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Mit den eigenen Waffen schlagen: Berliner Aktivisten schicken Troll-Bots in den Kampf gegen Sexismus

Bei Phrasen wie „Geh sterben, Schlampe!“ springen die Bots des Peng! Kollektiv an und trollen mit einem sechsstufigen Gegenprogramm zurück. Jeder kann mitmachen und Bots in die Online-Schlacht schicken.

Die Online-Welt hat ein Problem: Den Troll. Parasitär nistet er sich in Kommentarspalten ein, der Shitstorm ist sein Ejakulat (mit dieser illustren Metapher beschrieb sich ein besonders reflektiertes Exemplar kürzlich selbst), jede sachliche Diskussion sprengt er mit uneinsichtigem Sabotage-Bullshit, gern auch ausländerfeindlich und sexistisch.

​Gibt es in der Gaming-Community ein Sexismus-Problem?

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Nicht nur der Gamerwelt hängt der Troll mit misogynem Kommentar-Krawall wie ein Klotz am Bein, aber im Zuge des #gamergate wurde seine guerillaartige Allgegenwart umso deutlicher.

Das Berliner Künstlerkollektiv ​Peng!, das sich in der Tradition der Yes Men sieht, will das ändern und schickt deshalb seit gestern hunderte Bots im Internet auf Patrouille, die gegen sexistische Tweets vorgehen können—und wir alle können die Armee leicht mit kleinen automatischen Soldaten unterstützen.

​ZeroTrollerance heißt das Projekt, das per Spracherkennung Idioten auf Twitter identifiziert und ihnen auch gleich eine Therapie anbietet: Die Bots reagieren auf rund 200 Wortalgorithmen wie „Attention Seeking Whore" oder fröhliche Grüße wie „Geh sterben, Schlampe!" und schicken daraufhin eine Nachricht aus: „Sie haben sich gerade wie ein Troll aufgeführt, möchten Sie sich bessern?"

Verlinkt wird ein sechsteiliges Video-Selbsthilfeprogramm vom Troll zum erträglichen Menschen, moderiert vom britischen Schauspieler Adler King: „Die Welt sieht dich als sexistischer Fanatiker. Warum? Weil du einer bist", schmettert der überspannt aussehende Moderator im Anzug seinem Opfer entgegen.

​So sieht ein Bot aus, den Unterstützer registrieren können—im Bild „Troll Coach Sele". Alle Bilder: Peng! und zerotrollerance.guru ​​

160 weitere Twitterer folgen King, um für ihn nach weiteren Trollen für sein Programm zu suchen, die sie für das „Beratungsprogramm" anwerben können—die sind allerdings keine Menschen, sondern selbst Bots.

Unter dem Hashtag #zerotroll kann man nachgucken, wer sich von dem Programm angesprochen fühlt. Unglücklicherweise sind viele, viele Gamer dabei, aber auch hochamüsante „Initiativen" wie der sogenannte Männerstreik. Hier sind die deutschen Phrasen, nach denen die Bots suchen (zur Sicherheit als Bildchen, damit wir nicht auch im Bot-Fadenkreuz landen):

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Wie ihr seht, kennt mein Textprogramm manche dieser bösen Worte nicht mal.

Wer aufgrund seiner frauenfeindlichen Tweets dann die Ehre hatte, in das Hilfsprogramm aufgenommen zu werden, darf sich alle von sanftem Meeresplätschern untermalten Videos anschauen, in denen er in sechs einfach Schritten vom Troll zum Diskussionsteilnehmer gewandelt wird. In den aufeinander aufbauenden Programmschritten in bester Anonymer Alkoholiker-Tradition werden so wertvolle und leicht umsetzbare Verhaltenshinweise von King gegeben wie „Grunzen, bevor du tippst".

„Wir wollten etwas Verspieltes machen und Trolle trollen—sie mit ihren eigenen Waffen schlagen", so eine Aktvistin des Peng! Collective gegenüber Motherboard, die anonym bleiben möchte, um nicht selbst zum Ziel von wütenden Angriffen zu werden.

@PengBerlin startete sein Selbsthilfeprogramm gestern und lässt es noch bis Ende der Woche laufen. Mitmachen kann jeder, der kurz Zeit hat, um einen Twitteraccount zu registrieren. In einem PDF wird erklärt, wie ​ihr euch selbst zum Coach macht, und die Armee der Trolltherapeuten mit einem weiteren verständnisvollen DIY-Bot auf Twitter unterstützt.

Der Filter funktioniert nicht schlecht—nur gelegentlich fallen dem Algorithmus auch Unbeteiligte wie der ein oder andere Katzencontent-Produzent zum Opfer.

What a day. Sincere apologies to anyone who was calling their cat an "attention seeking whore" but lets have some nice words now #zerotroll

— Zero Trollerance (@ZTrollerance) April 14, 2015

Glücklicherweise häufen sich in letzter Zeit die Bestrebungen im Netz, den Trollen ein Gesicht zu geben und sie zu exponieren. So besuchte die FAZ in einer großartigen ​Homestory jüngst die Höhle eines Trolls, der sich tatsächlich klischee-kompatibel als verbitterter Frührentner mit überdurchschnittlichem Hass- und Provokationspotential herausstellte. Wie sehr er King in der Rolle des Trollgurus ähnelt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

Und Golineh Atari, die Russlandkorrespondentin der ARD, besuchte sogar eine ganze proussische Trollfabrik in St. Petersburg und sprach mit einem Aussteiger, der in 12 Stunden-Schichten in den Kommentarspalten russischer Online-Medien Meinung machen musste, indem er systematisch westliche Politiker diffamiert und behauptet, die öffentliche Meinung in Europa würde Putin und seine Erfolge feiern. Der moderne Troll beherrscht eben verschiedene Auftritte.

Trolle sind weltweit ein Mittel der modernen Meinungsmanipulation, nicht nur im ukrainisch-russischen Konflikt. Und so wird uns das Phänomen noch eine Weile begleiten, mindestens, so lange sich die Trolle hinter ihrer Anonymität verschanzen können.