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Popkultur

Wie die moderne Welt unsere Freundschaften ruiniert

"Sorry, ich schaff's nicht. Viel zu busy heute…" – früher war eine Verabredung eine Verabredung. Heute ist sie nur noch eine Option.
Foto: justine-reyes | Flickr | CC BY 2.0​

„Sorry, ich schaff's nicht. Viel zu busy heute …"

Solche und ähnliche WhatsApp-Nachrichten abzuschicken, kurz bevor man eigentlich mit seinen Freunden verabredet ist, gehört mittlerweile zum guten Ton unter modernen Großstädtern. Man ist einfach zu beschäftigt.

Wir sind alle so furchtbar busy, dass wir es nicht einmal mehr schaffen, unsere Freunde zu sehen. Und die entschuldigen unser Verhalten nicht nur, sie respektieren es sogar. Nicht nur, weil jemand, der so schwer beschäftigt ist, irgendwie bedeutsam und somit auch interessanter sein muss, sondern auch, weil sie selbst nicht besser sind. Schließlich gehen für jede bei uns eingehende Busyness-Absage zwei von uns selbst wieder an wen anders raus.

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Aber sind wir wirklich alle so beschäftigt?

Es war nie einfacher und akzeptierter, sich kurz vor einem Treffen mit einer einfachen Textnachricht aus der Affäre zu ziehen. Es war allerdings auch nie einfacher, sich so vollzupacken wie heute. Der durchschnittliche Facebook-Nutzer hat 342 Freunde. 342 Optionen, Möglichkeiten und Aussichten. 342 Avatare, die ihren Müll in unsere Timeline blasen und damit unsere Aufmerksamkeit stehlen. Im Schnitt erhalte ich auf Facebook pro Woche rund 20 Einladungen zu irgendwelchen Veranstaltungen, die oft echt toll klingen, mich aber auch überfordern.

Die Strategen von Facebook wissen um dieses Dilemma und helfen mir, mich besser zu fühlen, indem sie die „Vielleicht"-Option eingeführt haben. Bloß nicht festlegen. Könnte ja noch etwas Geileres kommen. Kürzlich wurde diese Option um die „Interessiert mich"-Variante erweitert. Wir alle wissen, dass wir von den 20 Events, bei denen wir zusagen, auf höchstens dreien wirklich vorbeischauen. Und die Events, die uns „interessieren", gehen uns erst recht am Arsch vorbei.

Aber mit Facebook allein ist es nicht getan. Zum Glück gibt es auch noch WhatsApp.

Wir verabreden uns in WhatsApp-Gruppen zum Pizzaessen und da geht es schon los. Die Hälfte sagt nur vielleicht zu, die andere Hälfte will um alles in der Welt dabei sein—absurderweise sind das oft auch die, die fünf Minuten vorher aus fadenscheinigen Gründen mit einem One-Liner absagen: „Sorry Leute, schaff's nicht, mega busy heute …" Natürlich ist es auch viel einfacher, jemandem eine Textnachricht zu schicken, anstatt die Person anzurufen oder gar persönlich zu sehen und abzusagen.

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Foto: icanteachyouhowtodoit | Flickr | CC BY 2.0

Vergleiche doch mal, wie oft Du dich per Textnachricht oder persönlichem Anruf zum Trinken mit Freunden verabredest. Als Teenager in den 90ern habe ich zum Festnetzhörer gegriffen, meine Kumpels angerufen und wir haben einen festen Zeit- und Treffpunkt ausgemacht. Damit ist man auch eine Verpflichtung eingegangen. Es ist nicht ein Mal vorgekommen, dass jemand spontan nicht erschienen ist, weil er zu viel mit seinen Hausaufgaben zu tun hatte. Eine Verabredung war eine Verabredung. Heute ist sie nur eine Option.

