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Bundestagswahl 2013

Diese Politiker wissen, was du brauchst und suchst

Wir haben sie befragt und wissen nun: Uns liegen die Homosexuellen in Serbien besonders am Herzen, Hipster sind die mit den Jutebeuteln, am liebsten vergleichen wir Facebook-Profile und Merkels langweilige Politik ist schuld an unserer...

Was denken Politiker eigentlich, wer wir sind? Wir wollten herausfinden, was man sich im Bundestag so über die Jugend von heute erzählt und haben nachgefragt. Neun Abgeordnete haben sich die Zeit genommen und uns erklärt, was ihrer Meinung nach mit der Jugend von heute los ist und warum ihre Partei unsere Interessen am besten vertritt. Das sind die neun Abgeordneten (von den insgesamt 27 Abgeordneten der größeren Parteien CDU, SPD, Linke, Grüne und FDP, die wir kontaktiert haben), die uns entweder per Mail oder am Telefon Rede und Antwort gestanden haben:

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Florian Bernschneider (26), für die FDP

Ekin Deligöz (42) für die Grünen

Markus Grübel (43) für die CDU

Diana Golze (38) für die Linke

Monika Lazar (46) für die Grünen

Caren Marks (49) für die SPD

Sönke Rix (37) für die SPD

Ulrich Schneider (41) für die Grünen

Nadine Schön (30) für die CDU

Nadine Schön (30) für die CDU

Was halten die Politiker eigentlich von uns?

Was zuerst einmal auffällt, wenn man Politiker zur Jugend befragt, ist, dass sie uns alle großartig finden. Man zeigt sich begeistert von der neuen Generation: Sie hat „Potenzial“ (Schön, CDU), ist „engagiert“ (Rix, SPD), „kreativ“ (Golze, Linke) und auf jeden Fall „besser als ihr Ruf“ (Bernschneider, FDP). Noch dringender wollen die Politiker aber wohl betonen, was die Jugend ihrer Meinung nach nicht ist: und zwar kein „flatrate-saufender“ (Golze) Haufen von gewaltbereiten Asozialen. Na Gott sei dank!

Ulrich Schneider (41) für die Grünen

Der Grüne Ulrich Schneider beklagt, dass durch die Verbotskultur in der Politik „Jugendliche nur mit Negativbildern—wie Gewalt und Alkoholexzessen—in Verbindung gebracht werden.“

Ist das etwa die Schuld der Regierung?

Nein, meint Florian Bernschneider von der FDP und wettert genauso gegen eine Politik, die sich auf „Alkoholverbotszonen, Alcopopsteuer, Flatrate-Party-Verbote und Killerspielverbote“ reduziert und damit das Image der Jugend in der Öffentlichkeit versaut. Wer jetzt genau so eine schlechte Meinung von uns hat, konnten wir leider nicht herausfinden, denn wie gesagt, unsere Gesprächspartner waren alle sehr zufrieden mit dem Nachwuchs.

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Markus Grübel (43) für die CDU (links)

Die einzige Ausnahme bildete Markus Grübel von der CDU, der vom Engagement der Jungen nicht ganz so beeindruckt ist. „Wählen als Bürgerpflicht gibt es für junge Menschen nicht mehr“, schreibt er. „Demokratie und Wahlen sind selbstverständlich geworden.“ Tja, Strenge muss eben auch mal sein. (Dabei war ich letztens auf ein paar Erstwähler-Veranstaltungen, wo ich den Eindruck hatte, die Schüler waren mehr als engagiert und wollten alle wählen gehen.)

Monika Lazar (46) für die Grüne

Was Politiker denken, was wir wollen

Auch wenn es darum geht, was Jugendliche wirklich interessiert, waren sich die Abgeordneten aller Parteien ziemlich einig: Ganz oben auf der Liste stehen Schule, Ausbildung, Studium und Beruf. Das ist natürlich keine große Überraschung, obwohl manche Politiker das Spektrum noch um ein paar Themen erweitert haben, die zufälligerweise auch der eigenen Partei am Herzen liegen: So glauben die Grünen Monika Lazar und Ulrich Schneider, dass der Umwelt- und Klimaschutz den jungen Menschen besonders wichtig ist. Alle Abgeordneten von Grünen und SPD glauben außerdem, dass sich viele Jugendliche Sorgen um bezahlbaren Wohnraum machen—was ziemlich gut zu ihrem Programmpunkt passt—nämlich eine Mietpreisbremse einzuführen.

Die Grüne Deligöz hingegen weiß ganz genau, was Jugendliche am dringendsten wollen: weg von den Eltern, ab in die Unabhängigkeit.

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Ekin Deligöz (42) für die Grünen

Bei der FDP gibt man immerhin ehrlich zu, dass das Herzensthema der eigenen Partei—der Schuldenabbau—die Jugendlichen leider nicht besonders interessiert: „Ich weiß, dass das trotz des Beispiels Griechenland, wo die Schulden vor allem junge Menschen getroffen haben, nicht das Riesenthema in der jungen Generation ist—aber wichtig wär es“, sagt Florian Bernschneider.

