Das neue Video von Niveau Zero ist das Erschreckendste und Faszinierendste, was wir seit langem gesehen haben

Das Unfassbare erwischt einen ja immer aus dem Kalten. Wisst ihr noch, was ihr am 11. September gemacht habt? Natürlich wisst ihr es. Und, war irgendwas anders an diesem Dienstag im Jahr 2001? Morgens, als ihr aufgestanden seid? Nein, es war wie immer.

Mir ging‘s heute ganz ähnlich, ich bin normal zur Arbeit gegangen, die Sonne schien und ich habe mich darüber gefreut, dass ich nicht wie gestern frieren musste. Dann habe ich mich ganz normal an die Arbeit gemacht. Und plötzlich steht halb Paris in Flammen!

Ich habe natürlich sofort Spiegel Online, SZ.de und Le Monde gecheckt—alles ganz normal. Puh. Aber das neue Video von Niveau Zero feat. Aucan ist echt brutal echt. Also realistisch. Und richtig fies. Und unglaublich faszinierend, wie nur erschreckend Böses faszinieren kann. Ich versuche mal mit euch gemeinsam meine Gefühle beim Schauen des Clips durchzugehen.

Fängt ja alles ganz nett an, nur ein kleines bisschen bedrohlich ist die Stimmung zu Beginn, mit dem einsamen, in seinem erleuchteten Glas kreisenden Goldfisch in einem düsteren Keller. Was ist mit diesem Fisch, fragen wir uns, und warum blinkt eine verlassene Lichterkette mit letzter Kraft ihr schwaches Licht in die dunklen Ecken des Kellers? Ein einsames Weihnachtsfest?

Es ist wie in einem guten Thriller: Wir sehen nicht viel, die Szenerie ist verwirrend, aber unfassbar spannend. Wir spüren, hier wird gleich etwas Unvorhergesehenes passieren.

Und BUFF, es passiert etwas: Der Fisch explodiert.

Weiter gehts. Wir sehen einen Mann, der im dunklen Keller irgendetwas lötet. Nur die Gutgläubigsten unter uns vermuten, dass er etwas Harmloses im Schilde führt. Die meisten spüren: Der schraubt nicht an der kaputten Fernsteuerung seines Modellhubschraubers.

Weiterer Hinweis darauf, dass mit dem Kerl etwas nicht stimmt: Er benutzt noch immer MS-DOS als Betriebssystem seines Computers, der letzte, der das gemacht hat, war Neo bei Matrix.

Aaah, eine Marienstatue. Die Zeiten, in der das als gutes Zeichen gedeutet worden wäre, sind längst vorbei (falls es solche Zeiten jemals gab).

Die Vorahnungen bestätigen sich langsam, dank unserer Vorurteile: Der Mann ist tätowiert, boxt und und trinkt Wodka direkt aus der Flasche. Dann packt er nicht weiter zuzuordnende Behältnisse in eine Sporttasche. Druckkochtöpfe?

Schnitt: Die Musik beginnt, der Mann tritt aus der Tiefgarage ins Licht, Panoramaschwenk über Paris. Schön. Hoffnung keimt in uns auf, dass wir doch falsch lagen mit unserer Annahme, die auf durch diverse Terroranschläge der letzten 12 Jahre wieder geweckten Urängsten beruhte. Vielleicht will der Mann gar nichts Böses?

Oh doch, er will. Er läuft die berühmte Treppe am Montmartre hinauf, blickt auf die Basilika, einen Moment zu lang.

Dann passiert es.

Uns ist jetzt spätestens klar, dass das nicht das Ende sein kann, sondern nur der Beginn. Ein Amoklauf mitten aus der Gesellschaft, keine Bedrohung von außen, sondern ein Mitglied der Société, der sich an einer Welt rächt, die ihre Natürlichkeit verloren hat.

Und dann tauchen wir selbst auf, fassungslos sitzen wir vor dem Fernseher, beobachten ängstlich durch die Röhre, was vor unserer Haustür passiert. Der Fernseher als Schutzschild, der uns die Realität gleichzeitig näher bringt und uns Distanz vorgaukelt.

Die Explosion des Tour Montparnasse, des höchsten Gebäudes von Paris. Erinnerungen werden unweigerlich wach. Kurz innehalten: Wir befinden uns noch immer in einem Musikvideo.

Während Paris brennt, besorgt sich unsere Hauptfigur einen neuen Goldfisch. Wie ist das zu verstehen? Will er sich wirklich ein neues Haustier holen, um nicht mehr allein sein zu müssen oder sieht er es als Befreiung aus dem Käfig einer Zoohandlung?

Letzte Szene: Der Mann gibt den Goldfisch in das Glas. Alles wieder auf Anfang. War alles nur eine Phantasie? Steht der Goldfisch für das letzte bisschen Natur in einer durch und durch vom Menschen geschaffenen und bis zur Perversion ausgeformten Welt? Wir wissen es nicht. Aber das Video ist das Krasseste, Erschreckendste und Faszinierenste, was wir in den letzten Monaten gesehen haben.

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Ayke fragt sich, warum die besten Videos immer aus Frankreich kommen. Kreative deutsche Videofilmer, wo seid ihr? Falls es euch gibt, folgt Ayke bei Twitter: @tamidemusic

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