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Der utopische Salon

Flares in the Darkroom

Am 23. 1. 2014 gibt es beim SALON KLIMBIM in der Secession Wien die Auftaktveranstaltung von Utopian Pulse: Flares in the Darkroom. Wir haben ein paar Menschen, die mit dem Wahnsinn zu tun haben, um Wortspenden zum Thema Utopien gebeten.

Foto von Jason Tester Guerrilla Futures

Am 23. 1. 2014 gibt es beim SALON KLIMBIM in der Secession Wien die Auftaktveranstaltung von Utopian Pulse: Flares in the Darkroom. Wir haben ein paar Menschen, die maßgeblich mit dem Wahnsinn zu tun haben, um Wortspenden zum Thema Utopien gebeten. Wenn ihr also äußerlich noch nicht verrottet und innerlich nicht komplett kulturerkaltet seid, solltet ihr zwei Dinge tun: Erstens das hier lesen und zweitens am Donnerstag hingehen.

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Auch auf die Gefahr dass ihr kotzen müsst, wir möchten unsere Überlegungen zum Thema Utopie  mit Worten aus dem Buch Gottes beginnen. Ja, ihr kleinen Agnostiker, ein Bibelzitat—ihr wisst schon das dicke Buch, das in schäbigen Motels in der Nachtkästchenschublade liegt und das ihr so gerne schändet während ihr Burzum hört: „Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen.“

Klar, die Bibel wurde nicht von Engeln überbracht, sondern ist das Produkt von widersprüchlichen Gesellschaften und deshalb selbst widersprüchlich. Aber genauso wie im nächsten Satz das Vertrauen in IHN, den Übervater, als einer Art himmlischem Sozialstaat, angerufen wird, so ist im ersten Satz davon noch nichts zu spüren—er gehört ganz und gar ins Diesseits und ist Zeugnis vom Mangel des Realen. Das Utopische war schon immer da und ist so alt wie die traurige Realität selbst: Das Bewusstsein, dass arbeiten, hackeln, malochen etwas Absurdes ist, etwas schrecklich Verrücktes darstellt, dass es ein Leben außerhalb der Arbeit geben muss—und sei es bei den Vögelchen, den Engelchen oder uns faulen Schweinchen.

Foto von Duchess Flux

Als Geknechtete des niemals ganz entnazifizierten österreichischen Schulsystems und der imperialistischen Unterhaltungsmaschine Hollywood wurde uns die Freude an Utopien ziemlich früh ausgetrieben. Da gibt es einmal „Animal Farm“ als negative Utopie, mit der uns der alte Kommunistenfresser George Orwell am liebsten jeden Wunsch nach Systemkritik für immer ausgetrieben hätte. Und dann noch die positiven Utopien: Am Vormittag mussten wir uns mit Thomas Morus und Platon langweilen und was wurde uns in der Freizeit geboten? Star Wars in Form als eine Art Niebelungenlied mit Happy End—von LSD futternden Hippies zusammengerührt und mit ein paar rassistischen Stereotypen und sprechenden Teddybären mit sexuellen Begehren aufgepeppt.

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Das ist genau nicht, was wir unter Utopie verstehen. Denn, was uns hier vorgesetzt wurde, ist die Verhandlung von Real Life Problemen und Problemchen in Phantasie-Szenarien transportiert, wo es niemanden weh tut, wenn die Frage nach dem Mangel am Jetzt gestellt wird.

Utopisch sind immer nur Momente, denn das Utopische ist das was immer gerade noch fehlt. Utopisch ist, wenn sich in Afghanistan Frauen unter der Burka schminken, utopisch ist, wenn Muntazer al-Zaidi, ein 29 jähriger irakischer Journalist, sein Leben riskiert um bei einer Pressekonferenz einen Schuh auf George W. Bush zu werfen; und nicht wenn Scientology Vize- Präsidentchen Tom Cruise in einer klinisch reinen Apple-Hölle in seinem von Botox versteinerten Arschgesicht nach Emotionen sucht. Utopisch ist es, wenn sich der kleine Junge aus Mary Poppins im letzten Moment von seinen Eltern wegreisst und sein Erspartes nicht auf die Bank trägt, wie sein geldgeiler Bankier-Papa es will, sondern alles der alten verrückten Taubenlady gibt.

