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DIE SKAMMERZ ISHU

Kuhn und Kummer

Wir hatten uns endlich mal getroffen, vor ein paar Monaten, in Zürich, in der Kaufleuten-Bar. Vorher immer wieder mal über Facebook gechattet. Angenehm.

Illustration von Veronika Mathes

Tom Kummer spielte eine Rolle für mich damals, Sommer 1997, kurz vor der Gründung meines Magazins KULT. Ich las dieses Buch mit den besten Kummer-Interviews, mit Sean Penn, Sharon Stone und so, und dachte mir: Endlich, willkommen! Es ging um die Leidenschaft zum Kleinen, sich ins scheinbar Unbedeutende hineinzuschälen, um es dann aufzublasen und erst dadurch leuchten zu lassen. Das Unbedeutende bedeutend machen, indem man es in Umgebungen versetzt, diese inszeniert, worauf sich der Standpunkt dorthin verrückt, wo er hingehört: nämlich woanders. Das erzeugt Verbundenheit, diese Verweigerung der Objektivität, dieses Zelebrieren der subjektiven Wahrnehmung. Es ist nicht der Anlass, der interpretiert wird, nicht der Tag, die Uhrzeit, das Wetter. Es ist die eigene Wahrnehmung der Ereignisse, der Gespräche, der Sätze, der Worte. Er bestellte Tee, ich einen Kaffee und Pommes, ich hatte noch nichts gegessen.

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Übers Tennisspielerleben als Junior haben wir uns unterhalten. Er spielte in Bern, ich in Zürich, er zwei Jahre über mir, das reichte schon aus, um in einer anderen Kategorie zu starten. So hatten wir nie gegeneinander gespielt, aber wir hatten gemeinsame Bekannte. Dann er ein bisschen und ich ein bisschen. Über Berlin, Los Angeles, Kinder und Rockstars. Und irgendwann übers Schreiben, Lyrik, Fabeln, Journalismus, Glaubwürdigkeit, Kunst und seine alten Interviews.

Bild von Freddy Heritsch

VICE: Und das nennst du dann Borderline-Journalismus.
Tom Kummer: Der Begriff ist nicht von mir.

Echt? Aber auf Wikipedia steht es so. 
Nein, das kam vom Poschardt. Aber der Begriff „Borderline-Journalist“ hatte aus seiner Feder keinen Charme, er hatte ihn nämlich negativ besetzt. Die Wertung war mir egal, mir gefiel der Begriff, das Wort … „Borderline-Journalist“, oder allgemeiner „Borderline-Journalismus“. Da ist ein Klang in dieser Wortkonstellation, ein voller, dramatischer und doch eleganter Klang, der hinten bei „ismus“ sogar ein bisschen züngelt, wie eine Schlange, aber so wie die anderen es aussprachen, klang es nur noch dumpf, flach und distanziert.

Auf Wikipedia steht, du hättest den Begriff erfunden. 
Ich habe dem Begriff erst sein Gesicht gegeben, ihn damit entfalten und gleichsam festmachen lassen.

Thompson macht Gonzo, du machst Borderline. Etwa so?
Das muss ich ändern auf Wikipedia. Das muss man ändern.

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Ist doch egal.
Solche Sachen sind nicht egal, wenn man es weiss, und dann nichts tut. Das ist, als wäre man schuldig. Dann ist man auch schuldig.

Hattest du dich schuldig gefühlt, damals, wegen den Interviews?
Ich dachte immer, sie wussten es. Und sie hätten es so gesehen wie ich es sah: Als eine Form von Kunst. Kreiert mit den Mitteln des Journalismus, mit den Mechanismen des Lesens, des Erfahrens. Sie waren ja begeistert und wollten immer mehr solche Geschichten. Für mich war das natürlich grossartig, du musst dir vorstellen, das ist wie ein Produzent, der Remixes macht und die Plattencompanys rennen ihm die Bude ein. Und ich dachte: „Super, dann schreib ich euch noch ein paar“ (Er freut sich sichtlich, als er das sagt). Meine Frau kam dann irgendwann und meinte, dass ihr irgendwie nicht geheuer sei, wenn die das jetzt nicht wüssten, dass die Interviews anders zustande gekommen sind. Ich konnte sie dann beruhigen, denn die Idee, dass die das nicht wussten, war so absurd für mich.

