Drogen

Dieser Dozent hängt mit mexikanischen Kartellen ab

Bertrand Monnet ist Experte für Wirtschaftskriminalität. Seine Feldstudien sind extrem.
Selfie von einem Mann mit kurzen Haaren und Dreitagebart in einem Auto mit maskierten bewaffneten Männern, der Wissenschaftler Bertrand Monnet forscht zu Geldflüssen der organisierten Kriminalität.
Bertrand Monnet in Mexiko | Foto mit freundlicher Genehmigung von Bertrand Monnet

In Japan ist er mit den Yakuza aneinandergeraten, in Italien hat er Mafiosi getroffen, in Brasilien wurde er als Geisel genommen, seit zehn Jahren steht er im engen Austausch mit dem Sinaloa-Kartell in Mexiko. Aber Bertrand Monnet ist kein Drogenfahnder, sondern Dozent für Wirtschaftskriminalität an der EDHEC Business School in Lille. An der französischen Privatuni bringt er der angehenden Wirtschaftselite bei, wie man schmutziges Geld erkennt und verhindert, dass es in den legalen Finanzkreislauf gelangt.

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Um das möglichst anschaulich zu vermitteln, präsentiert Monnet die Fallstudien seinen Studierenden als Videos. Einige davon haben in Form von Kurzdokumentationen ihren Weg ins Internet gefunden. Seit sieben Jahren begleitet er mit der Kamera das Fentanylgeschäft der mexikanischen Kartelle. Bemerkenswert ist vor allem das große Vertrauen, das die Kriminellen Monnet als Forscher entgegenbringen.

Wir haben mit Monnet über seine Forschung und die Globalisierung des Drogenhandels gesprochen.


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VICE: Seit zehn Jahren stehst du in Kontakt mit dem Sinaloa-Kartell. Wie hat das alles angefangen?
Bertrand Monnet:
Ich bin Dozent an der EDHEC Business School. Seit 18 Jahren beschäftige ich mich mit nichts anderem als Wirtschaftskriminalität. Das heißt nicht, dass ich Menschen beibringe, wie sie kriminell werden. Ich kläre sie über die Gefahren von Wirtschaftskriminalität auf. Wie andere Dozenten, die Marketing unterrichten, arbeiten wir mit Fallstudien. In meinem Fall bedeutet das, Wirtschaftskriminelle zu treffen – egal, ob sie von der Cosa Nostra, den Yakuza oder was auch immer sind.

Vor zehn Jahren habe ich angefangen, mit dem Kartell zu arbeiten, vor sieben bekam ich dann zum ersten Mal Zugang. Zwei Jahre später konnte ich meine erste Dokumentation machen und in ihren Kokainlaboren filmen. Ich wollte die Quelle des Geldes verfolgen, von der Straße bis auf die Bankkonten legaler Unternehmen. Das sind Unternehmen, mit denen meine Studierenden nach ihrem Abschluss vielleicht Geschäfte machen. Ich bringe ihnen bei, wie sie es vermeiden, mit diesen Firmen zu arbeiten. Man kann sie allerdings nur wirklich überzeugen, indem man ihnen die Wahrheit zeigt. Wo kommt das Geld her?

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Bei meiner Arbeit an den Dokus sah ich auch Fentanyl in den Kokainlaboren. Mir war sofort klar, dass das eine Gelddruckmaschine für die Gangs ist. Ich fragte sie, ob es OK sei, über die Fentanylproduktion zu berichten. Die Antwort kam prompt: "Auf gar keinen Fall, das ist unmöglich." Das hat mich natürlich neugierig gemacht und ich habe zwei Jahre lang immer wieder nachgehakt. Irgendwann hat es dann geklappt.

Das Maß an Vertrauen, das dir in den Dokus entgegengebracht wird, ist wirklich unglaublich.
Das ist unerlässlich. Es ist sehr riskant. In Mexiko werden viele umgebracht, weil sie keine Zeit haben, ein solches Vertrauen zu den Kartellen aufzubauen. Sie stehen unter Druck, Informationen zu kriegen, und in Mexiko ist dieses Thema ein absoluter Notfall. Ich habe den Luxus, nicht unter Zeitdruck zu stehen. Für mich ist Culiacán der sicherste Ort der Welt, weil die Kartelle mich dort willkommen heißen. Nach den ersten Dokus sahen sie, dass ich mein Wort halte. Ihre Gesichter und ihre Stimmen waren nicht zu erkennen. Sie begannen, mir zu vertrauen.

In einer Doku erreichst du den Unterschlupf eines Kartells wenige Sekunden nach den Drogenfahndern und der Armee. Wie viel Kontakt hast du zu den Strafverfolgungsbehörden in Mexiko?
Keinen. Wenn du mit der Polizei redest, kannst du nicht mit den Kartellen reden. Es sei denn, du willst eine Kugel in deinem Kopf riskieren.

