Sieben von Zinos Freunden erzählen von Alltagsrassismus
Alle Fotos: Zino Peterek
Menschen

Dieser Fotograf hat Freunde nach ihren krassesten Erfahrungen mit Rassismus gefragt

"Mein Chef war ein begnadeter Koch und der größte Rassist, dem ich je begegnet bin."

Spätestens seit den Black Lives Matter-Demonstrationen im vergangenen Jahr ist Alltagsrassismus in Deutschland ein Thema, über das gesprochen wird. In der Öffentlichkeit zumindest – in Freundeskreisen gibt es dafür nicht immer Raum.

Fotograf Zino Peterek wollte das ändern. "Meistens sprechen wir nur über die Personen anstatt mit ihnen, daher wollte ich den Menschen und dem ihnen Widerfahrenem Gehör verschaffen."

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Seit 2020 porträtiert er Freunde und Bekannte aus seiner Heimatstadt und hört ihren Rassismuserfahrungen zu; Erfahrungen bei der Wohnungssuche, im Job, auf dem Spielplatz. Das Fotoprojekt ist noch nicht abgeschlossen. Gerade ist Zino auf der Suche nach weiteren jungen Menschen.

Nadine, 24: "Ich habe ihm noch 'Fick Dich!' hinterhergerufen."

Nadine, eine junge Frau steht vor einem Baum

"Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wurde ich bereits unzählige Male rassistisch beleidigt. Von 'Du Virus' bis hin zu 'Fledermaus' wurde mir alles Mögliche an den Kopf geworfen. Ich habe immer das Gespräch gesucht und gefragt, warum ich Corona haben sollte, nur weil ich Asiatin bin? 

Einmal ist es nicht bei einer Beleidigung geblieben. Es war schon dunkel, ich war auf dem Weg von meiner Arbeit, zurück zum Studentenwohnheim. Ein Mann kam mir auf einem Fahrrad entgegen und wurde immer langsamer. Als er auf meiner Höhe war, griff er plötzlich nach meinen Brüsten und rief laut 'Corona, Corona'.


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Ich war völlig schockiert und bevor ich überhaupt realisieren konnte, was geschehen war, ist der Mann schnell davongefahren. Ich habe ihm noch 'Fick Dich!' hinterhergerufen. Ich versuche immer, mutig zu sein, aber da musste ich einfach weinen. Ich fühle mich schlecht, auch wenn ich an alle anderen denke, denen ähnliches passiert."

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Maimouna, 30: "Ich habe einfach keine Lust mehr darauf."

Maimouna trägt ein Schwarzes Kleid, sie erzählt von Rassismuserfahrungen

"Ich hatte gerade meinen Sohn vom Kindergarten abgeholt und stand an der Bushaltestelle, als sich uns eine Frau näherte. Sie begann mich und meinen Sohn zu mustern, dann sagte sie plötzlich: 'Schon wieder viel zu viele Neger hier'. 

Ich war erstmal total perplex und dachte: Schrei ich die jetzt an oder was mache ich? Ich habe mich dagegen entschieden, weil ich keine Eskalation mit der Frau riskieren und nicht vor meinem Sohn laut werden wollte.

Es gibt viele Formen von Alltagsrassismus. Manchmal ist selbst Bekannten nicht klar, was rassistisch ist. Nach der Geburt meines Sohnes wurde ich gefragt, ob ich mir denn sicher wäre, dass das mein Sohn sei. Er sei im Vergleich zu mir doch so hellhäutig. Früher bin ich mit solchen Sprüchen toleranter umgegangen und hatte mehr Geduld, das ist mittlerweile nicht mehr so. Ich habe einfach keine Lust mehr darauf. "

Suat, 28: "Ich war fassungslos und weigerte mich, mit ihm zusammenzuarbeiten"

Suat lehnt an einem Geländer

"Ich bin Koch und habe früh lernen müssen, dass rassistische Sprüche zu meinem Arbeitsalltag gehören. Während meiner Ausbildung in einem Hotel habe ich erlebt, wie wenig eingewanderte Leiharbeiter wert sind. Viele von ihnen waren erst kurze Zeit in Deutschland und mussten arbeiten, um bleiben zu dürfen. Die Menschen wurden als wild, unzivilisiert und dumm abgestempelt, weil sie kein Deutsch konnten oder gewisse kulturelle Gegebenheiten nicht kannten. Ich dagegen war für meine Kollegen das Paradebeispiel für Integration, weil ich kein Muslim bin, gut Deutsch spreche, arbeite und Schwein esse. Und ich bin in Deutschland geboren.