So ähnlich wie dem kleinen Jungen in Mary Poppins, muss es es dem Filmwissenschaftler und Aktivisten der Gay Liberation Front Richard Dyer 1979 gegangen sein als er sich mit seinen marxistischen Freunden anlegte: In Defense of Disco. Seine klassenkämpferischen Genossen sahen das wohl so, dass sich da irgendwelche Mittelschichts-Tunten mit Drogen und exaltierten Körperbewegungen ihr schlechtes Gewissen aus dem Leib tanzten—natürlich um so auch irgendwie von der proletarischen Weltrevolution abzulenken.

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Foto von Thomas Hawk

Wir erinnern uns kurz: Das war zu Hochzeiten des Kulturpessimismus an den Universitäten, als kluge Menschen Massenkultur verachteten. Heute hören wir Verwandtes von einer neuen Generation von Akademikern, wenn es heisst dass der weltweite Output von Soap-Operas und Gerichtssendungen nichts weiter als Beruhigungspillen für die weltweite Klasse von Modernisierungsverlierern darstelle: gemeint sind bügelnde Frauen vor dem Fernseher, Hartz-4-Empfänger und alle, die sich weigern sich kreativ zu entfalten.

Gegen diese kulturpessimistische Arroganz argumentierte Richard Dyer auch in seinem Artikel „Entertainment and Utopia“ an. Bei Massenkultur, die von den Massen angenommen wird, handle es sich nicht um ein deficit spending der Ideen: Der angeblich verblödeten ArbeiterInnenklasse werde nicht von irgendwem irgendetwas eingeredet, sondern sie bekomme tatsächlich etwas durch Massenkultur: Utopisches, genauer gesagt: utopische Gefühle. In funktionierender Massenkultur werde nicht in erster Linie falsches Bewusstsein erzeugt, also die  Ideologie des Klassenfeinds eingeimpft und das Hirn abgedreht, sondern es werden utopische Gefühle geschaffen: Energie, Fülle, Intensität, Transparenz, Gemeinschaftlichkeit. Was meint Dyer damit?

„Energie“ im Sinn von Wille, Lebendigkeit, Antriebskraft, Enthusiasmus, die Fähigkeit energisch zu handeln—sozusagen körpereigen produziertes Speed.

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„Fülle“ als Überwindung von Mangel, d.h. man hat genug, sogar zu viel ohne dass es anderen fehlt; das ist ein Moment der Überwindung religiös überkommener und kapitalistisch verstärkter Schuld. Das ist der Moment, der Yeezus a.k.a. Kanye West befreien würde, wenn er ihn erfassen könnte.

„Intensität“ als eine Erfahrung von direkter, voller, unzweideutiger Emotionen, also „authentischer“ Gefühle ohne sich zurückzuhalten. Damit meint Dyer die Fähigkeit von Unterhaltung komplexe oder unangenehme Gefühle auf eine Weise zu präsentieren, die sie unkompliziert, direkt und lebendig erscheinen lassen—ganz anders als sie zumeist im Alltag vorkommen. Das ist der  „blinded by the lights“-Moment auf dem Tanzboden: Das Universum ist plötzlich schlüssig und am nächsten morgen erzählt Euch Euer Amateur-Dealer-Freund dann, dass er den ganzen Club mit 15- Euro-das-Stück-0,0 Prozent-MDMA-Gehalt-Bonbons zur Ekstase gebracht hat. Was war das also? Intensität nach Richard Dyer, ein utopischer Moment und ein Hinweis darauf, dass diese Intensität sonst fehlt.