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Welche Rolle spielt das Sinaloa-Kartell im größeren Kontext des Drogenhandels?
Es ist nicht das einzige Kartell, das Fentanyl in den USA verkauft, aber das wichtigste. Die Opioidkrise ist ein riesiges Geschäft.

Wie sind die Narcos menschlich? Was für eine Zukunft sehen sie für sich? Planen die, irgendwann friedlich in den Ruhestand zu gehen?
Nein, diese Menschen sind das, was ich "Business Extremisten" nenne. Selbst ein mittlerer Manager verdient dort Millionen Dollar pro Jahr. Ich frage mich dann immer: "Hey, warum hörst du nicht einfach auf? Du bist reich, dein Geld ist irgendwo sicher, du könntest ein gutes Leben mit deiner Familie haben." Aber nein. Sie können nicht aufhören. Sie koksen, aber die wahre Droge ist nicht das Kokain, es ist der Dollar. Sie sind absolut von Gier besessen und können das nicht kontrollieren. Sie müssen Geld machen – komme, was wolle. Als jemand, der schon so lange in diesem Feld arbeitet, halte ich das für den einzigen Grund, warum sie bereit sind, so viele Menschen umzubringen – selbst ihre eigene Familie. Das Geld übt dieselbe Macht auf sie aus wie das Fentanyl auf die, die es konsumieren. Sie tun alles, um ihre Dosis zu kriegen. 

Aber sie sind keineswegs verrückt. Auf der kleineren Clan-Ebene sind sie gut organisiert. Das Kartell ist ein Zusammenschluss von Clans, eine Art Genossenschaft. Die Clans sind komplett unabhängig. Nur bei drei Dingen arbeiten alle zusammen: Zugang zu Fentanyl, welches sie in großen Mengen aus China importieren, Korruption auf hohen Ebenen und Zugang zu Maschinen, mit denen man Fentanylpillen pressen kann. Es ist sehr riskant, sie aus China zu importieren. Deswegen organisieren die Anführer des Kartells diese Dinge aus dem Kartellhauptquartier. 

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In jedem Clan gibt es Leute, die für die Geldwäsche zuständig sind. Das sind erfahrene Leute mit Finanzhintergrund und Geschäftsverbindungen. Der eine Clan, den ich in den Dokus begleite, hat solche Verbindungen nach Dubai. 

Die Behörden in Dubai sind sich schon darüber im Klaren, dass sie Investitionen von illegalen Geschäften wie denen der Narcos anziehen, oder?
Genau. Deswegen ist Dubai auch so attraktiv für Kriminelle. Dubais Undurchsichtigkeit ist nicht einzigartig in der Welt. Es gibt viele andere Steueroasen, die Kriminellen dieselben Verschleierungsmöglichkeiten bieten. Aber Dubais Behörden sind komplett unkooperativ. Es kommt sehr selten vor, dass sie überhaupt auf Forderungen von Gerichten in den USA oder Europa reagieren.

Wenn du absolut sicher sein willst, wenn du dein Geld versteckst, dann ist das hier sehr einfach: Sobald dein Geld in Dubai ist, pack es nicht auf ein Bankkonto, sondern investiere in Immobilien. Dabei ist es egal, ob es ein Appartement, eine Baustelle, ein Hotel oder ein Einkaufszentrum ist. Selbst wenn sich die Behörden in Dubai entscheiden sollten, ihre Informationen über dich mit anderen Ländern zu teilen: Sobald dein Geld vom Bankkonto runter ist und in 100 Appartements investiert wurde, ist es unmöglich nachzuverfolgen, wem dieses Vermögen gehört. 

Ist der Drogenhandel inzwischen zu global, um ihn aufzuhalten?
Die Narcos müssen Milliarden an Schwarzgeld waschen, um ihren Reichtum aufzubauen. Und dafür nehmen sie diese Steueroasen voll in Anspruch. Es ist möglich, die globalisierte Narco-Wirtschaft anzugreifen, indem man Druck auf diese kleinen Löcher im weltweiten Finanzwesen ausübt. Aber das ist der einzige Weg.

Wirtschaftliche Sanktionen bringen mehr als Waffen, Helikopter und Drohnen – oder man kombiniert die beiden Sachen. Der finanzielle Druck ist essenziell. Und der liegt in den Händen einiger weniger großer Staaten: den USA, Großbritannien, der EU und Kanada. Bislang macht aber keiner was. 

In den Dokus stellst du allen Kartellmitgliedern dieselbe Frage: Ob sie an Gott glauben. Warum?
Nachdem ich jahrelang Studierende unterrichtet habe, wundere ich mich immer noch darüber, dass viele von ihnen denken, die Narcos seien ganz andere Menschen als sie selbst. Natürlich unterscheiden sie sich, weil sie Killer sind. Aber ich stelle ihnen diese Frage, um zu zeigen, dass auch die Narcos menschliche Wesen mit all ihren Widersprüchen sind. Wie kann man an Gott glauben und gleichzeitig die Ermordung von Tausenden Leuten anordnen? Die einzige Erklärung dafür ist, dass sie Menschen sind wie du und ich.

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