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John Reis ist ein nie versiegender Quell der Weisheit

John Reis über Wichsen im Tourbus, ewige Jugend und Sinn und Unsinn von Re-Unions.

Foto: Christoph Voy

Wir lieben Speedo alias John Reis. Also mit Sicherheit auch in der Hinsicht, dass er ein verdammt attraktiver, charmanter und witziger Kerl ist. Vor allem aber für all die Bands, in denen er gespielt hat und teilweise immer noch spielt. Für Drive Like Jehu, für Rocket From the Crypt, für Sultans, Hot Snakes, Night Marchers und so weiter. Und momentan lieben wir ihn besonders dafür, dass er endlich sein Label Swami Records reaktiviert hat, um das nicht weniger als grandiose Mrs. Magician-Album zu veröffentlichen. Genau darüber, aber auch solche Dinge wie die Re-Union der Hot Snakes, über Re-Unions im Allgemeinen und seinen Masturbationshabitus sprachen wir mit ihm, als er das letzte Mal mit den Snakes in Berlin spielte.

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Noisey: Ihr spielt momentan weitaus mehr Shows in Europa als in den USA. Warum das?
Speedo: Naja, die ganze Sache kam ins Rollen, weil uns Les Savy Fav gefragt hatten, ob wir einen Tag beim All Tomorrows Parties-Festival kuratieren würden. Sie fragten dann Rick, ob Hot Snakes an diesem Tag spielen würden. Er rief uns an und wir hielten das für eine coole Sache. Wir dachten uns, wenn wir schon mal in Europa sind, dann können wir auch gleich noch ein paar weitere Shows spielen. Und jetzt sind wir hier.

Also seid ihr mehr oder weniger zufällig wieder zusammen gekommen?
Yeah … also ich würde es vielleicht nicht Zufall nennen. Oder vielleicht doch. Was diese Re-Union-Sache angeht: die Band war in unseren Köpfen noch nicht so weit weg. Unsere aktive Zeit mit den Hot Snakes liegt ja noch nicht besonders weit zurück. Wir erinnern uns noch gut an die Songs. Ich würde nicht sagen, dass es einfach ist, wieder zusammen zu spielen, aber es ist weitaus einfacher, als eine Sache wiederaufzunehmen, die vielleicht zwanzig Jahre zurückliegt.

Ihr seid ja ohnehin eine Band, die nur selten proben kann. Welcher Einsatz war nötig, um wieder auf das alte Level zu kommen?
Ich würde sagen, dass wir noch nicht auf dem alten Level sind. (lacht) Vielleicht nach ein paar Shows.

Ach was, dann wird das heute Abend eine langweilige Show?
Nein, nein, keine Sorge. Es wird gut. Aber du sprachst ja vom gleichen Level. Wir haben ja früher immer so um die 30 Shows am Stück und ohne Pause gespielt. Es ist schwierig, diese Routine wieder zu entwickeln. Wir sind ja auch älter geworden.

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Es sieht so aus als würde die heutige Zeit weniger neue essentielle Bands hervorbringen als legendäre alte Bands reaktivieren. Wie stehst du dieser Re-Union-Welle gegenüber?
Soll ich dir was sagen? Das war doch schon immer so. Wir sind vielleicht in einem Alter, in dem man das Gefühl hat, dass es gerade jeder macht. Aber das war vor ein paar Jahrzehnten auch nicht anders. Ich kann mich daran erinnern, dass ich Bands aus den Sechzigern gesehen habe, als ich jünger war. Sie kamen wieder zusammen und spielten Shows in den Achtzigern. Und das gleiche passiert eben heute auch. Als wir zuletzt mit den Night Marchers auf Tour waren, spielten in den Clubs außer uns nur Bands, die sich aufgelöst hatten und wieder zusammen gefunden hatten. Ich habe keine eindeutige Meinung dazu, kenne aber natürlich die Gründe dafür.

