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Belästigung

Nach Instagram-Kontaktanzeige: Frauen erzählen von übergriffigen Polizisten

"Er hat komplett ausgenutzt, dass er eine Respektsperson für mich war."
Polizist und Frau sitzen sich gegenüber​
Foto: imago | photothek

Du irrst planlos durch die Stadt, findest den Weg nicht. Dann entdeckst du einen Polizisten – wenn der dir nicht helfen kann, wer dann? Du bittest ihn um Hilfe, er erklärt dir den Weg, du bedankst dich höflich. Am nächsten Tag sucht die Polizei auf Instagram nach dir.

So erging es einer jungen Frau vor ein paar Tagen. Ein Lächeln reichte, und der Polizist hatte sich so sehr verknallt, dass die Berliner Polizei am nächsten Tag einen Aufruf startete: "Er trug Uniform. Du hast ihm zum Abschied ein Lächeln geschenkt. Jetzt sucht er dich – wir helfen", hieß es in dem Instagram-Post. Was die Polizei selbst "Liebesdienst" nannte, endete in einem Shitstorm auf Twitter:

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"Geil, Stalking nimmt die Polizei nicht ernst, sondern fördert es gleich noch. Ich weiß schon, warum ich mich als Bürgerin nicht geschützt fühle", meldet sich eine Userin. Viele schreiben, dass sie selbst schon von Polizisten belästigt wurden. Wir haben mit Frauen über ihre Erfahrungen gesprochen.

Sabrina, 30, wurde angeboten, im Polizeiauto in den Club chauffiert zu werden

Ich war viel zu schnell auf dem Fahrrad unterwegs, wurde von einem Auto angefahren und verletzte mich schwer: Brustbein gebrochen, eine Woche Krankenhaus, vier Wochen krankgeschrieben. Um die Schuldfrage zu klären, musste ich eine Zeugenaussage auf der Polizeiwache in Regensburg machen. Am selben Abend erhielt ich von einem unbekannten Profil eine Nachricht auf Lokalisten, einem soziale Netzwerk: Der Typ stellte sich als Beamter der Regensburger Polizei vor – er hätte vorhin im gleichen Büro gesessen, in dem ich meine Zeugenaussage abgelegt hatte. Ich sei ihm aufgefallen. Ich fragte ihn, wie er an meinen Namen gekommen war und mich ausfindig gemacht hatte. Aber darauf ging er nicht ein.


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Wir schrieben eine Weile hin und her – mein jüngeres Ich, ich war damals Anfang 20, fand die Aktion irgendwie kurios-romantisch. Ich gab ihm irgendwann meine Nummer, mit dem Hinweis, dass wir uns ja vielleicht spontan mal treffen könnten. Das "spontan" nahm der Typ aber etwas zu wörtlich. Er fing an, mich regelmäßig anzurufen, wenn er gerade in der Innenstadt Streife fuhr und er bot mir an, mich abends mit dem Polizeiauto von A nach B zu fahren. Da ich zu dieser Zeit ein ziemlicher Partylöwe war, hätte das bedeutet: von Zuhause in den nächsten Club.

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Ich hatte den Kerl noch kein einziges Mal gedatet und jetzt sollte ich mich von ihm und seinem Kollegen durch die Gegend kutschieren lassen?

Die ganze Situation verunsicherte mich ziemlich. Ich hatte den Kerl noch kein einziges Mal gedatet und jetzt sollte ich mich von ihm und seinem Kollegen durch die Gegend kutschieren lassen? Was würden meine Freunde davon halten, wenn ich ihnen erzähle, wie ich zu der Party gekommen bin? Ich lehnte sein Angebot jedes Mal ab. Manchmal erwähnte ich aber beiläufig, dass ich heute Bar soundso besuchen würde, woraufhin er seine Route auf die Gegend, in der besagtes Lokal sich befand, ausweitete, nur um mich dann darauf hinzuweisen, dass er ja in unmittelbarer Nähe sei.

Ich hab den Kontakt relativ schnell abgebrochen, erhielt noch einige penetrante Anrufe und SMS, doch bald war glücklicherweise Ruhe. Heute finde ich die ganze Aktion nur noch creepy. Auf so eine Anmache würde ich nicht mehr einsteigen.

Anna, 24, wurde von einem Polizisten hinter eine Hecke gebeten

Ich war mit einer Freundin unterwegs, ein ganz normaler Nachmittag, als ich mir auf dem Weg zur Bahn eine Zigarette angezündet habe. Vor dem Bahnhof liefen Polizisten Streife. Sie haben ihre Aufgabe wohl sehr ernst genommen und mich und meine Freundin auf die Zigarette angesprochen. Ich war ja offensichtlich noch nicht alt genug dafür, ich war erst 14. Um uns herum waren eine Menge Leute, auch ein paar andere gehässige Jugendliche. Das hat der Polizist als Anlass genommen, um mit uns hinter eine Hecke zu gehen. "Damit die anderen nicht so blöd gucken", meinte er.

Dann steuerte seine Hand zielsicher auf die Kette in meinem Dekolleté zu. "Ach, die ist aber hübsch", hat er gesagt.

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Ich hatte noch nie mit der Polizei zu tun, und war dementsprechend eingeschüchtert. Natürlich habe ich das nicht in Frage gestellt und bin mit hinter die Hecke gegangen, obwohl ich mich damit nicht wohl gefühlt habe. Er fing an uns zu belehren und über die Gefahren des Rauchens aufzuklären. Bis hierhin noch halbwegs okay. Aber dann steuerte seine Hand zielsicher auf die Kette in meinem Dekolleté zu. "Ach, die ist aber hübsch", hat er gesagt, und eine gefühlte Minute lang damit rumgespielt. Ein Mann Ende 50. Ein Polizist!

