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The Issue That Cares

Höllentrip

Um aus dem Iran zu fliehen, braucht man dicke Eier und eine gehörige Portion Glück.

Auf den von dornigem Gestrüpp überwucherten Sanddünen von Calais in Frankreich schlagen Flüchtlinge aus dem Iran, Afghanistan und Somalia kleine Hütten aus Holz und Plastik auf. Sie hoffen, von hier aus eine Fähre zu erwischen und illegal nach England zu kommen. Wir haben mit einem Überlebenden dieser gefährlichen Tour über seine Reise aus dem Iran nach England gesprochen. VICE: Warum bist du aus dem Iran geflohen?
Reza: Ich komme aus Tabriz, einer Gegend, in der eine große aserbaidschanische Minderheit lebt. Die Regierung unterdrückt uns. Als Aktivist habe ich einige kritische Artikel darüber geschrieben. Als der Geheimdienst drohte, meine Familie umzubringen, beschloss ich, ins Ausland zu gehen. Wo bist du hingegangen?
Erst einmal bin ich von Teheran in die Türkei geflohen. Dann bin ich zu Fuß über die Berge Kurdistans, habe dort im Schutz der Felsen übernachtet und mich vor den Schüssen der Kurden in Höhlen versteckt. Die Kurden erwarten ein Weggeld, wenn man ihre Region passiert. Für iranische Flüchtlinge ist die Türkei die Hölle. Aber geografisch kommst du nicht an ihr vorbei. Der türkische Premierminister ist ein Kumpel von Ahmadinedschad—deshalb sitzt überall der iranische Geheimdienst. Wie hast du es nach Europa geschafft?
Ich habe mitten in der Nacht ein schäbiges Ruderboot aus Holz an der türkischen Küste gestohlen. Ich habe keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe, ganz alleine das Mittelmeer zu überqueren. Oft glaubte ich, ich bin verloren und würde nie wieder Land sehen. Es war gefährlich, aber manchmal muss man das Risiko eingehen. Du bist eine Menge Risiken eingegangen …
Ja, zum Beispiel als ich nach meiner Bootstour die griechische Grenzkontrolle überlistet habe. Die Griechen können einen Türken nicht von einem Iraner unterscheiden, also habe ich mich einer Gruppe von Türken angeschlossen, die wohl gerade in den Urlaub wollten. Ich bin durch den Zoll geschlichen und dann auf einen Lkw gesprungen, um ein bisschen schlafen zu können. Wie schläft man auf einem Lkw?
Einige Lkws haben oben auf der Fahrerkabine eine flache Stelle, auf der man liegen kann. Ungefähr 16 Stunden bin ich mitgefahren. Ich dachte, ich würde erfrieren, aber ich hab es über Italien bis nach Frankreich geschafft. Und was machst du hier in England als Nächstes?
Ich versuche, Englisch zu lernen. Das ist der einzige Weg, um überhaupt irgendwie weiterzukommen. Ich gehe jeden Tag in die Bibliothek, um das kostenlose Internet zu nutzen, und schaue abends so viel wie möglich englisches Fernsehen.

Foto von Henry Langston