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Der implizite Autor

Wie jeden Sonntag hier unsere Literaturkolumne von Pippin Wigglesworth.

Wie jeden Sonntag hier unsere Literaturkolumne von Pippin Wigglesworth. Diese Woche hat er sich den bösen Literaturbetrieb auf der Leipziger Buchmesse für uns angesehen.

Schriftsteller seien keine Befehlsempfänger, sprach Verena Auffermann in ihrer Rede zum Preis der Leipziger Buchmesse, sprach es tapfer in der Mitte jenes Messegebäudes mit dem Namen "Glashalle", am Ende eines breiten davon überdeckten Gehwegs mit dem Namen "Magnolien Allee", in ein Publikum hinaus, wie in den Schnee. Ich hoffte auf Beifall und verdrehte dabei wahrscheinlich die inneren Augen. Woran es schliesslich hallte, war die Halle. Beider Seiten der einbetonierten Magnolien strömten über Trassen tausende Besucher in und aus den Messehallen, Besucher von denen wenigstens einer kam, ganz einfach um die Messe zu besuchen, der dann erstaunt war über "die vielen Bücher hier!", der sich dann vor einen Fernseher setzte, um einen Schriftsteller anzuschauen, der im Messestand ein paar Schritte nebenan, vor Fernsehkameras in ein Gespräch verwickelt war. Die anderen Besucher wussten wohl, wo sie sich befanden, und warum, auch die blind rennenden Ausreisser von Schulklassen oder Altersheimen. Und die von den Besuchern Besuchten, sie wussten es wohl am besten: Dort, wo etwas passiert, hängen auch Vorhänge, die meiste Zeit, aber in der Messezeit tun sie sich auf. Da wird einmal sichtbar, was sonst verborgen ist und sein soll: Die "Branche", und viele andere Branchen - der ganze Baum. Und doch geht es jedem Ast um sein eigenes Licht. Die Leipziger Buchmesse, meine erste Buchmesse überhaupt, rief mir einiges absichtlich Vergessenes in Erinnerung.