Dann gibt es da noch als viertes utopisches Empfindungsvermögen „Transparenz“ als eine Beziehungsqualität der Verbundenheit in ehrlichem Überschwang und in Freiheit, nicht irgendein Pärchen-Brutpflege-Scheiß. Bitte beachtet zu diesem Punkt Lerntaferl 1.

Lerntaferl 1. Foto von Milica Balubdžić

Als fünftes und letztes utopisches Gefühl beschreibt Dyer das Gemeinschaftliche, also die  Erfahrung des Dazugehörens, eines Zusammenhangs von Beziehungen, in denen Kommunikation um ihrer selbst willen stattfindet anstatt der Nachrichtenübermittlung zu dienen. Battle-Rap, das sich freundschaftlich-kreative Beleidigen, das zur Kunstform wird, wäre für uns ein Beispiel dafür.

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Überhaupt erscheint uns Hip Hop als eine Art Bermuda-Dreieck der utopischen Empfindungen. Es ging im ganz konkreten urbanen Raum los: Als ein paar Kids einfach nicht akzeptieren wollten, dass eine Autobahn die Bronx von New York abtrennen und ihre Nachbarschaft zu einem dem Verfall preisgegebenen Wasteland machen sollte. Seine Namen auf U-Bahnzüge zu schreiben, ein utopischer—die Realität transformierender—Akt par excellence. Eine Heldentat für die Utopie und gegen falsche Nützlichkeit, die ja doch nur Verwertbarkeit oder Kontroll-Ästhetiken meint. Zu diesem Thema sei Euch Jonathan Lethems´ „Fortress of Solitude“ aufs Kopfkissen gelegt.

Vegetarische Tiger, also unmögliche KämpferInnen, das waren die Mädels und Jungs an allen Ecken und Enden Nordamerikas, die aus ihrer eigenen Sprache neu geboren wurden: als Gangster, als Shaolin Kämpfer, als Soul Sonic Forces.

Französisch für Utopie des Glücks. Foto von biphop

Die utopische Unterhaltungsform des Hip Hop hat bewohnbare Welten erschaffen: die 36 Chambers des Wu Tang Clan, den Fear of a Black Planet von Public Enemy, einen Ort Straight out of the Jungle der Jungle Brothers,  die von Queen Latifah eingeforderte U.N.I.T.Y, die neue Topographie, die N.W.A  über L.A. gelegt hat, das Stankonia von OutKast, und viele viele mehr. So viele Alben, so viele Welten, so viele Utopien.

Können Utopien einen Ort, eine Geographie haben?

Warum spielen schulisch verabreichte Utopien eigentlich auf Inseln? Etwa weil dort das Fieber nicht auf die Städte übergreifen kann, um die Barrikaden zum Brennen zu bringen? Etwa weil man es im kulturhistorischen Reagenzglas wie eine infektiöse Bakterienkultur als sauberes Gedankenexperiment hegen und pflegen kann? Fick Dich, Herr der Fliegen, dann lieber doch ein Hurra auf Eazy E!

Also: Können Utopien einen Ort, eine Geographie haben?

Vielleicht temporär, wenn zum Beispiel der Künstler Alexander Nikolic, die 1930 geheim für den Tyrannenmörder Gavrilo Princip errichtete und später von den Nazis gestohlene und Adolf Hitler zum Geburtstag geschenkte Erinnerungsplakette wieder der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Zu erleben am 23.1.2014 beim SALON KLIMBIM in der Secession Wien, der Auftaktveranstaltung von Utopian Pulse: Flares in the Darkroom.

Neben zahlreichen weiteren künstlerischen Speerspitzen vereint im Kampf gegen die Realität stehen an den Decks, Musik und Radau machend: BAM von den Jungle Brothers, Melodien für Millionen, Tanz durch den Tag, Sexy Deutsch und Susiklub.