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Der implizite Autor

Wie jeden Sonntag hier unsere Literaturkolumne von Pippin Wigglesworth.

Wie jeden Sonntag hier unsere Literaturkolumne von Pippin Wigglesworth.

AUTOR und ALKOHOL - ein halbtotes Topos, das sich unter entstellenden Anstrengungen dennoch durch den Teer der jüngeren Geschichte gedrückt hat. Das Begriffspaar zog dabei schon durch so viele Ausdrucksformen, dass, obwohl dabei vor allem Fragen und Probleme sichtbar werden, dem Paar eine silberne Treue zugesprochen wird, die nach einer finalen Antwort klingt: Ja, wir gehören zusammen.

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Zunächst betraf der Alkohol die Autoren und ihre Nächsten. Das Thema war eigentlich tabu. Lebenspartner, Familie, Freunde und Verleger mochten die Eskapaden ihrer Liebsten gegenüber ihrer Werke in die Waage legen und ihnen stillschweigend vergeben. Lange Zeit standen Autor und Werk weit auseinander und das an die Gesellschaft herantretende war das Werk und nicht der Autor. Fitzgerald, Faulkner, Hemingway, Steinbeck, Simenon und Yeates aber, waren Trunkenbolde mit einem gemeinsamen Pech: die sich rapide vervielfältigenden Tentakel der Medien, einer Industrie, deren umworbenes Produkt "Die ganze Wahrheit" heissen würde. Bei bekannten Autoren wurde ihre Sucht also fast so bekannt wie sie. Unbekannte Autoren, Musiker, Verkäufer und Schichtarbeiter, die alle ein genauso symbolträchtiges Leben und Leiden teilen, tranken halt weiter, oder auch nicht - es interessiert nicht. Das Bild des "trinkenden Autors" wurde also überhaupt nur bei grossen Autoren aufgezogen, wobei der Alkohol als eine Art Kreativitätskraftstoff vermutet werden musste. Die wachsende Zahl alkoholkranker Hochbegabter bestaunend, trieb es dann die Forscher an die Tasten um allerlei Phänomene zu ermitteln: Schreiben und Sucht. Einsamkeit und Werk. Genie und Wahnsinn.

Donald W. Goodwin, ein Psychiater aus Kansas, erstaunt darüber, wie viele der Literatur-Nobelpreisträger des zwanzigsten Jahrhunderts Alkoholiker waren, suchte in ihrem Leben nach Erklärungen. Seine Befunde, unter Einbezug lustiger und trauriger Episoden dieser Schriftsteller, sammelte er in seinem Buch Alkohol & Autor. Damit schuf er aber vielleicht auch eine weitere Grundlage für kommende oder wollende Schriftsteller, sich in ihrer Trinkerei, oder für Trinker, sich in ihrer Schreiberei bestätigt zu fühlen und in offensichtlichen Dummheiten Erhabenes zu sehen. Nach dem Höhepunkt der Abstinenzbewegungen und der Prohibitionen Anfang des 20. Jahrhunderts stolperte der Alkohol, von den Vereinten Nationen zur Volksdroge gekürt, aus dem feinen Salon, indem er immer fähig war sich zu benehmen, hinaus - langsame Stolperschritte, über ein paar Jahrzehnte hinweg - wobei er, bleich wie ein Toter, gerade rechtzeitig in die schwarze Sonne trat, um von der neuen Mode, die ausserhalb des Salons gelassen ihren exotischen Gelüsten nachging, als letzter Schrei empfangen zu werden. Er ist ein Lebenskünstler, der Alkohol. Ihm gelang es seit jeher, sich unter weniger bedeutenden Blicken der Verachtung als entschiedenen Blicken der Bewunderung durch die Generationen zu ätzen. Die Katastrophen, die jeder nüchterne Geist in der fettglänzenden Haut des Alkohols erahnen könnte, haben sich aber fast wie über ihre Rolle und Darstellung in der Kunst, am Leid und am Leben, das sie bedeuten, vorbeischleichen können. Nein, als "Problem" dürfe man ihn nicht bezeichnen, erzählt der Alkohol, er sei ein fester Teil des Lebens, und das Leben, das sei die Kunst. Erstaunlich viele glauben ihm und dem, was er über Leben und Kunst zu sagen hat. Der Suff ist ein beliebter Dozent - so wie Gaddafi, der Ex-Clown der "Medienwahrheit". Alkohol ist eben nicht das einzige Gift, dass den Geist bezirzt.

