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Popkultur

'Game of Thrones' stellt Krieg realistischer dar als alle Kriegsfilme

Und das trotz Drachen.
Foto via Wikimedia Commons

Wenn du GoT-Fan bist, hast du die neueste Folge bestimmt schon gesehen. Trotzdem: Achtung, Spoiler!

Sprechen wir über die neueste, epische Folge Game of Thrones. Auf der einen Seite haben wir die Lannisters – traditionell eher die Bösen, aber sie können einem auch leidtun. Sie haben keine Drachen, wenige Verbündete und eine komplizierte Beziehung. Auf der anderen Seite: die tugendhafte Drachenkönigin – ehemaliger Underdog, heute asskickende Zündlerin auf hohem Niveau. Keine Frage: Die brilliante finale Schlacht in "Kriegsbeute" war kein ebenbürtiger Kampf zwischen zwei Seiten, sondern ein groß angelegter, epischer Beatdown.

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Das Bild von Bösewichten in Filmen und Serien ist meist wenig komplex. Uns Zuschauern soll nur eine Seite sympathisch sein, die Feinde sind das personifizierte Böse und als Menschen völlig egal. Der Soldat James Ryan? Einfach bloß Nazis, die können ruhig sterben. 300? Echt üble Perser, die können auch reihenweise fallen. Braveheart? Diese miesen, autoritären Engländer sollen ins Gras beißen. Neuere Filme machen es auch nicht besser – dabei wissen die Macher offensichtlich, wie man Empathie aufbaut, denn für die "Guten" tun sie das. (In Dunkirk versuchen sie diesen Fehler zu vermeiden, indem sie die Deutschen überhaupt nicht zeigen, aber das ist eine Geschichte für einen anderen Artikel.)

Jaime Lannister und Bronn | Bild via HBO

In Game of Thrones triumphiert zunehmend das Gute über das Böse, und in der neuesten Episode war ich völlig hin- und hergerissen, zu wem ich denn nun halten soll. Meine Gründe dafür sind banal: Ich schere mich einfach um beide Seiten. Und das liegt natürlich an den Figuren, die an dieser Schlacht teilnehmen.

Weil Kriegsszenen in Unterhaltungsmedien die Welt in Schwarz und Weiß unterteilen, eignen sie sich so gut als Propaganda, wie zum Beispiel American Sniper. Der Zuschauer soll sich nur mit einer Seite verbunden zu fühlen. Die Wilden gegen die Zivilisierten, der Patriot gegen den Terroristen, die helle Seite gegen die dunkle.


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Die neueste Folge von Game of Thrones durchbricht diesen ausgelutschten Trott und zeigt die Grauzonen des Kriegs fast perfekt – und das in einer 20-minütigen Schlachtsequenz. Weil wir über 50 Stunden eine Bindung zu den Figuren aufgebaut haben, gelingt das.

Da ist natürlich der "Bösewicht", Ser Jaime Lannister. Seine vernichtende Niederlage liefert uns die erste Perspektive. Jaime ist ein Familienmensch, nur eben auf eine abgefuckte Art. Er strebt nicht nach persönlicher Macht, sondern hat sich gänzlich den Zielen des Hauses Lannister verschrieben, vor allem denen seiner Geliebten und Zwillingsschwester Cersei. Im Laufe von sieben Staffeln haben wir mit ansehen müssen, wie dieser Mann seine Hand, seine Kinder, seinen Vater, und seinen Bruder verliert – Letzteren an die Gegnerseite. Alles nur für irgendwelchen Inzest-Familienehre-Kram. Dass er jetzt auch noch sterben soll, während er eine Fuhre Gold und Getreide beschützt, wirkt ganz schön grausam. Und genau deshalb halten wir auch schnell mal zu Jaime Lannister, obwohl er das Wohl von Westeros gefährdet. (Außerdem legt die Serie inzwischen nahe, dass er vorhat, seine Königin/Schwester/Geliebte Cersei zu ermorden, was unsere Gefühle für Jaime nur weiter kompliziert.)