Na dann erzähl doch mal …
Es gibt verschiedene Gründe. Nummer eins: Die Leute sind pleite. Wenn du also auf Tour gehen kannst und dabei mehr verdienst als in der Zeit, in der die Band zuerst aktiv war, dann machst du das natürlich. Dazu kommt, dass dich mehr Leute mögen als früher und es sich dadurch auch besser anfühlt. Es fühlt sich möglicherweise auch wichtiger an, weil das Interesse des Publikums gewachsen ist. Außerdem siehst du bestimmte Dinge nach einer gewissen Zeit einfach anders. Du stellst fest, dass die Dinge, die dir damals so wichtig vorkamen, gar nicht so wichtig sind und du stellst fest, dass es tatsächlich nur darum gehen sollte, Spaß zu haben und das zu tun, worauf du auch wirklich Lust hast. Viele Bands trennen sich, weil sie irgendwann beginnen, sich untereinander zu hassen. Dann werden sie älter und stellen fest: ‚Ach, er ist doch gar nicht so ein großes Arschloch, wie ich immer dachte.’ Erst bist du davon genervt, dass der eine Typ in deiner Band immer im Tourbus masturbiert und dann bekommst du selbst ein Kind und erwischst es regelmäßig beim Masturbieren und das Ganze verliert plötzlich die Dramatik.

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Oder der Typ von damals ist mittlerweile zu alt und bekommt keine Erektionen mehr.
Siehst du, du hast es auch durchschaut.

Also keine Masturbationskonflikte mehr bei den Hot Snakes?
Nicht im Geringsten. Ich habe es nicht ein einziges Mal in den letzten zwei Wochen gemacht.

Echt? Dann wirst du ja wirklich langsam älter.
Nein! Ich bin einfach nur so beschäftigt. (lacht)

Ah ja, klar.
Und außerdem liegst du ständig neben einem dieser Typen. Da kommt man einfach nicht in Stimmung. Es ist einfach keine denkbare Option. Aber wenn es dir nichts ausmacht, könnte ich mich jetzt kurz drum kümmern. (lacht)

Hey, nur zu! … Als wir uns das letzt Mal trafen, unterhielten wir uns über das Alter und du sagtest, du hättest kein Problem zu altern, du würdest nicht ins Gym gehen, du würdest keine Diäten einhalten, dich nicht operieren lassen, sondern es nehmen, wie es kommt. Dann kamst du ein paar Jahre später mit den Night Marchers zurück und sahst fünf Jahre jünger aus. Was ist da passiert?
Äh … keine Ahnung? Ich kümmere mich immer noch nicht besonders darum. Ich nehme es immer noch wie es kommt. Ich bin einfach gesegnet.

Du hast den Jungbrunnen gefunden?
Ja genau. Ich hab schon ein bisschen Sport gemacht und bin gelaufen. Aber dann haben meine Gelenke gestreikt und ich konnte nicht mehr laufen. Ich hatte da so eine Sache im Nacken. Ich konnte auch lange nicht Gitarre spielen. Das jetzt sind die ersten Shows nach einer längeren Auszeit.

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Musstest du operiert werden?
Nein, es war eine seltsame Verletzung. Ich war bei fünf Ärzten und keiner konnte genau sagen, was es ist.

Und du weißt nicht, ob es vom Spielen kommt?
Doch, es kommt definitiv vom Spielen. Man kann nicht einer einzigen Sache die Schuld geben. Es liegt einfach an den letzten 25 Jahren körperlicher Belastung. Aber jetzt ist es wieder ganz gut ausgeheilt.

Ich vermute mal, die folgende Frage wirst du nicht zum ersten Mal gestellt bekommen. Wenn nun die Hot Snakes zurück sind, wann kommen dann Rocket From The Crypt zurück?
Es haben in der Tat schon Leute danach gefragt. Die Antwort fällt mir relativ leicht: Sie kommen dann zurück, wenn uns so viel Geld geboten wird, dass wir nicht ablehnen können. Natürlich ist es manchmal schwer, den Leuten zu erklären. Sie sagen: ‚Ihr habt diese Songs geschrieben, es wäre alles kein Problem, ihr würdest viele Menschen glücklich machen und Spaß haben.’ Und das stimmt auch alles. Es wäre nicht so schwierig, die Band wieder auf die Beine zu stellen und es würde auch Spaß machen. Die Band ist immer noch so was wie eine zweite Familie und wir sehen uns ständig. Aber diese Band war das Produkt ständiger Proben. Die Band war ein Lifestyle. Man kann die Band nicht einfach ein- oder ausschalten für eine Woche oder einen Monat. Es ist so als wenn ich jetzt zu dir sage: „Ich würde vorschlagen, du ziehst wieder bei deinen Eltern ein.“

