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The Moral Compass Issue

Das Phantom-Massaker

Fast 5.000 Menschen, sind seit 2004 in Thailand einer Serie von Bombenattentaten, Brandanschlägen und Enthauptungen durch muslimische Separatisten zum Opfer gefallen.

Eine verletzte Frau wird im Jahr 2009 vom Ort eines Motorradbombenattentats weggetragen. Sie ist eines von vielen Opfern der Aufstände in Südthailand. AP/Sumeth Pranphet Fast 5.000 Menschen, hauptsächlich Zivilisten, sind seit 2004 in den südlichen Provinzen Thailands einer Serie von Bombenattentaten, Schießereien, Brandanschlägen und Enthauptungen durch muslimische Separatisten zum Opfer gefallen, die für eine Loslösung der südlichen Provinzen vom Thaistaat kämpfen. Der Konflikt reicht bis in das Jahr 1902 zurück, als die Zentralregierung die an Malaysia angrenzenden, überwiegend von Muslimen bevölkerten Provinzen dem Gesamtstaat anschloss. Separatistische Bestrebungen sorgten in den 70er-Jahren für Unruhen, in den 90ern aber schien sich die Lage entspannt zu haben. Die Situation kippte abermals, als die Regierung anfing, vereinzelt aufflammenden Widerstand brutal niederzuschlagen und mit diesem Hardliner-Kurs alte Wunden aufzureißen. Nach Angaben von Amnesty International ereigneten sich zwischen 2004 und Juni dieses Jahres insgesamt 10.890 Gewaltvorfälle in dieser Region, die mindestens 4.766 Todesopfer forderten und 7.808 Verletzte zurückließen. Während Regierung und Sicherheitskräfte noch mit den Folgen der letzten Flutkatastrophe kämpften, nahm im vergangenen Monat die Zahl der Anschläge markant zu. Seit 2004 hat die Regierung über 40.000 Soldaten zur Aufstandsbekämpfung in die südlichen Provinzen geschickt—allerdings mit mäßigem Erfolg. Im Jahr 2005 wurde ein „Notstandsgesetz“ verabschiedet, das es den Sicherheitskräften erlaubt, Verdächtige bis zu 30 Tage lang zu inhaftieren, und das Beamten im Falle von Menschenrechtsverletzungen während des Dienstes Straffreiheit zusichert. Dieses Notstandsrecht, das von den Thais weithin akzeptiert wird, hat über 5.000 Festnahmen nach sich gezogen. Die thailändische Regierung wird darüber hinaus systematischer Folter und gesetzeswidriger Tötungen beschuldigt und von internationalen Menschenrechtsorganisationen verurteilt. Die Attentate haben einen ideologischen Charakter. Die Aufständischen greifen gezielt Zivilisten an, so der Thailand-Experte von Amnesty International Benjamin Zawacki. Während die Gewalt Gerüchten zufolge zunehmend auf die traditionellen Symbole des thailändischen Staates gerichtet ist, erscheint sie tatsächlich oft willkürlich und fordert Opfer gleichermaßen unter Muslimen wie Buddhisten. Amnesty bezeichnete die Situation kürzlich als einen „internen bewaffneten Konflikt“ und sagte, die Täter müssten nach internationalem Recht wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden. Dazu wird es indessen kaum kommen. In einem kurz nach der Veröffentlichung des Amnesty-Berichtes erschienenen Artikel hinterfragt Marc Askew, Politologe an der Universität von Melbourne, die Forderungen der Menschenrechtsorganisationen. Nach seiner Auffassung sind 30 bis 40 Prozent der Todesfälle in Thailands südlichen Grenzprovinzen auf kriminelle Handlungen zurückzuführen, die an der thailändisch-malaysischen Grenze sehr verbreitet sind. Diese Annahme teilt die thailändische Regierung, die schon lange von einem Zusammenhang zwischen den Machenschaften der Aufständischen und dem Drogenhandel in Südthailand ausgeht. Die Theorien zu der Frage, wer für die Gewalt verantwortlich ist, haben sich im Laufe der Jahre verändert. Gelegentlich wird sie „traditionellen“ separatistischen Gruppierungen der Region zugeschrieben, manch einer bringt auch das Erstarken von globalem Dschihad und al-Qaida damit in Verbindung. Der auffälligste Aspekt dieses Konfliktes ist gewiss, dass die Gewaltexzesse seit acht Jahren weitgehend gesichtslos geblieben sind. Während Experten, NGOs, die Medien und die thailändische Regierung sich über Rechtsterminologie und Prozentzahlen streiten, kommen Menschen um, permanent und auf grauenvolle Weise.