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Als ich eine Kochlehre in einem kleinen Restaurant mit gutbürgerlicher hessischer Küche anfing, war ich der einzige Angestellte mit Migrationshintergrund. Mein Chef war ein begnadeter Koch, allerdings der größte Rassist, dem ich je begegnet bin. Ausländer waren für ihn nur 'Molukken', 'Eselficker' oder 'Buschtrommler'. Eines Tages wollte er einen neuen Koch einstellen. Die Wahl fiel auf Danny aus Kassel. 'Du meinst Nazi-Danny?' fragte mein Kollege unseren Chef. Danny war offenbar ein bekannter, aktiver Neonazi. Ich war fassungslos und weigerte mich, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich reichte in jeder Instanz des Betriebs Beschwerde ein, bei der Personalabteilung, beim Chef, beim Inhaber und sogar beim Investor. Doch keiner ging darauf ein. Mir wurde nur gesagt, gegen mich habe er doch nichts. Während meiner restlichen Ausbildungszeit war Ich dann andauernd dummen Sprüchen ausgesetzt: 'Pass auf, dass dich Nazi-Danny nicht ins Kühlhaus zerrt!'"

Robel, 30: "Zivilcourage zeigte keiner"

Robel schiebt sein Fahrrad durch eine Strasse

"Nach einem Wochenendtrip nach Wien war ich auf dem Heimweg. Kurz nachdem der Zug die deutsch-österreichische Grenze überquert hatte, hielt er. Bundespolizisten kamen in mein ziemlich volles Abteil und steuerten zielgerichtet auf mich zu. Einer zeigte mit dem Zeigefinger auf mich und sagte erst 'Ausweis' dann 'Passport'.

Ich erwiderte, dass er selbstverständlich in Deutsch mit mir sprechen könne. Er ging nicht darauf ein und forderte nochmal meinen Ausweis. Ich bin Deutscher und kenne meine Rechte, deshalb wollte ich von ihm wissen, warum nur ich kontrolliert werde und zeigte auf die anderen Passagiere im Abteil, die in Ruhe weiterfahren durften.

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Er antwortete, er habe eben auch einen Mexikaner kontrolliert. Die Mitreisenden hatten mittlerweile ihre Kopfhörer abgelegt und folgten gespannt dem Spektakel – aber Zivilcourage zeigte keiner. Mein Sitznachbar sagte sogar: 'Zeig einfach deinen Ausweis, ich muss meinen Anschlusszug noch bekommen.'

Ich fühlte mich hilflos, gab dem Polizisten meinen Ausweis und sagte, dass die Kontrollen mich nerven und dass ich einen 'Föhn' davon bekomme. Er gab mir den Ausweis zurück und meinte ‘Föhnen Sie sich mal weiter'- seine Kollegen lachten. Er fragte noch, ob ich jetzt auch noch seine Dienstnummer haben wolle, drehte sich aber gleich um und ging weg. Eine Mutter, die in der Nähe saß, versuchte ihrem Sohn zu erklären was passiert war. Sie sagte: `` der junge Mann sieht anders aus als wir.'"

Bene, 35: "Das fühlte sich an wie in einem schlechten Krimi."

Bene hat die Hände überkreuzt, er hat einen kurzen Afro-Haarschnitt

"Ich war als 19-Jähriger mit Freunden in einem Club. Nach einiger Zeit gingen wir raus, um frische Luft zu schnappen, als plötzlich aus mehreren Richtungen Streifenwagen kamen und vor uns hielten. Die Polizisten verlangten unsere Ausweise, sie würden nach drei Ausländern suchen, die versucht hätten, eine Frau zu vergewaltigen. Wir mussten mit auf die Polizeiwache für eine Gegenüberstellung mit dem Opfer. Nicht einmal unsere Jacken durften wir holen. Das fühlte sich an wie in einem schlechten Krimi.

