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Interviews

Miss Platnum hat sich umgebracht und anschließend wiederbelebt

Es ist oft seltsam, wenn Musiker plötzlich auf einer anderen Sprache singen. Bei Miss Platnum nicht: Sie durchlebt mit ihrem neuen Album eine deutschsprachige Reinkarnation.

Es gibt nichts Schlimmeres, als mit „Stars“ ein Interview zu führen, die entweder keinen Bock haben, sich den Fragen eines Journalisten zu stellen, oder einfach nur beschissene 0815-Antworten geben, mit denen man nichts anfangen kann und die jeder andere Journalist am Pressetag ebenfalls zu hören kriegt. Kein Wunder, dass so manch einer von uns vorsichtshalber schon mal entscheidet, das Interview mit bestimmten Künstlern aus persönlichen Gründen zu meiden.

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Bei Miss Platnum ist das anders. Die Sängerin hat keine Starallüren. Wahrscheinlich ist sie deshalb der beste Gesprächspartner, den man sich als Journalist vorstellen kann. Sie weiß, wie man cool und professionell bleibt. Auch während eines Presse-Marathons bleibt sie sachlich, konzentriert und lässt sich auf jede Fragen ein. Dabei weiß ich, dass ihr zumindest meine erste Frage bereits in hundert verschiedenen Varianten gestellt wurde. Denn auf ihrem neuen Album Glück und Benzin, das am 14. März bei Four Music erscheint, singt sie nur noch auf Deutsch. Das Englisch hat sie abgelegt, die Kunstfigur Miss Platnum, erklärt Ruth Maria Renner, wurde damit begraben.

Und trotzdem lebt Miss Platnum weiter. Sie sitzt ja vor mir. In einem Konferenzraum des Michelberger Hotels, an einem großen Tisch, auf dem Früchte, Brownies, Muffins und alle möglichen Snacks stehen. Dass sie gern isst, weiß man spätestens, seit man ihren Song „Give Me The Food“ gehört hat. Und dass Essen glücklich macht, ist eh Common Sense. Und dass Miss Platnum ein glücklicher Mensch ist, wusste ich spätestens, als sie sich voller Interesse meinen Fragen widmete.

Noisey: Für Glück und Benzin hast du dich entschieden, nur auf Deutsch zu singen. Deine Fans werden bestimmt verwundert sein.
Miss Platnum: Ich bin halt an Grenzen gestoßen, mit dem, was ich vorher gemacht habe. Ich hatte irgendwie keinen Bock mehr auf diese Kunstfigur Miss Platnum, ich wollte das alles zugänglicher machen. Durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen deutschen Künstlern und guten Freunden, wie Peter Fox, Marteria oder Yasha, wurde das mit dem deutschen Gesang irgendwann ganz normal und natürlich für mich. Plötzlich dachte ich „Okay, ich trau mir das zu“, obwohl ich eine ganze Weile gesagt habe, dass ich niemals eine Platte auf Deutsch machen würde, weil ich deutschen R&B sehr schwierig finde. Oft wird der Fehler gemacht, dass man englische Texte direkt ins Deutsche übersetzt. Das wollte ich auf keinen Fall. Ich wollte, dass mein Stil, mein Humor und meine Art, mit Sprache umzugehen, weiterhin speziell bleibt, wie auf meinen anderen Platten auch.

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Dass du deutschen R&B schwierig findest, hast du schon häufiger gesagt. Was macht der deutsche R&B falsch und wie macht Miss Platnum ihn besser?
Ich glaube, viele unterschätzen einfach die deutsche Sprache. Wenn du dir zum Beispiel eine Platte von Drake anhörst, klingt das alles voll geil, aber das kann man einfach nicht ins Deutsche übersetzen. Wir, also die Leute, mit denen ich getextet habe, haben uns zur Aufgabe gesetzt, eine R&B-Sprache zu entwickeln, die nur zu mir passt. Zum Beispiel so ein Satz wie „Hab' 99 Probleme, aber keins mit meinem Mann“, das ist zwar ein Zitat, aber wir haben das so umgedreht, dass das nur auf mich passt. Das war wichtig, weil das Ganze so eine persönliche Note bekommt und in jedem Satz etwas steckt, was meinen Charakter ausmacht. Das machen Rapper ganz viel. Ich habe halt auch mit vielen Rappern geschrieben und deshalb etwas anders gemacht als jemand, der nur einfach so R&B-Texte schreibt.