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Gar keine so schlechte Idee.
Haha, ja genau. Aber du weißt, was ich meine. Es ist so, als würde man eine vergangene, abgeschlossene Zeit zurückholen. Ich schließe das nicht völlig aus. Aber man müsste da schon sehr viel Energie investieren, die sich dann auch auszahlen müsste.

Wie sieht’s denn mit den Sultans aus? Spielt ihr ab und zu?
Ja, wir haben letztes Jahr gespielt. Es war vor genau anderthalb Jahren. Es war auch die letzte Show, bevor diese Rückenverletzung passierte. Sultans ist einfach eine Partyband, es ist schwer, damit ernsthaftere Ambitionen zu verfolgen.

In einem Interview hast du dich mal darüber beschwert, dass nur weißes Publikum zu Rocket From The Crypt-Shows kommen würde. Wie sähe denn dein Traumpublikum aus?
Ein Traumpublikum habe ich nicht, haha. Ich träume einfach nicht von solchen Sachen. Du hoffst einfach, dass das, was du machst, die unterschiedlichsten Leute anspricht. Es geht nicht nur um verschiedene Ethnien, sondern auch um verschiedene gesellschaftliche Schichten usw. Es ist auch nicht schlimm, wenn du ein sehr spezifisches Publikum ansprichst. Du bist ja schon mal froh, dass es überhaupt jemandem gefällt. Aber du denkst ab einem bestimmten Punkt einfach darüber nach. Du fragst dich, warum ist das so? Und dann gehst du zu einer HipHop-Show und siehst … auch nur weiße Jungs, hahaha.

Wie steht es eigentlich um Swami Records? Auch da war es in letzter Zeit etwas ruhig.
Weiß du was? Ich fange wieder damit an. Ich bringe das neue Night Marchers-Album raus und dann gibt es da noch diese Band, mit der ich sehr glücklich bin namens Mrs. Magician. Sie sind aus San Diego und einfach fantastisch. Es ist ein Pfund von einem Album. Es wird mich unfassbar reich machen. Der Grund, warum es auf Eis lag: Für mich war es immer eine Arbeit der Liebe, die dann aber zu einer Arbeit der Arbeit wurde. Ich hab mich einfach nicht in dieses Business begeben, um mich mit all diesen Dingen zu beschäftigen, die mir einfach keinen Spaß machen. Ich wollte einfach nur eine Verbindung zu den Leuten aufbauen, die diese Art von Musik mögen. Als die Verkäufe einbrachen, mussten Labels einfach neue Wege finden, aus Ressourcen schöpfen etc. Sie mussten aggressive Strategien entwickeln, um zu überleben. All das hat mich nicht interessiert. Ich wollte einfach nur coole Platten zugänglich machen und mir keine verrückten neuen Vertriebswege ausdenken. Ich hatte auch an einem schlechten Deal zu knabbern und musste dann von Null anfangen. Aber das ist in Ordnung. Es wird wieder so sein, wie es einmal war. Ich mit ein paar Plattenkisten in meinem Schlafzimmer, versuchen, sie irgendwie wieder loszuwerden.

Was für Musik mag dein Nachwuchs so?
Mein Sohn ist jetzt fünf Jahre alt und er orientiert sich gerade in Richtung Beach Boys. Wir hören gerade sehr viele Platten, die ich noch aus meiner Kindheit habe. Aber ich zwinge ihm nichts auf und lasse ihn einfach Kind sein. Ich bin nicht die Sorte von Eltern, die ihrem Kind einen Mohawk verpasst und ihm Skull-T-Shirts anzieht. Ich finde das sehr gemein.