Ein Mädchen trocknet sich die Fingernägel vor einem Bild mit einer überlebensgroßen Barbie-Puppe, das House of Barbie in Shanghai war der erste Barbie-Flagshipstore der Welt.
Foto: Getty Images | Bearbeitung: VICE
Popkultur

Wie Barbie in China floppte

Die US-Firma Mattel traf eine gigantische Fehlentscheidung und verbrannte in Shanghai Millionen von Dollar.
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Hier feiern wir die größten Fuck-ups der Geschichte

Einen Wimpernschlag lang war das Zentrum des Barbie-Universums nicht Malibu, sondern Shanghai. Während die Puppe im Westen schon seit Jahrzehnten den Status einer Kulturikone hatte – einer nicht ganz unumstrittenen natürlich –, war Barbie in China nur eine Puppe. Eine ziemlich beliebte Puppe, aber nichtsdestotrotz eine Puppe. Genau das wollte der Barbie-Hersteller Mattel 2009 in Shanghai ändern. Mit dem ersten Barbie-Flagshipstore der Welt. Auf sechs Stockwerke und insgesamt 3.300 Quadratmeter verteilt gab es nicht nur eine gigantische Spielwarenauswahl, sondern auch ein Restaurant, ein Spa, eine Cocktailbar und sogar eine Brautmodenabteilung mit Hochzeitskleidern der Designerin Vera Wang. Es war quasi für jedes Alter etwas dabei.

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Insgesamt kostete der Laden Mattel 30 Millionen US-Dollar. Zwei Jahre nach seiner Eröffnung machte er wieder zu.

In der 64 Jahre andauernden Geschichte von Barbie nimmt das Geschäft in Shanghai nur ein kurzes Kapitel ein. Das House of Barbie war ein teures, überdimensioniertes Denkmal für eine Figur, für die Shanghai eigentlich gar kein Denkmal wollte.

Mattel war nur eine von vielen US-Firmen, die Anfang der 2000er versuchten, in China Fuß zu fassen, und grandios scheiterten: Home Depot, Best Buy und eBay ereilte allesamt ein ähnliches Schicksal. Andere Konzerne wie Starbucks haben es hingegen geschafft und sind heute in China beliebter als in ihrer Heimat.

Dabei hatte der Spielzeughersteller alles gegeben. Allein das Geschäft selbst war ein Designwunder, entworfen vom renommierten New Yorker Architekturbüro Slade Architecture. "Eine elegante, witzige und durch und durch feminine Interpretation von Barbie: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft", wie es von dem Architekturbüro hieß. Sechs Stockwerke voll durchsichtiger Kunststoffscheiben, pinker Akzente, glatter und glänzender Oberflächen. Alles sollte einem das Gefühl geben, selbst in so einer Plastik-Barbie-Box zu stecken. Die rechteckige Ladenfront konnte man schon aus der Ferne pink leuchten sehen.

In einem Promovideo zur Eröffnung des Ladens sagt Gene Murtha, der damalige Vizepräsident für Internationales Marketing bei Mattel: "Wir wollten, dass es schön von außen und schön von innen ist, und das haben wir perfekt hinbekommen. Es ist ein beeindruckendes Kunstwerk."

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Richard Dickson, der damalige Vizepräsident von Barbie und heutige Präsident und COO von Mattel, sagt in demselben Video sogar: "Wir haben die Landschaft von Shanghai für immer verändert." Und in einem Interview mit NPR vor der Eröffnung des Ladens sagte er, man habe die chinesische Metropole Städten wie Mailand, Paris, London, New York und Los Angeles vorgezogen, weil es in Shanghai einen generationsübergreifenden Zugang zu der Marke gebe. "Es gibt eine großartige Verbindung zu Barbies Werten", sagt er. "In dieser Kultur repräsentiert Barbie für Mädchen und Frauen eine Welt der Möglichkeiten. Sie hat tolle Berufe, sie hat Autos, sie hat ein Flugzeug, sie hat einen Freund – und sie sieht dabei fantastisch aus."

