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Warum Deutschland unbedingt eine Verschärfung des Sexualstrafrechts braucht

Denn das jetzige macht es schwierig zu akzeptieren, dass man einen sexuellen Übergriff erlebt hat. Das musste auch ich erfahren.
Bild einer Frau von hinten; Warum es schwierig ist zu akzeptieren, dass man einen sexuellen Übergriff erlebt hat
Foto: imago images / Panthermedia

Erst Schweden, nun Dänemark: Ab dem 1. Januar gilt auch dort Sex ohne explizite Zustimmung des Parters als Vergewaltigung. In Deutschland gilt seit der Sexualstrafrechtsreform von 2016 ein sexueller Akt als Vergewaltigung, wenn eine Person mit Worten oder Gesten klar macht, dass sie diesen Akt ablehnt. Bleibt jemand passiv oder schweigt, zählt das aber als Einverständnis. Ein Gesetz, wie es nun in den beiden skandinavischen Ländern gilt, gibt Opfern viel mehr Möglichkeiten, sich zu wehren.

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Dass Berühmtheiten öffentlich für ihr übergriffiges Verhalten angeprangert werden, ist mittlerweile an der Tagesordnung. Niemand ist mehr überrascht, wenn der eigene Lieblingsschauspieler sich auf Social-Media-Kanälen mit einem Screenshot der Notiz-App rechtfertigen muss. Vor ein paar Tagen wandte sich die Sängerin FKA Twigs an ihr Twitterpublikum und sprach öffentlich über den körperlichen und emotionalen Missbrauch, den sie in einer Beziehung erfahren hat. "It was hard for me to process too, during and after I never thought something like this would happen to me." So beschreibt sie die Situation in einem ihrer Tweets. Am meisten überrascht mich das Leugnen ihrer eigenen Erfahrungen. Und gleichzeitig kommt mir dieses Leugnen unglaublich vertraut vor.

Wenn ich mit Freundinnen über Dates rede, dann sprechen wir über übergriffige Ereignisse, als wären sie selbstverständlich. Wir erzählen einander, dass wir manchmal so überrumpelt von einer Handlung sind, dass es einfacher ist, etwas durchzustehen, statt eine Szene zu machen. Erst wenn sich die ganze Fangemeinde einer Sängerin im Internet empört, merke ich, dass ich eigentlich auch so richtig sauer bin.  

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Im Frühling vor einem Jahr gab es ein Wochenende, an dem ich mich ärgerte, meine Jacke mit nach draußen genommen zu haben, weil es so warm war. Ich besuchte einen guten Freund. Wir kannten uns schon lange. Ich durfte auf seiner Couch schlafen. Abends saßen wir vor einer Bar, ein paar Touristen am Tisch neben uns sprachen laut Spanisch. Er erzählte mir von seinen Lieblingsfilmen. Ich sagte, dass ich sie auch gut finde. Eigentlich waren sie mir egal. Aber es war Frühling und ich wollte etwas teilen. Später hockte ich über der Toilettenbrille und spürte, wie die zwei Gläser Wein mein Hirn zusammenrollten wie einen Campingschlafsack. Ich musste grinsen und war ganz glücklich zwischen den mit Edding vollgeschmierten Kabinenwänden. 

Wir blieben lange wach. In meiner Erinnerung ist das ganze Schlafzimmer in ein rosa Licht getaucht. Wahrscheinlich war das nicht so. Wir küssten uns und ich dachte daran, wie nett es doch ist, dass er mich hier übernachten ließ. Eigentlich wollte ich nicht unbedingt knutschen, aber er war doch so nett und zuvorkommend. Mein Zögern schien ihn nicht zu stören. Weder beim Knutschen, noch als er mir die Hose von den Beinen zog. Ich redete mir ein, dass ich das doch auch irgendwie wollte. Während er verloren in diesem Moment zu sein schien, war ich trotz Wein und trotz allem im Hier und Jetzt. Ich starrte an die Decke. Dort waren drei schwarze Punkte. Wahrscheinlich tote Fliegen. Mit meinen Augen malte ich Muster und Linien zwischen den Punkten hin und her. Mein Körper war so unfassbar schwer. Ich spürte jede Faser der Matratze, als würde sie nach mir greifen. Ich stellte mir vor, wie sie mich einsaugt und ich verschwinde. Ich hatte nicht nein gesagt. Deshalb fällt es mir bis heute schwer zu akzeptieren, dass das, was ich erlebt habe, ein Übergriff war. 

Woran liegt es, dass nahezu jede Frau in meinem Freundeskreis von mehreren Situationen erzählen kann, in denen es ihr einfacher erschien, das zu tun, was von ihr verlangt wird, statt aufzustehen und zu gehen? Männer sind daran gewöhnt, dass die Befriedigung ihrer Bedürfnisse im Vordergrund steht. Laut einer Studie der Chapman University von 2017 erreichen 95 Prozent der Männer beim Geschlechtsverkehr einen Orgasmus. Bei den Frauen sind es nur 65 Prozent. Wenn ich nicht komme, ist das normal. Wenn er nicht kommt, dann war der Sex schlecht. Frauen schrauben beim Geschlechtsverkehr ihre Bedürfnisse zurück. In einer Welt, in der der männliche Orgasmus einen höheren Stellenwert hat als der weibliche, ist es schwierig auszuloten, wann nur unsere Bedürfnisse nicht getroffen und wann Grenzen überschritten werden. 

Wenn Schweigen als Einverständnis gilt, entsteht ein Klima, das Opfern jegliche Macht nimmt und sie an ihren eigenen Erfahrungen zweifeln lässt.

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