. Die Musik, die Produktion, die Texte und das Singen… Ich würde nie etwas veröffentlichen, wenn ich nicht richtig zufrieden damit wäre. Wobei ich jetzt erst herausgefunden habe, dass es noch einmal etwas komplett anderes ist, wenn man auf einer Bühne steht. Da kann man dann schon mal zweifeln und sich fragen, ob das nun tatsächlich gut ist. Aber so ist es wohl immer am Anfang.

Du kannst die 1000 EP bei Amazon und iTunes kaufen.

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