War es dein Ziel, deutschen R&B mit deiner Platte neu zu erfinden?
Nicht direkt. Ich bin ein wahnsinniger Fan von R&B, hatte aber kein richtiges Beispiel, kein richtiges Vorbild und deswegen ziemliche Berührungsängste, weil ich dachte, dass das gar nicht auf Deutsch geht.

Wann kam der Punkt an dem du dachtest: „Ich mach das jetzt“?
Als ich es mir irgendwann zugetraut habe (lacht). Ich habe mir damals gesagt, „Ich glaube, ich könnte das irgendwie verändern, ich könnte vielleicht eine Platte auf Deutsch machen, die ich selber geil finde“, weil ich deutsche Musik halt auch echt geil finde. Deutscher R&B ist nur schwierig.

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Ist es dir schwer gefallen, auf Deutsch zu singen?
Total, das ist ein riesiger Unterschied. Es hat nicht umsonst drei Jahre gedauert, bis diese Platte fertig wurde. Das hatte natürlich auch ganz viel mit den Texten zu tun. Bis man wirklich alles auf den Punkt bringt, und guckt, dass es nicht zu kitschig, aber auch nicht zu durchdacht und durchgeackert ist, und das Ganze trotzdem noch eine Emotionalität behält und eine Frische hat… das zu schaffen ist nicht so einfach, wie man denkt.

Vor 25 Jahren musstest du aus Rumänien fliehen. Bist du noch sehr heimatverbunden oder siehst du Berlin als deine Heimat?
Ich sehe Berlin schon als meine Heimat, aber ich glaube, Rumänien wird immer Heimat in meinem Herzen bleiben, weil ich mich da total zu Hause fühle. Aber jetzt lebe ich ja hier. Mein ganzes Umfeld ist hier, alles was ich in den letzten 25 Jahren erlebt habe und was mich geprägt hat, kommt von hier. Trotzdem werde ich meine Kindheit so schnell nicht vergessen. Die war sehr speziell. Ich bin auf einer Wetterstation aufgewachsen, das macht sicherlich sehr viel von meinen Charakter aus. Ich weiß, wie es ist, in einem Land zu leben, wo es nicht alles im Übermaß gibt und wo man für eine Tüte Milch um 5 Uhr aufstehen muss, weil es um 7 Uhr schon keine mehr gibt. Natürlich vergesse ich das auch mal, lebe hier ganz normal im Überfluss und feier das auch voll ab. Aber ich versuche mich trotzdem immer mal wieder daran zu erinnern, dass das nicht das Wichtigste im Leben ist. Man kann auch mit wenigen Dingen sehr glücklich sein.

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Die Medien lieben es, das Wort „Integration“ zu benutzen. Ist es dir damals schwer gefallen, dich als Rumänin in Berlin zu integrieren?
Mir ist es nicht schwergefallen. Es ist eher den anderen schwergefallen, mich anzunehmen.

Inwiefern?
Ich wurde als Kind oft gehänselt. Ich hatte eine fette Hornbrille mit Lupen-ähnlichen Gläsern, weil ich früher geschielt habe, hatte von allem immer nur die Aldi-Variante, keinen Scout-Rucksack, sondern halt die Aldi-Version, keine Scout-Federmappe, keine Levis-Jeans. Das ist schon krass, weil Kinder halt auf so etwas achten. Ich war früher eher schüchtern, still, war gut in der Schule. Wenn da plötzlich jemand steht, der anders spricht, sich anders verhält, dann ist man anderen schnell ein Dorn im Auge. Ich bin da aber immer entspannt geblieben und habe das nicht mit Aggressionen ausgetragen, sondern mit Geduld. Klar gab es auch Momente, in denen ich mich wehren musste, ich habe auch mal einem Mädchen eins in die Fresse gehauen. Aber das kam eher selten vor, weil ich wusste, das bringt nichts und macht alles noch schwieriger.

Das Video zu „99 Probleme“ hast du in Rumänien gedreht. Du bist also weiterhin öfter zu Hause.
Ja. Wenn ich zwei, drei Jahre nicht da bin, krieg ich immer so ein Kribbeln. Dahin zu fahren ist halt wie Auftanken. Da ist einfach noch ein Teil von mir, diese Mentalität erlebe ich nur da. Es tut mir sehr gut, die Leute eine Zeit lang um mich zu haben und dieses familiäre Gefühl zu bekommen, die Gastfreundlichkeit zu erleben, Schnaps zu trinken. Das finde ich schön.