Das war zu viel des Guten. Er hat es komplett ausgenutzt, dass er eine Respektsperson für mich war. Ich habe mich hilflos gefühlt. Meine Freundin fragte ihn dann laut, ob wir jetzt eine Anzeige bekommen würden oder gehen könnten. Da hat er endlich meine Kette losgelassen, mit einem ekelhaft wohlwollendem Blick verneint, und uns gehen lassen. Hätten Polizisten damals schon Kennnummer gehabt, wären meine Eltern am gleichen Tag noch mit mir zur Polizei gegangen. Aber was wäre da wohl schon passiert?

Sabine, 48, zuckte jedes Mal zusammen, wenn die unbekannte Nummer anrief

Ich war Anfang 20 als ich mein Auto, eine ziemlich alte Schrottkiste, im Halteverbot abstellte. Als ich nach einiger Zeit zurückkam, sah ich einen Polizisten, der einen Strafzettel hinter den Scheibenwischer klemmte. Ich versuchte mich zu rechtfertigen und sagte, dass ich doch schon wieder zurück sei und sofort wegfahren würde. Daraufhin sagte er: "Ach naja, bei so einer hübschen Frau kann man ja mal eine Ausnahme machen", und zerriss den Strafzettel. Ich habe mich gefreut und war erleichtert, keine Strafe zahlen zu müssen.

Schon am selben Abend bekam ich einen Anruf von einer unbekannten Nummer. Es war der Polizist. Wegen des Strafzettels hatte er meine Daten und fragte mich, ob ich einen Kaffee mit ihm trinken gehen möchte. Ich war extrem verängstigt. Der Typ war eben Polizist und ich war zuvor noch nie mit der Polizei in Kontakt gekommen. Deshalb versuchte ich, ihn freundlich abzuwimmeln und sagte, ich sei sehr beschäftigt. Trotzdem rief er mich immer wieder an: "Lass uns doch mal zusammen essen gehen!" oder "Wie wär’s mit einem Spaziergang an der Isar?". Ich traute mich nicht, ihm deutlich zu sagen, dass er aufhören soll, mich anzurufen – schließlich hatte er mir mit dem Strafzettel ja einen Gefallen getan.

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Ich traute mich nicht, ihm deutlich zu sagen, dass er aufhören soll, mich anzurufen – schließlich hatte er mir mit dem Strafzettel ja einen Gefallen getan.

Heute würde ich sofort einen Anwalt oder die Polizei kontaktieren. Aber damals hatte ich einfach Angst. Ich wusste nicht, mit wem ich darüber hätte sprechen können. Nachdem er wochenlang fast täglich bei mir angerufen hatte, und ich jedes Mal zusammenzuckte, wenn ich eine unbekannte Nummer auf meinem Display sah, hörten die Anrufe ganz plötzlich auf.

Ein paar Tage später las ich auf allen möglichen Titelseiten ein und dieselbe Meldung: Ein Polizist hat seine Ex-Freundin getötet und zerstückelt. Und der Vorname des Polizisten war derselbe wie der von meinem Stalker. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Ich kann bis heute nicht sicher sagen, ob es wirklich derselbe Typ war. Aber es passte einfach alles unglaublich gut zusammen. Zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher: Hätte ich mich auf die Angebote eingelassen, hätte ich das vielleicht nicht überlebt.

Christina, 58, hatte Angst, ihren Führerschein wieder abzuholen

Letztes Jahr im Oktober wurde ich geblitzt, weil ich über eine rote Ampel gefahren bin. Daraufhin sollte ich meinen Führerschein für einen Monat abgeben. Ich bin also zur Polizeistation gefahren, die mir zugewiesen wurde. Das lief alles relativ formal ab, ich gab dem Polizisten den Führerschein, wir plauderten kurz und dann er sagte mir, wann ich meinen Führerschein wieder abholen könnte. Soweit so gut. Aber am nächsten Tag bekam ich einen Anruf von eben diesem Polizisten. Er sagte mir, dass er sich gerne mit mir treffen würde, wann ich denn Zeit hätte?

In dem Moment war ich einfach nur perplex. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Also behauptete ich, ich sei gerade in einem Gespräch und würde mich zurückmelden. Erst danach habe ich mich gefragt, woher der überhaupt meine Nummer hatte, und ob er die privat benutzen darf.

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Erst als ich meiner Tochter davon erzählte, die sich darüber sehr ärgerte, wurde mir bewusst, dass das eigentlich gar nicht geht. Er hätte sein Interesse an mir auch anders zeigen können.

Ich fühlte mich zwar unwohl, aber irgendwie fand ich es witzig. Erst als ich meiner Tochter davon erzählte, die sich darüber sehr ärgerte, wurde mir bewusst, dass das eigentlich gar nicht geht. Der Polizist hat noch ein paar Mal versucht mich anzurufen, aber ich habe ihn immer abgewürgt. Ich hatte Angst davor, wie es sein würde, wenn ich meinen Führerschein wieder abholen würde, und dann auf ihn treffe.

Zum Glück hatte er an diesem Tag keinen Dienst. Insgesamt war die Situation nicht wirklich bedrohlich, aber ich finde es sehr bedenklich, wie dieser Polizist mit meinen privaten Daten umgegangen ist. Er hätte sein Interesse an mir auch anders zeigen können, indem er mir zum Beispiel einen Zettel mit einer Nachricht zum Führerschein gelegt hätte – das hätte ich charmant gefunden.

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