Am meisten traut uns Ulrich Schneider von den Grünen zu. Laut ihm geht es Jugendlichen nicht nur um Studium und Arbeitsplatz, sondern auch „um die Rechte von Lesben und Schwulen in Serbien, um Menschenrechte ganz generell, die Frage zur Türkei und ihren EU-Beitritt, die Frage der Pressefreiheit in Ungarn“, aber auch die Eurokrise, die Macht der Banken und der NSA-Skandal sind wichtig.

Sönke Rix (37) für die SPD

Und interessieren wir uns eigentlich für die Wahl?

Hier waren die Antworten eher durchwachsen. Herr Grübel von der CDU gibt offen zu, dass er leider nicht das Gefühl hat, dass junge Menschen sich besonders für die Wahl interessieren. Er hat zwar gute Erfahrungen mit Schülergruppen gemacht, „die sind dann aber nicht ganz freiwillig gekommen“, wie er einräumt.

Sönke Rix von der SPD teilt diese negative Einschätzung und gibt die Schuld daran unter anderem Angela Merkel, die das Land absichtlich langweilen will, denn: „Je weniger Leute zur Wahl gehen, umso größer ist ja auch die Wahrscheinlichkeit, dass die CDU gewinnt.“

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Caren Marks (49) für die SPD

Die anderen Politiker betonten, dass es einen Riesenunterschied machen würde, wenn man den Leuten direkt auf die Pelle rückt mit der Politik. Wahlkampf ist eben Arbeit. Und so glaubt Frau Marks von der SPD an die Kraft ihrer Facebook- und Teamseite, Diana Golze an die Begeisterungskünste von Gregor Gysi. Und Monika Lazar möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass sie wirklich alles tut, um den Wahlkampf aufregend zu gestalten: Anfang Juli hat sie beim „Kandidatengrillen“ sowohl die Debatte als auch den Grillwettbewerb gewonnen!

Florian Bernschneider (26), für die FDP (der übrigens mit 26 der jüngste Abgeordnete im Bundestag ist)

Was lassen sie sich einfallen, um Politik für uns interessant zu gestalten?

Man kann den Politikern kaum vorwerfen, nicht bereit zur Selbstkritik zu sein. „Das tägliche Klein-Klein und der ritualisierte Parteienstreit sind alles andere als sexy“, weiß Monika Lazar.

Ein anderes Problem ist die politische Bildung in den Schulen, die entweder als zu „abstrakt“ (Marks) oder gar als unterschwellig politikfeindlich eingestuft wird (Rix, Deligöz).

Vor allem Frau Deligöz ärgerte sich, dass Politiker zum Beispiel in Bayern sechs Wochen vor der Wahl nicht mehr in Schulen gehen dürfen. „Dadurch vermittelt man ein Bild, als sei Politik ‚bäh’—und dann heißt es immer, diese Scheißpolitiker, die wollen alle nur Geld.“

Aber auch die Medien sind Schuld, weil sie den Politikern kaum noch genug Raum bieten, um ihre Positionen zu vermitteln: „Heute müssten wir den Rücktritt des gesamten Kabinetts fordern und dabei noch nackt im Kongresssaal stehen, damit wir vielleicht 10 Sekunden oder noch ein Standbild in den Abendnachrichten kriegen“, beschwert sich Bernschneider von der FDP.

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Diana Golze (38) für die Linke

Nur Diana Golze hat eine noch viel einfachere Lösung für die „Parlamentsverdossenheit“ der Menschen: die Linke selber, denn sie ist „das einzige Korrektiv.“

War früher alles besser, als die Politiker noch selber jung waren?

Über Frage, ob unsere Generation irgendwie besser oder schlechter oder anders ist, sind die Meinungen ebenfalls geteilt.

Ulrich Schneider, Monika Lazar (beide Grüne) und Sönke Rix (SPD) merken deutlich, dass unsere Generation irgendwie flatterhafter ist: „Das ist so eine Art Zapping-Mentalität: Wenn das Programm gerade nicht passt, dann ändere ich nicht das Programm, sondern dann zapp ich einfach ins Nächste. Das ist nicht nur bei jungen Menschen so, aber dort ein bisschen ausgeprägter“, meinte Rix.

Am pessimistischsten sieht es Markus Grübel von der CDU: „Künftig, glaube ich, wird die politische Grundüberzeugung weniger zählen und mehr die Persönlichkeit der Kandidaten.“ (Also doch Raute gegen Stinkefinger.)

Politiker und die Welt der sozialen Medien

Wenn man jedes Mal einen Euro kriegen würde, wenn ein Politiker in einem Interview zu Jugendthemen Facebook erwähnt, könnte man wahrscheinlich ziemlich bald Mark Zuckerbergs Haus kaufen.

Man kann es ihnen nicht verdenken, ein Facebook-Account ist für einen Politiker so etwas wie die Versicherung, dass er vor lauter echter Arbeit das 21. Jahrhundert nicht verpasst hat. Und so hat es sich auch keiner der Befragten verkneifen können, irgendwann in der Unterhaltung die Worte Facebook oder Twitter fallen zu lassen—mit einer ehrwürdigen Ausnahme, der resolut uncoole Herr Grübel (CDU).