Natürlich spielt es auch eine immense Rolle, wie eine Verabredung überhaupt zustande kommt. Weil die meisten via moderner Telekommunikation entstehen, fühlt es sich auch nicht schlecht an, sie via Telekommunikation spontan wieder sausen zu lassen. Würdest du die handschriftliche Einladung zur Hochzeit deiner Cousine im Facebook-Chat absagen? Eher nicht. Würde die Einladung auf Facebook aufploppen, wäre sie aber wieder nur eine von vielen.

So führst du die beste Freundschaft aller Zeiten.

Wie furchtbar busy wir alle sind. Es sind allerdings nicht die Leute, die drei 400-Euro-Jobs auf einmal nachgehen müssen, die einem immerzu weismachen wollen, wie wenig Zeit sie haben und dafür auch noch Anerkennung erwarten. Oft sind es diejenigen, die eigentlich gar nicht beschäftigt, sondern in Wahrheit einfach nur müde sind. Leute, die sich selbst so zuscheißen mit Aufgaben und Zielen und Ambitionen, um ihr Profil zu schärfen, dass sie am Ende zu gar nichts mehr kommen. Kein Mensch ist so beschäftigt, dass er nicht die Zeit hätte, überall zu erzählen, wie beschäftigt er ist—das wusste schon Robert Lembke.

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Ich glaube, dass dies besonders auf Großstadtmenschen zutrifft.

Es zieht uns in die Ballungszentren der Republik. Berlin, Hamburg, München, Köln. Großstädte ziehen junge Leute an wie das Licht die Mücken. Es gilt als cool und mondän, in einer angesagten Stadt zu leben. Selbst der langweiligste Hinterwäldler kann sich in Berlin-Kreuzberg unheimlich cool und urban vorkommen. Wer früher in Hintertupfingen die meiste Zeit vor seinem Rechner beim Zocken verbrachte, rennt jetzt von einer Ausstellung zur nächsten, labert über Street Art und postet anmutige Schwarz-Weiß-Fotos auf Instagram. Hier noch ein paar Drinks nehmen und in diesem Club auch noch eben socializen. So entsteht, was New York Times-Autor Tim Kreider die „Busy Trap" nennt.

Für jedes Treffen, das wir sausen lassen, schieben wir eine Entschuldigung vor, welche sich meist darauf beruft, dass wir einfach viel zu beschäftigt sind. Wir tun so, als seien wir die Schlimmsten, weil wir es einfach wieder nicht geschafft haben, unser alles mit unserem Busy-Life unter einen Hut zu bringen. Sehr cool. Und falls das Eingeständnis, zu beschäftigt zu sein, nicht zieht, beschuldigen wir uns eben selbst, Idioten zu sein. Aber bitte mondäne Idioten: „Shit, ich bin so blöd! Habe voll den Kater. Gestern noch bis 4 Uhr raus gewesen. Schaff es nicht zum Brunch. Sorry!!!" Dass man überhaupt zum Brunch verabredet war, hatte man natürlich ohnehin völlig vergessen.

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Dieses ganze Gehabe mag zwar vordergründig cool wirken, kann Freundschaften aber nachhaltig belasten. Man ist schon so sehr auf auf „vielleicht" geschaltet, dass man Verabredungen nicht ernst nimmt und schon von vornherein mehrere Pläne macht, falls der eine nicht zu Stande kommt. Was eben zur Folge hat, dass andere halbgare Zusagen kurzerhand abgeblasen oder sogar komplett ignoriert werden. Dass man dadurch jemandem vor den Kopf stoßen könnte, was der Betroffene natürlich nicht zugeben würde, interessiert überhaupt nicht mehr.

Vielleicht sollten wir einfach mal wieder anfangen, pünktlich irgendwo aufzukreuzen, Verabredungen nicht mehr kurz vor knapp via WhatsApp abzusagen und ein paar echte Freunde, tausend Bekanntschaften vorzuziehen. Schließlich möchte niemand von uns für andere auch nur eine Option sein—oder?

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Titelfoto: justine-reyes | Flickr | CC BY 2.0