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Neutralität

Wie passen Österreichs internationale Waffentransporte zu unserer Neutralität?

Trotz des Neutralitätsgebots Österreichs rollen immer wieder ausländische Panzer und Soldaten durch das Land. Wir haben nachgefragt, wie das überhaupt möglich ist.
Screenshot via YouTube

Im Juni waren es 550 Fahrzeuge und 1.100 Soldaten der US-Army, die auf dem Weg zur Übungsmission "Saber Guardian 17" Österreich durchquerten. Die Übungsmission in Ungarn, Rumänien und Bulgarien, die seit Dienstag und noch bis zum 20. Juli läuft, ist die größte Übungsmission dieser Art, die in der Region je stattgefunden hat.

Mit der Übung soll unter anderem Russland signalisiert werden, dass in Europa jederzeit massenhaft militärische Kräfte zusammengezogen werden können. Vor allem in pro-russischen Medien wird die Übung als Provokation des Westens kritisiert.

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Obwohl die Übungsmission der US-Armee und 22 alliierten Truppen offensichtlich auch als Provokation gegenüber Russland verstanden wird, verstößt der Transport der amerikanischen Militärfahrzeuge und Soldaten über österreichischen Boden aber nicht gegen das "immerwährende Neutralitätsgebot" Österreichs.

Zwischen Jänner 2011 und September 2015 gab es 5.592 Transporte ausländischer Truppen durch Österreich.

"Der Transport wurde auf Grundlage des Truppenaufenthaltsgesetzes durch das Verteidigungsministerium und in Einvernehmen mit dem Innenministerium genehmigt. Solche Transporte haben auch in der Vergangenheit stattgefunden", erklärt Oberstleutnant Peter Barthou die rechtliche Basis für solche Militärtransporte gegenüber VICE.

Dass solche Transporte tatsächlich keine Seltenheit sind, geht aus einer parlamentarischen Anfrage der FPÖ aus 2015 hervor. Zwischen Jänner 2011 und September 2015 gab es 5.592 Transporte ausländischer Truppen durch Österreich, die nach dem Truppenaufenthaltsgesetz genehmigt wurden. 2016 waren es zirka 1.200. Darunter Truppen aus Albanien, den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen, der Schweiz und weiteren europäischen Staaten. Auch die Ukraine durfte zwischen 2012 und 2015 Waffen und Soldaten durch Österreich transportieren, obwohl dort seit Februar 2014 ein bewaffneter Konflikt ausgetragen wird.


An der Front von Donetsk: Der fehlgeschlagene Waffenstillstand in der Ukraine

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"Zur Ukraine ist festzuhalten, dass es sich hier nach internationaler Einschätzung um keinen Krieg im völkerrechtlichen Sinne handelt", erklärt Peter Barthou, warum auch die ukrainischen Transporte genehmigt wurden. "Da es sich um keinen Krieg im völkerrechtlichen Sinn handelt, ist auch nicht das Neutralitätsrecht anzuwenden."

Dennoch habe Österreich im Zuge des Truppentransports durch Österreich im Juni eine Einschränkung in Bezug auf amerikanische Waffen- und Truppenverlegungen in die Ukraine erteilt. Seit 2013 seien außerdem keine Transite ausländischer Militärs in die Ukraine mehr genehmigt worden, erklärt der Oberstleutnant.

Die USA diskutieren seit Jahresanfang vermehrt über Waffenlieferungen an die Ukraine. Im Februar forderte etwa McCain Trump auf, die Ukraine endlich mit tödlichen Waffen zu unterstützen. Ende März erneuerte Curtis Scaparrotti, General des Europäischen Kommandos der Vereinigten Staaten, die Forderung nach Waffen für die Ukraine.

Ende Juni sorgte dann eine Aussage des ukrainischen Präsidenten Petro Poroshenko für erneute Spekulationen über baldige Waffenlieferungen aus den USA. Russland hatte bereits im März vor weiteren Lieferungen militärischer Güter gewarnt, nachdem die USA nicht-tödliches Material an die Ukraine gesandt hatten.

Die Verantwortung für Truppentransporte durch Österreich liegt beim Lagezentrum des Verteidigungsministeriums. Für die Benützung des Schienennetzes gelten die selben Tarife, wie sie auch für österreichische und nicht-österreichische Zivilisten gelten. Nur das Straßennetz kann gratis benutzt werden, da aufgrund eines EU-Abkommens die Mautgebühren für Militärtransporte entfallen.

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Kriegsmaterial, das innerhalb der EU transportiert wird, ist generell nicht genehmigungspflichtig. Erst wenn nicht nur militärisches Gerät, sondern auch Soldaten aus EU-Ländern durch Österreich transportiert werden, braucht es eine Bewilligung des österreichischen Verteidigungsministeriums.

Im Rahmen von EU-Battlegroups beteiligt sich Österreich an internationalen, militärischen Übungen.

Seit 1991 kann das Verteidigungsministerium Truppentransporten durch Österreich zustimmen, ohne damit mit dem Neutralitätsgesetz in Konflikt zu geraten. Seit dem wurden die Auflagen immer wieder gelockert, weshalb heute auch von einer "militärischen Bündnisfreiheit" Österreichs und oft nicht mehr von einer eigentlichen "Neutralität" gesprochen wird.

Doch auch der Begriff "militärische Bündnisfreiheit" täuscht. Österreich ist Teil mehrere sogenannter EU-Battlegroups, wie zum Beispiel der Battlegroup 107, oder der Deutsch-österreichisch-tschechischen Battlegroup. Im Rahmen dieser EU-Battlegroups beteiligt sich auch Österreich immer wieder an internationalen, militärischen Übungen.

Zwischen EU und NATO besteht seit 2003 eine vertragliche Vereinbarung über eine "strategische Partnerschaft", womit auch Österreich faktisch der NATO nahe steht. Bereits 1994 ist Österreich außerdem der NATO-Partnerschaft für den Frieden beigetreten.

Es scheint, als wäre die 'immerwährende Neutralität' Österreichs heute mehr nationalistisches Symbol als politisches Faktum.

Tatsächlich scheint es, als wäre die "immerwährende Neutralität" Österreichs heute mehr identitätsstiftendes Symbol als politisches und militärisches Faktum. Besonders zu Wahlkampfzeiten beziehen sich Politiker gerne auf das Neutralitätsgesetz – zum Beispiel im Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016, als Norbert Hofer Alexander van der Bellen indirekt immer wieder vorwarf, die Neutralität abschaffen zu wollen.

Auch der Wahlkampf zur Nationalratswahl im Oktober wird wohl nicht um den Neutralitäts-Begriff umherkommen. Denn mit nationalen Symbolen wie der "immerwährenden Neutralität" lässt sich nun mal gut Politik machen – auch wenn die Frage gestellt werden muss, inwiefern der Neutralitätsbegriff Österreichs mit dem Solidaritätsgedanken der Europäischen Union vereinbar ist.

Paul auf Twitter: @gewitterland

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