Ist ja jetzt auch egal.
Ich nehme Streichhölzer, um mir die Zigarette anzuzünden, vor ein paar Monaten konnte man noch rauchen in der Kaufleuten-Bar. Ich kann so mehr Zeit verstreichen lassen, als mit dem Feuerzeug, ich will nicht länger über diese alten Interviews reden, ich will überhaupt nicht mehr über all die coolen oder uncoolen Dinge in seiner Vergangenheit reden. Ich will Zeit gewinnen, damit wir vielleicht schnell was einfällt. Und dann merke ich, dass ich mich plötzlich in einer Art Interview befand, obwohl überhaupt kein Interview machen wollte, nicht dass ich meine Gedanken als Fragen formuliert hätte, sondern eher, dass er seine Gedanken als Antworten formuliert hatte. Vielleicht geht ihm aber auch nur auf den Sack, zwanzig Jahre lang immer wieder die gleiche Scheisse durchzukauen, so wie Heintje, immer nur „Mama“ singen, da muss es doch auch noch anderes geben…

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Paddle-Tennis?
Ich versuche mal abrupt das Thema zu wechseln, mit Kummer über etwas sprechen, was man so nicht von ihm erwartet hätte, so, wie er sich in seinen Interviews damals mit Tyson über Nietzsche unterhalten hatte, ich dachte, ok, lass uns spielen … (Er grinst mich an) Du willst mit mir über etwas reden, was man nicht von mir erwartet hätte?

Ja.
Antworte ich ziemlich regungslos. Ich wollte mir ja nichts anmerken lassen. Weil ich in diesen Interviews damals  ….

Ja, genau.
… Tyson und Nietzsche …

Zum Beispiel. Oder …
Das klappt nicht. Du hättest dieses Gespräch erfinden müssen, dann wäre es gegangen. (Er schaut zum Fenster raus.) Es wird nicht mehr schön heute.

Vielleicht mach ich das ja noch. 
(Sage ich beiläufig und greife in die leere Pommes-Schale.) Er schaut mich an, ich blicke zur Bar, wir fühlen uns grad gegenseitig irgendwie ertappt. Ich weiss nicht, bin ich jetzt in seinem Film oder er in meinem, und er wusste es auch nicht. Wir suchten mal die Serviertochter, um noch Kaffee und Pommes zu bestellen. Und um da irgendwie wieder rauszukommen.

Und sonst so? Kinder?
Die spielen auch Paddle-Tennis.

Wollen die nicht richtig Tennis spielen, irgendwann mal? So wie Daddy früher?
Die finden Paddle-Tennis super.

Ach, komm, hättest du damals auch gesagt: Nö, schöner grösser Sandplatz, darmsaitenbespannte Dunlop Maxply Schläger, muss nicht sein, das kleine Betonfeld und die übergrossen Ping-Pong-Schläger finden wir besser.
Vielleicht hat es mir ja auch deshalb ausgehängt. (Er tippt etwas unruhig mit den Beinen, als wäre er nervös, er ist aber nicht nervös, er ist immer so. Er tippt auch nicht wirklich, mehr so ein Vibrieren.) Irgendwann wirst du gut, weil du Talent hast und etwas gerne machst. Und dann kommst du in die Meisterschaften, in die Preiskategorien, und dort umhüllt ein Nebel des Neides die Szene, es gibt Vorschriften und Regeln und es gibt Ansprüche an dich, diese Vorschriften und Regeln zu befolgen.