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Kannst du mir mal verraten, welche deiner Eigenschaften deutsch, und welche rumänisch sind?
„Gläser an die Wand“ ist auf jeden Fall rumänisch. Typen untern Tisch saufen ist auch rumänisch, glaub ich.

Kannst du das?
Joa, wenn ich gut in Form bin (lacht).

Und was noch?
Ich bin wahnsinnig unpünktlich, das ist nicht sehr deutsch. Dafür bin ich ehrgeizig, aber jetzt nicht fanatisch ehrgeizig. Vielleicht bin ich doch rumänischer als ich dachte. Ach so, ich bin sehr ordentlich und recht gut organisiert. Das ist vielleicht auch sehr deutsch (lacht).

Leider hört man immer wieder von Vorurteilen, die mit Osteuropa in Verbindung gebracht werden. War es dir wichtig, mit deiner Musik gegen diese Vorurteile anzukämpfen?
Mit dieser Platte eigentlich nicht mehr. Damals war es mir schon wichtig, auch mal durch Ironie Klischeebilder des Landes anzusprechen. Zum Beispiel wollte ich auf dem Song „Come Marry Me“ dieses Klischeebild der rumänischen Frau, die den reichen Mann heiraten will, parodieren, um zu zeigen wie dumm es ist, so zu denken. Ich glaube schon, dass Rumänien sehr einseitig gesehen wird, gerade was Themen wie Migration oder Kleinkriminalität angeht. Aber fahr mal nach Bukarest, fahr mal nach Timișoara, da ist das alles ganz anders. Ich finde es schön, wenn ein Land trotz der Globalisierung noch seine charakteristischen Merkmale behält und es halt nicht überall Internet gibt. Es ist was Schönes für mich, in ein Dorf zu kommen und zu denken „Krass, hier ist die Welt stehengeblieben“.

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Diese Orte sind bestimmt auch gut, um entspannt eine Platte aufzunehmen.
Total. Meine ersten beiden Platten habe ich in Rumänien im Haus meiner Eltern aufgenommen. Für Glück und Benzin sind wir auch weggefahren, sind aus Zeitgründen aber eher Richtung Umland, in die Uckermark und nach Brandenburg, und haben da verschiedene Text-Camps gemacht. Wir waren auch in einem Studio in Spanien. Es lohnt sich für uns immer, möglichst aus unserem Alltagsleben rauszukommen, sodass man gar nichts machen muss, außer aufstehen, hinsetzen, texten, sich an den Rechner setzen, und aufnehmen. So kann man sich wirklich zwei, drei Wochen konzentrieren. Da schafft man meistens so viel in drei Wochen wie hier in drei Monaten.

Warum hast du deine Musik eigentlich nie genutzt, um umstrittene Themen anzusprechen, die dein Herkunftsland geprägt haben oder noch prägen, wie zum Beispiel deine Wahrnehmung des Ceaușescu-Regimes, Kindeshandel, oder ähnliches?
Ich finde, dass Musik dann sehr schnell zu politisch wird und muss zugeben, dass ich mir das nicht zutraue, politische Lieder zu schreiben. Ich glaube, das können noch weniger Leute, als die, die versuchen, deutschen R&B zu machen (lacht). Das ist ein Gebiet, auf dem man sich mit den Dingen auseinandersetzen und wirklich gut informiert sein muss. Man kann nicht einfach sagen „Ich schreibe jetzt einen Song über Globalisierung“, nur weil das gerade Thema ist.

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Welche Themen behandelst du denn aus deiner Sicht?
Aus meiner Sicht geht es um die emotionalen Auf und Abs, die man erlebt. Ich glaube, dass sich mein Alltag immer sehr in meiner Musik wiederspiegelt. Auch Existenzängste und Fragen wie „Wer bin ich?“, „Was mache ich hier?“ und „Was soll ich mit all diesen Gefühlen anfangen?“ sind Themen, die mich beschäftigen.

Also ist deine Musik auch irgendwie therapeutisch für dich.
Schon. Aber manchmal ist es auch umgekehrt. Dass ich einen Song über Trennung oder Trauer schreibe, auch wenn meine Beziehung eigentlich glücklich ist und ich mich da so reinsteigere, dass ich das mit nach Hause nehme oder sich das auf mein Leben überträgt. Es ist dann manchmal gar nicht so leicht, das auseinanderzuhalten.