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Immerhin warnt Sönke Rix (SPD), dass „es nicht ausreicht, wenn der ein oder andere Politiker einen Facebook-Account hat.“

Insgesamt ist man sich aber trotzdem einig, der Weg zum Herzen der jungen Menschen—der digital natives (Deligöz, Grüne)—führt durch das Internet: Rix und Bernschneider wollen mehr Online-Abstimmungen (Bernschneider zum Beispiel über die Verteilung von Geldern des Kinder-und-Jugend-Plans) und Nadine Schön (CDU) will bei Begegnungen mit Jugendlichen als erstes ihr „Facebook-Profil vergleichen“ und sich die neuesten Apps zeigen lassen.

Wen sollen wir denn jetzt wählen?

Die Frage musst du dir leider immer noch selber beantworten. Es geht einfach darum zu wissen, auf was du Wert legst. Bist du dafür, dass alle schon ab 16 wählen dürfen, dann halte dich an die SPD und Grüne—CDU und FDP sind nämlich strikt dagegen. SPD und Grüne fordern auch eine kostenlose Ausbildung, die SPD will sogar erreichen, dass dir mich Sicherheit ein Ausbildungsplatz garantiert wird. Beide Parteien treten auch für einen gesetzlichen Mindestlohn von € 8,50 ein, was ziemlich wichtig für dich sein kann, vor allem wenn du in einem der neuen Bundesländer wohnst (da kann der Lohn nämlich mal schnell weit unter € 8,50 rutschen). FDP und CDU wollen das lieber von den Tarifparteien aushandeln lassen.

Für Studierende sind die Positionen zum BAföG natürlich interessant, leider aber nicht ganz so leicht zusammenzufassen, deshalb gibt es hier einen Link, wo das genauer erklärt wird.

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Ein Thema, an dem man sich ganz gut überlegen kann, auf welcher Seite man stehen will, ist vielleicht die von SPD und Grünen geforderte Mietpreisgrenze—damit der Vermieter dir nicht einfach eine höhere Miete aufdrücken kann, nachdem er das Haus entweder verkauft oder komplett saniert hat. Ekin Denigöz (Grüne) sagt, dass eine Mietpreisgrenze wichtig sei, vor allem damit sich Studenten noch WGs in den Stadtzentren leisten können.

Florian Bernschneider von der FDP hält dagegen, dass man die Verknappung des Wohnraums nicht bekämpft, indem man es durch solche Regelungen noch unattraktiver für Investoren macht, in Wohnhäuser zu investieren. Überhaupt wollen CDU und FDP den freien Marktkräften möglichst wenig Steine in den Weg legen.

Markus Grübel verspricht, dass die CDU dafür sorgt, dass deutsche Produkte, Investitionsmöglichkeiten und Dienstleistungen weiterhin „besser sind als die meisten.“ Die FDP will sich wie gesagt bemühen, den Schuldenberg weiter abzutragen, der irgendwann auf den Schultern der jetzt 16- bis 26-Jährigen liegen wird. Sowas nennt die FDP Generationengerechtigkeit, was Diana Golz von der Linken wiederum für eine Unverschämtheit hält, unter deren „Deckmantel“ die Sozialsysteme abgebaut werden sollen.

Zuallerletzt konnte ich es mir nicht nehmen, alle Politiker zu fragen, was ihrer Meinung nach ein Hipster ist.

Gewonnen hat mit ihrer selbstsicheren Antwort Monika Lazar (die ja sowieso immer alles gewinnt, auch das Kandidatengrillen, wie gesagt):

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„Ein typischer Hipster ist meist männlich, trägt eine große Brille, enge Jeans und Jute-Beutel mit coolen Sprüchen drauf. Meist sind sie in Großstädten wie Berlin zu finden. In Sachsen sehe ich sie so gut wie nie, auch nicht in Leipzig. In der Masse treiben Hipster in vormals preiswerten Stadtteilen wie Berlin-Neukölln die Mieten hoch, weil diese Gegenden irgendwann wegen der Vielzahl an Hipstern als hip gelten und erst Künstler, dann Immobilienfirmen anziehen, die dann kräftig sanieren, was zu steigenden Preisen für die meisten führt.“

Sie muss es wissen. Denn genau die Berliner Stadtteile, die bis jetzt am meisten mit Gentrifizierung zu kämpfen haben, beherbergen auch den höchsten Anteil von Grüne-Wählern—2009 erhielten die Grünen in Prenzlauer Berg Ost ihr berlinweit bestes Ergebnis. Vielleicht bewerben die Immobilienfirmen ihre „kräftig sanierten“ Wohnblöcke auch deshalb mit dem Label „grüne Stadt“.

Wie du siehst, bleibt es kompliziert. Immerhin haben alle diese Abgeordneten mit uns gesprochen, damit du zumindest verstehst, dass es am Sonntag um etwas geht. Also, informier dich, geh wählen und verfolgt dann am Sonntag unsere Live-Coverage der Bundestagswahl 2013, bei der alle unsere Interviewpartner wieder antreten werden!

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