In der Kampfszene in "Kriegsbeute" nehmen wir immer wieder seine Perspektive ein – alles von unten, vom Boden aus. Dadurch wirkt Daenerys' Armee überwältigend und furchteinflößend. Die Dothraki-Horde erscheint am Horizont, am Himmel darüber ein gewaltiges Ungeheuer, der übermächtige Tod auf Schwingen.

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Bronn | Bild via HBO

An Jaimes Seite ist unser geliebter Antiheld Bronn. Er ist Jaimes rechte Hand, aber fühlt sich keiner Seite verbunden. Für Bronn zählt das Geld, er ist ein Söldner mit einer halbwegs intakten Moral und guten Sprüchen, und genau deswegen mögen wir ihn. Selbst der dumme Dickon Tarly löst bei uns Mitgefühl aus, denn wir sehen ihn als reichen Jungen, der sich den Stolz seines Vaters erkämpfen will, aber dem das Töten nicht im Blut liegt.

Und dann die Gegenspielerin, die Drachenmutter Danaerys Targaryen. Sie nimmt in dieser Szene die Rolle des Guten ein. Wir wissen von ihrer schweren Vorgeschichte: Sie wurde vergewaltigt und versklavt, doch letztendlich hat sie über die grausamen Männer triumphiert. Sie war der eigentliche Underdog, aber ist inzwischen eine unaufhaltsame Feuergöttin, deren Drachen-Luftwaffe Männer mit Speeren wie Ameisen aussehen lässt. Zu sehen, wie ihr Inferno auf dem Schlachtfeld Menschen zu Asche verbrennt, lässt uns fast vergessen, dass sie hier das Gute repräsentiert. Es ist zweifellos befriedigend, dass die Bösen endlich ihr Fett weg kriegen, aber ihr Kreischen und Flehen hallt trotzdem in den Ohren wider.

Daenerys Targaryen, via YouTube

Daenerys' Übermacht in dieser Szene ist auch deshalb schwerer zu verdauen, weil wir in einer früheren Episode gesehen haben, wie Arya Stark einer Gruppe Lannister-Männer am Lagerfeuer begegnet. Die Männer sind freundlich und tatsächlich sympathisch – obwohl Arya eindeutig sagt, dass sie ihre Königin töten will. Jetzt müssen wir uns vorstellen, dass es dieselben Männer sind, die qualvoll in Rauch und Asche verenden.

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Und dann ist da Tyrion, der alles von der Anhöhe überblickt. Er ist der Bruder unseres Bösewichts Jaime und hat die Seiten gewechselt, um seinem unwürdigen Dasein im Hause Lannister zu entkommen. Er mag ein Verbündeter der Drachenkönigin sein, aber Blut bleibt Blut. Wir sehen Tyrions Hilflosigkeit, als er mitansehen muss, wie Jaime etwas Dummes/Mutiges tut. Seine geflüsterten Fluchworte machen noch deutlicher, wie absurd es ist, dass Jaime sich mit einer Königin und ihrem gigantischen Drachen anlegt. In gewisser Weise ist Tyrion ein Kriegsopfer zwischen den Stühlen. Er kann niemals wirklich siegen, denn wie auch immer der Krieg ausgeht, er erleidet einen Verlust. Damit gleicht seine Perspektive am meisten der Sicht der Zuschauer. Auch wir können gleichzeitig zu beiden Seiten halten, weil wir schon so lange mit diesen Figuren mitfühlen.

Tyrion Lannister, via YouTube

Aber eben genauso ist Krieg. Egal auf welcher Seite man steht und um wen es sich handelt, einen anderen Menschen zu töten ist eben keine unbedeutende Angelegenheit. Das aber in einer Kampfszene zu vermitteln, ist sehr schwierig. Die Zerbrechlichkeit eines Menschenlebens mögen Kriegsfilme zeigen können, doch erst wenn es sich bei den Beteiligten auf beiden Seiten um Figuren handelt, deren Schicksal uns wichtig ist, können wir uns der Realität des Kriegs annähern.

Ich hätte nur niemals geglaubt, dass ausgerechnet eine Serie über Untote, Drachen und Zwillingsinzest es richtig macht.

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