Früher waren deine Werke eine Mischung aus Berlin, Rumänien und Balkan im Allgemeinen. Was steckt jetzt in der deutschsprachigen Platte?
Berlin, und Balkan, und Rumänien…(lacht)

Also hat sich außer der Sprache nichts geändert?
Es ist halt anders. Von der Musik ist es schon sehr Berlin-mäßig, die Platte ist sehr urban, vereint HipHop, R&B und Elektro, das alles kennt man ja von hier. Der Balkan ist jetzt nicht mehr so plakativ, aber noch da, zum Beispiel im Song „Letzter Tanz“. Ich finde auch, dass dieser leicht schunklige Beat von „Kleiner Schmerz“ im weitesten Sinne Balkan ist, aber halt nicht mehr so auf die Fresse. Ich wollte das ein bisschen ablegen, damit meine Arbeit homogener wird, und man sich keine Gedanken mehr darüber machen muss, ob das jetzt Balkan, oder einfach nur R&B ist. Es ist eine Mischung aus allem. Das gerollte „R“ gibt es auch nicht mehr.

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Stimmt, früher hast du das „R“ auf Songs noch gerollt.
Du hörst ja, wie ich gerade rede. Ich habe keinen Akzent. Wenn ich jetzt auf Englisch mit dir reden würde, würde ich auch nicht die ganze Zeit das „R“ rollen. Das war damals ganz klar ein Stilmittel, welches ich bewusst eingesetzt habe. Damit wollte ich Ruth und Miss Platnum einfach nur auf natürliche Art und Weise vereinen.

Du bist auf dem neuen Album von Marteria ziemlich präsent. Letztes Jahr hast du mit Yasha und ihm die extrem erfolgreiche Lila Wolken EP veröffentlicht. Kann man euch mittlerweile als Crew bezeichnen?
Wir sehen uns schon sehr lange als Crew. Ob mal ein richtiges Album kommt? Könnte sein. Ausgeschlossen ist das nicht. Als wir Lila Wolken gemacht haben, waren wir alle gerade dabei, unsere Solo-Platten aufzunehmen. Während die Krauts parallel unsere Solo-Alben produziert haben, dachten wir, wir machen mal eine EP, um die Zeit zu überbrücken. Das hat wunderbar geklappt.

Trotzdem singst du auf „99 Probleme“, „Guck mal nach im Netz was die Masse so sagt, sie finden ‚Lila Wolken‘ gut, doch hassen meinen Part“.
Das passt gut zu meiner Line „Mache keine Musik für kleine Mädchen und Jungs“. Ich glaube, irgendwelche kleinen Mädchen und Jungs, ich schätze mal Fans von Marteria, müssen sich am Anfang, als der Song gerade frisch rauskam, gefragt haben „Äh, wer ist denn bitte diese Miss Platnum? Voll der scheiß Part, geiler Song, aber ihr Part ist echt scheiße“. Ich habe mir das dummerweise alles im Internet durchgelesen. Drei Jahre später dachte ich, das einfach mal erwähnen zu müssen. Die Kids sollen merken, dass wir uns das durchlesen, wir machen die Musik ja auch für sie. Ungeil ist nur, dass viele von ihnen nach 20 Sekunden schon einen Kommentar abgeben, ohne sich die Sachen richtig reingezogen zu haben. Auch wenn ich das als einen sehr intoleranten Umgang mit Musik und der Kunst sehe, ist es im Nachhinein ziemlich belustigend.

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Nichtsdestotrotz muss der Erfolg von „Lila Wolken“ dir viel bedeutet haben, oder?
Klar. Vor allem als der Song richtig groß wurde. Dann hat nämlich niemand mehr was gesagt. Dann waren alle ganz still. Wahrscheinlich haben die Hater dann auch gesagt, dass sie die Musik eigentlich ganz geil finden.

Du hast gesagt, die Kunstfigur Miss Platnum wurde begraben. Aber ist Miss Platnum wirklich tot?
Nein. Es lebe Miss Platnum. Durch den Tod der Kunstfigur ist zwar ein Teil von ihr gestorben, gleichzeitig ist aber auch ein ganz neuer Teil geboren.

Glück und Benzin erscheint am Freitag bei Four Music. Das Album bekommt ihr bei iTunes oder Amazon und bei Spotify.

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