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Ja, logisch, es geht um Kontrolle. Fügst du dich den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen nicht, dann kannst du nicht mehr kontrolliert werden.
(Er lacht auf) Weisst du, was die mal geschrieben haben? Mit „die“ meinte er „die Anderen“, „die Journalisten“, „die Objektivitätsfetischisten“. Er ist kein Journalist. Wie ich auch kein Journalist bin. Wir schreiben zwar, und dann steht etwas irgendwo, vielleicht in einem „Journal“, einer Zeitung oder sonstwo, aber deswegen ist man noch lange kein Journalist. So wie in der Oper auch nicht jeder der Star-Tenor ist, welcher die ihm vorgegebenen Texte so intoniert, wie es dem Publikum gefällt. Es braucht auch die Beleuchter. Diejenigen, die ein überraschendes Licht auf die Szenerie werfen, die das Bühnenbild in eine emotionale Heimat verwandeln, Leute wie „wir“ sind die mit dem Scheinwerfer. Ich sei „ausser Kontrolle geraten“. Das ist ein gutes Zeichen, wenn Spiegel, SZ und alle schreiben „ausser Kontrolle geraten“. Das meint ausserhalb „ihrer Kontrolle“, so ist es. Ich lasse mich ungern kontrollieren, drum schreiben sie mich bis heute schlecht.

Kann dir auch egal sein. Man muss dann halt sein eigenes Ding machen.

Illustration von Ben Havlicek

Ist so. Du kannst dich nicht an den Futtertopf der Grossen ranmachen und denken, sie wollen dann nicht genau wissen was du wann, wie, wo und mit wem machst. Und heutzutage auch noch denkst.
Oder du findest Produzenten, die noch oder wieder bereit sind, für literarische Produktionen Geld zu bezahlen.

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Ob er das schon wusste oder noch hoffte, konnte ich nicht eindeutig festmachen.

Ich würde dir diese Borderline-Geschichte über die Grenze zwischen den USA und Mexiko sofort abkaufen. Ich hätte überhaupt gerne, wenn du fürs Kult schreiben würdest. Aber ich kann mir dich nicht leisten.
Und ich regte mich innerlich auf, dass ich keine Kummer-Story einkaufen konnte, nicht weil er exorbitant teuer gewesen wäre, nein, schon ein richtiger Preis, ein Kummer-Preis, ein Kummer ist immer noch ein Kummer und das wäre es auch wert gewesen für mich. Aber ich hatte einfach kein Geld. Die Weltwoche vielleicht. Das wird eine richtig gute Geschichte, ich habe keine Ahnung, was auf mich zukommt, aber ich spüre, dass das eine wunderbare Sache wird, dieser riesige Zaun, der sich durch diese traumhafte Wüstenlandschaft zieht. Ein monumentales Werk, beängstigend auch, für beide Seiten und für mich als Beobachter, als Reisender, ebenfalls.

Ein Tagebuch über einen Zaun.
So kann man es sehen, ja. Aber als Gegenentwurf zu den Betroffenheitsreportagen, das ad Absurdum führen des Reisejournalismus, vielleicht mal ein Interview mit einem …

Ich finds jetzt schon geil.
Aber gratis kann ich es dir nicht machen, ich lebe davon

Klar, aber eben…
Und ins Internet darfst du es auch nicht stellen.

Wohin gehst du heute noch?
Es ist sechs Uhr abends, ich musste los, meinen Jungen vom Fussballtraining abholen. Nachher?

Ja.
Nicht mehr viel, morgen geht’s nach Dortmund..

Lesung?
Die Tournee fängt an, ja.

Freust du dich?
Mal so, mal so. Aber er freut sich. Wir verabschieden uns verwandt, er in die Stadt, ich in die Schule meines Sohnes. Nach Los Angeles kommen sollte ich mal, meint er. Werde ich, sagte ich. Wir sehen uns bald, dachte ich, und wenn nicht, dann schreiben wir einfach, wir hätten. Wir hatten ja jetzt schon mal.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Skammerz Issue, die sich wie der Titel so schön sagt, mit kleinen und größeren Betrügerein beschäftigt. In diesem Licht ist auch dieses „Interview“ zu betrachten, das in Wahrheit kein tatsächliches Interview sondern eine Hommage an den Journalisten Tom Kummer darstellt.