Wie sich allerdings herausstellte, war diese Verbindung doch nicht so stark und eine pink leuchtende Fassade nicht genug, um Shanghais Kinder in den Laden zu locken. Noch schlimmer: Auch die Erwachsenen lockte sie nicht. Für diese war immerhin ein Großteil des Ladens entworfen worden: die Barbie-Martinis und bruststraffenden Schönheitsbehandlungen. Frauen, die mit Barbie großgeworden waren, wären vielleicht darauf angesprungen, aber für chinesische Frauen war die Barbie-Welt noch ziemlich neu und fremd.

Die Kunsthistorikerin, Antiquitätengutachterin und Barbie-Expertin Lori Verderame sagt, es gebe viele Theorien zum Scheitern des Barbie-Ladens in Shanghai. Für sie seien aber vor allem die kulturellen Unterschiede Schuld gewesen. Mattel habe eine große Lücke im chinesischen Markt gesehen und sei einfach davon ausgegangen, dass es funktionieren würde.

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Das Interesse an dem Flagshipstore ist auch ein Jahrzehnt nach dessen Schließung eher verhalten. Die Produkte aus dem Laden fristen unter Sammlerinnen und Sammlern laut Verderame eher ein Nischendasein und sind relativ günstig zu haben. Mattel hatte zur Eröffnung des Flagshipstores eine Shanghai-Edition der klassischen Barbie auf den Markt gebracht sowie eine mit "panasiatischer Erscheinung". Neben den Puppen verkaufte der Laden auch High-End-Kleidung, entworfen von der Sex and the City-Kostümdesignerin Patricia Field sowie Barbie-Make-up und Schreibwarenartikel.

Auch wenn das Interesse an den Puppen aus dem Shanghai-Store aktuell nicht sonderlich groß ist, geht Verderame davon aus, dass der neue Barbie-Film die Begeisterung dafür neu entfachen wird. "Sammler verfolgen die aktuelle Entwicklung mit großem Interesse und sind aufgeregt. Nicht nur wegen des Films, sondern auch weil er für einen großen Schub in der Barbie-Sammelwelt sorgen wird", sagt sie. Bereits jetzt habe sich der Preis einiger Sammelobjekte vervierfacht. Verderame geht davon aus, dass sich diese Entwicklung auch auf Produkte aus dem House of Barbie auswirken wird – auch auf Teile der Ladeneinrichtung wie Vitrinen.

Wie es aussieht, hat Mattel sich beim Barbie-Hype um ein paar Jahre verschätzt. Man kann nur spekulieren, aber würde der Laden heute existieren, wäre er wahrscheinlich erfolgreicher. Heutzutage werden Hollywood-Filme auch immer mit einem chinesischen Publikum im Hinterkopf produziert, und der Barbie-Film dürfte da keine Ausnahme sein.

Aber viel mehr noch gibt es in China seit einiger Zeit ein großes Interesse daran, US-Kultur im eigenen Land erleben zu können – eine Art Tourismus, ohne dafür verreisen zu müssen. Die TikTokerin und Psychologin Candise Lin berichtete unlängst von beliebten Bars und Cafés, die mit Zelten und Campingstühlen ausgestattet sind und die Atmosphäre eines typisch amerikanischen Campingausflugs vermitteln wollen. Besucherinnen und Besucher gehen vor allem dorthin, um Fotos und Videos für Social Media zu machen.

Mit dem House of Barbie Shanghai war Mattel vielleicht einfach zu früh dran, ohne sich wirklich mit den Gegebenheiten vor Ort auseinandergesetzt zu haben. Das Unternehmen erwartete einfach, dass Barbie auch in China zu einem Symbol werden würde. Ganz von selbst. 

Manche sehen in dem Scheitern aber auch eine politische Dimension, das Ergebnis von Chinas Weigerung, sich zu amerikanisieren. Für andere ist es das Resultat der unterschiedlichen Sicht auf Weiblichkeit. Was auch immer der Grund war, 2010 waren chinesische Frauen jedenfalls nicht bereit, 150 US-Dollar für Barbie-Jeans zu bezahlen. 2023 allerdings wäre das instagramfreundliche Interieur des House of Barbie in Shanghai vielleicht ein großer Hit gewesen.

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