Es befanden sich noch weitere junge Männer mit Migrationshintergrund im Revier, die augenscheinlich alle in das Raster der Polizisten passten und sich doch alle unterschieden. Alle mussten sich in eine Reihe stellen, damit die Frau, um die es ging gemeinsam mit einem Polizisten langsam die Reihe ablaufen konnte. Die Frau sagte, sie sei sich nicht sicher, und entschied sich schließlich gegen mich als Täter. Zum Abschluss sagte einer der Polizisten noch, dass es trotzdem besser wäre, wenn wir uns nun nicht mehr in der Innenstadt aufhalten würden. Mich hat vor allem überrascht, wie schnell sich eine entspannte Situation unter Freunden nur wegen unseres Äußeren gegen uns wenden konnte. Der Gedanke, dass mir so was jederzeit und überall wieder passieren könnte verunsichert mich."

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Vy, 21: "Am Ende bekam ich die Wohnung nicht."

Vy, eine junge Frau mit Blazer lehnt an einer Hauswand

"Ich bin vor vier Jahren aus Vietnam nach Deutschland gekommen. Am dritten Tag nach meiner Ankunft war ich gerade auf der Suche nach meiner ersten eigenen Wohnung. Eine Freundin hatte mir dabei geholfen, die Bewerbungsanschreiben zu verfassen, die Termine für Besichtigungen zu vereinbaren und auch die Vermieterin für mich angerufen. Bei einer Wohnung, die ich mir anschaute, war nur die Vormieterin bei der Besichtigung dabei.  Die Wohnung gefiel mir und ich entschied mich dafür. Dann kam der Tag der Vertragsunterzeichung mit der Vermieterin.

Meine Freundin und ich kamen pünktlich zum Termin. Als die Vermieterin mich sah, sagte sie 'Also eigentlich wollten wir nur deutsche Personen für die Wohnung, da es wichtig ist, dass sie auch die Hausordnung verstehen und sich an die Regeln halten kann'. Meine Freundin versuchte mit der Vermieterin zu reden und mich vor ihr zu verteidigen. Leider habe ich die Situation nicht richtig verstehen können, weil mein Deutsch noch nicht so gut und ich auch überfordert war. 

Am Ende bekam ich die Wohnung nicht. Das war meine erste schlechte Erfahrung in Deutschland. Und das nach nur drei Tagen."

Cong, 23: "Wenn ich zurückdenke, macht mich das traurig."

Cong schaut selbstbewusst in die Kamera

"Drei Monate nachdem ich in Deutschland angekommen war, meldete ich mich in einem Sportverein an. Ich kannte mich gut mit Basketball aus und wollte erste Kontakte sammeln, um mich sozial integrieren zu können. 

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Zur Mitgliedschaft gehörte, dass man 20 Stunden im Jahr für den Verein arbeitet. Ich durfte ein Basketballspiel einer U-12 Mannschaft als Schiedsrichter leiten. Mir hat das Spaß gemacht, weil ich den Sport sehr gerne mochte. Während des Spiels habe ich einen sogenannten 'Bad Call' getroffen, eine Fehlentscheidung zugunsten der Heimmannschaft.

Daraufhin rief ein Mann, offenbar ein Vater eines der spielenden Kinder, von der Zuschauertribüne in Richtung des Spielfeldes: 'Hey kannst du überhaupt richtig sehen mit deinen Schlitzaugen?'

Er lachte und seine Freunde lachten mit. Keiner der Zuschauer hat sich beschwert, der Kommentar wurde einfach toleriert. Ich bereue bis heute, dass ich die Situation damals noch nicht so deuten konnte wie ich sie heute verstehe. Ich wusste noch nicht, dass das eine klar rassistische Bemerkung war. Wenn ich zurückdenke, macht mich das traurig. Und ich verstehe noch immer nicht, warum keiner der anwesenden Personen etwas unternommen hat."

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