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Die Verhältnisse begannen sich zu drehen. Nun wütete die Lust wieder unter freiem Himmel wobei es an den Anonymen Alkoholikern war in "Salons" zu ziehen. Und als die traditionellen Krämpfe unterdrückter Lust nachliessen, als damit eine Art von Inspiration nachliess, kam die grosse Selbstbezüglichkeit. Seit Edgar Allen Poe, oder Ernest Hemingway, bei dem sein Alkohol noch wie ein kalter Fisch unter dem Boot eines alten Mannes seine Runden drehte, war eine Gesellschaft herangewachsen, die von Sigmund Freund und den Folgen seiner Psychoanalyse gelernt hat, das ICH und seine Variationen auch ohne künstlerische Ambition zum großen Thema zu machen. Dies war ein Knall der unübersichtlichen historischen Peitsche und natürlich hallte er auch in der Literatur. Dies öffnete das Feld: Zu jenen Autoren, die schon immer aus "der Tiefe" schöpften, gesellten sich dann solche, die diese schon an der Oberfläche ihres literaturfemden, mitunter feuchtfröhlichen Alltags fanden.

Bald war ein verkäuflicher Roman nur noch das Öffnen der Augen, der Ohren, des Mundes, und vielleicht des Hinterns, entfernt. Bald genügten wenige anstiftende Worte von Verwandten oder Bekannten, und aus irgendeinem Leben wurde schnell irgendein Buch. (Vielleicht sogar ein gutes Buch.) Die Erinnerung daran, in der Schule einen mitreissenden Aufsatz geschrieben zu haben, der Allem trotzte, hält dann für zukünftige Bestsellerautoren als "Schlüsselmoment" her, wenn Journalisten sie danach fragen. So ist "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg" zu einem absurden bonmot geworden, dem die Millionen mit ihren millionen Willen folgen, womit der Weg, der einmal lang und schmal war, sich breit machen musste, wobei er sich zu einer unendlich kurzen aber unendlich dicken, also äusserst feinen Linie verzog, welche den Start und das Ziel vereint. Es geht um Effizienz. Diese Linie beiläufig mit dem Fuss berührt zu haben, genügt für allerlei Zertifikate. Einen Automaten, wie der beim Nullmeridian im Greenwich Park, London, kann man solche ausspucken lassen und sie sich auf die Stirn kleben.

Journalisten, übrigens, so erzählte mir ein angetrunkener Schriftsteller neulich, hätten natürlich schon immer gerne getrunken. Nach dem ersten Bier sei mal die Überschrift gekommen, nach dem Zweiten langsam der Text. Deshalb der Zapfhahn mitten in der Redaktion. Da erklärt sich einiges Staunen über Leute, die als Stewardess nach Berlin kamen und sich bis in Hamburger Moderedaktionen hoch soffen. Solche Geschichten höre ich aus allen Branchen und Künsten. Der erste Schritt, so will es machmal scheinen, mache der Arm mit dem Glas in der Hand. Danach: die (kreative) Flut. Dieses Rezept ist nicht neu. Heute ist es aber wohl bekannt. Bekannt ohne Protest. Also beliebt. Also mehr oder weniger: richtig. "Gonzo!", heisst der Ruf, um sofort in die gleichnamige, multidisziplinäre und internationale Institution aufgenommen zu werden. Oder einfach: Cheers!

Je mehr trinken und je mehr schreiben, umso mehr betrunkene Autoren gibt es und umso stärker scheint der mystische Bund dieser Begriffe. Aber nach den Mutationen in den Feldern der Autorschaft und der Benebelung kann dieses Thema heute kaum mehr "Autor und Alkohol" heissen. Es geht jetzt um "Menschen". Und es geht um ihr "Leben". Und zu diesem Zeitpunkt bräuchte es Ermittler, die viel ausgiebiger noch als Goodwin, sich mit dem Letzen und Kleinsten eines Autor-Menschen befassten, um die Frage zu beantworten, wo und wie und warum der Text und der Alkohol einander die Hand geben. Heute braucht es ohnehin für jedes Menschenleben zahlreiche Spezialisten.

Begriffe sind wie Nebel deren Komponenten über die Zeit mehr werden, wobei sie beginnen sich selbst zu umnebeln. Und alles Gesagte und alles Geschriebene das darin schwadert neigt dazu, sich neben, oder sogar in das tatsächlich Geschehene hinein zu stellen. Es geschieht also immer exponentiell mehr, als tatsächlich geschieht. Welche Teile davon nur Geister sind, und welche davon mit ihren Ketten rasseln, bloss weil sie wieder mal zur Flasche gegriffen haben, ist nicht mehr zu sagen. So wirkt das Werk des Wissenschaftlers Goodwin mit seinen Anekdoten und Eskapaden grosser Schriftsteller heute, elf Jahre nach seiner Publikation, wie ein hyper-realistischer Roman, eine Erinnerung an die nie da gewesene Zeit vor dem dipsomanischen Dunst, als es noch einen Unterschied gab, zwischen nüchtern und nicht.

Donald W. Goodwin, Alkohol & Autor, Suhrkamp Taschenbuch