Zunächst gäbe es viel Böses zu sagen, aber dies Böse ist zu gross und vernetzt, als dass ich mich vernichtend darüber unterhalten könnte ohne mich dabei selbst zu vernichten. Stattdessen ekelte ich mich davor, also auch vor mir selbst. Mit jeder Halle wurde das mehr, eigentlich mit Jedem und Allem was mir entgegen kam: mehr Ekel, mehr Selbstekel. In der Unendlichkeit, zu der ich mich dabei möglichst schnell hinbewegen wollte, herrschen aber andere Gesetze. Dort wird der unendliche Gedanke und das unendliche Gefühl zu Recht unfühlbar und undenkbar, dann birst es und an seine Stelle tritt oft ein warmer Bruder. Anstelle des Ekels, die Vergebung, zum Beispiel oder die Verharmlosung. Es passierte so. Ich vergab: Keiner ist Schuld/dieser Pannen hier/ich zuletzt/bin ich dafür traurig/macht mich glücklich/macht mich traurig/bin beliebig. Ich ging die Gassen zwischen den Ständen der Aussteller ab. Von vorne nach hinten nach vorn. Von Rechts nach Links nach Rechts. Auf der Suche, auf der Suche. Aber, aber. Ich bin doch nur ein Mensch. Und das Mädchen bei der Akkreditierung, das so hart schaute, ist auch nur ein Mensch. Die Journalisten hier und die Bediensteten, die ihnen Kaffe ausschenken, sind nur Menschen, wie auch ihre Auftraggeber. Kinder und Punks sind bloss Menschen. Und auch der Leser ist nichts als ein Mensch, so wie der Verleger und der Buchhändler und der Drucker und der Messebetreiber und der Berater und die Bundeskanzlerin und überhaupt alle. Alle Leute sind Menschen, und diese Messe ist voll von ihnen, von ihrem Werk und ihrem Folgewerk. Und schliesslich auch die Autoren, auch jene, die es vergessen oder verwünschen, sind Menschen, nichts als, immerhin. Die Literatur hingegen, um die ich weine, weil sie auf der Strecke bleibt, oder weil ich auf der Strecke geblieben bin, sie ist kein Mensch, sie scheint nicht zu existieren - so wie vieles, nach dem ich strebe, weil ich es mir nur vorstelle, weil ich es mir vorstellen muss, weil es nicht Mensch ist, sondern Handwerk oder Geisteswerk oder mehr: ein Gruss des verborgenen Schöpfers im Schöpfenden hinaus an seinesgleichen - ein Traum, eine Theorie, ein Gefühl, ein Lebensweg, ein Vorgang, ein Material, ein Geist. Im schlimmsten Fall ist es wohl so, dass meine Frage meine Göttlichkeit, meine Autorschaft meine Hybris, und meine Antwort meine Nemesis ist. Ich fragte mich dann, als Echo der Fragen Anderer, womit ich den Luxus rechtfertige, während andere um ihr Leben kämpfen, dieser faule Schriftsteller zu sein, was eine reizende Frage ist, finde ich. Eine, die mich reizt, mich zu erklären und zu schämen. Aber ich schäme mich immer. Es reizt alles und juckt. Ich kratze also, immer. Und das Öl der aufgerissenen Haut tritt aus und besänftigt: Mein grösstes Leid, ist das grösste Leid meiner Zeit, sei es der Krieg, den ich nicht erlebe, sei es der Krieg mit mir selbst. Die Freiräume, die das Unglück hinterlässt, tendieren, wenn nicht davon vergrössert, durch was auch immer nach rutscht, bis an ihren Rand gefüllt zu werden. Das sieht man, wenn ein gestandener Mensch die Fassung verliert, nachdem er seine Brille, oder eine Socke, wieder einmal nicht findet. So will ein junger Mensch doch nicht sein. Und die Frage nach dem Sinn meines Treibens im Angesicht der armen Erde ist sofort eine greise, eine tote, wenn dabei auch ein Wort wie Luxus fällt. Was ist das überhaupt? Das Weltgeschehen findet natürlich tatsächlich statt, natürlich bin ich heilfroh in Leipzig, und nicht in einer der anderen Schlagzeilen zu sein, und auf ganz andere Weise einem ganz anderen Tod näher zu kommen - und natürlich bin ich trotzdem ein bisschen traurig. So wirkte diese Messe: Ein Glück im Unglück. Und zwar nicht nur im Hinblick auf den Fernen Osten, aber auch den nahen, und sogar den inneren Osten. Ich humple schon ganz geduldig, so viel gibt es noch zu sehen. An der Buchmesse wurde also die Weltlichkeit und die Menschlichkeit der Literatur offen gelegt. Es zeigte sich, dass das literarische Werk in einem Räderwerk mit dreht, das noch viel grösser ist, als ich dachte, auch wenn ich mir immer sage, dass Lenin sagte, dass immer alles mit allem verbunden ist - womit dieser Gedanke auch gleich birst. Literatur ist nicht pur, hiess es am Anfang auf diesen Rädern eingraviert, als man es sich noch zu Herzen hätte nehmen können. Aber darüber ist jetzt schon viel Schmiere gelaufen. Klaus Siblewski sprach in seinem Nachwort über Ernst Jandel von dessen "vom Können verlassenen Wollen" mit dem für Jandel "höchst unangenehme Empfindungen" verbunden waren, die Siblewski gleichsam zum Nährboden erklärte, zum Glück für Jandel’s doch immer wiederkehrendes und um so genialeres Können. An die Impotenz des Willens musste ich an der Buchmesse andauernd denken, und ich zweifle jetzt nicht daran, dass die positive Entladung dann doch noch stattfindet, an den verborgenen Orten, zu denen die Autoren, die Aussteller, die Besucher und alle Anderen zurückkehren. Beispielsweise im Gewinn unter dem Strich, oder dem Verlust, der einem Anderen ganz gelegen kommt. Oder im Geräusch, das die Jacke macht, wenn sie in die Ecke fliegt. Oder in einem Teig, in den sich die ganze Wut einkneten lässt, der sie annimmt, der trotzdem aufgeht, und alles wieder gut macht. Oder im Bett, mit der Frau, mit dem Mann oder mit der Lust. Irgendwo finden die Umwälzungen statt, sonst müsste das Universum doch sicherlich explodieren.

Die, mit denen ich gekommen war, zu denen kehrte ich immer wieder an ihren Messestand zurück, und ging an ihnen, die meinen Zustand sahen, vorbei und weiter. Sie und ihr Stand hatten Sinn und Zweck. Bücher geben. Hände nehmen. Menschen begeistern. Literatur verbreiten. Leben. Lausen! Ihre Mission hat Arme und Beine. Meine hat Augen, Ohren, die Öffnungen zum Kopf, zum Fass hin, ohne Boden. Dies hier, das ich mir ganz anders wünsche, ist nun diese kleine Katastrophe, die, weil ich einige Jahre versoff und verlplemperte, in denen ich zu schreiben begann, nun eben in meine dokumentierte Pubertät fällt. Sonst würde ich doch längst Geschichten, anstatt Gedanken, schreiben. Ja, am Ende wurde auch die Vergebung unendlich, und barst. An ihre Stelle trat der Wahnsinn. Es ging weiter, im chauffierten Geländewagen, mit Fernglas, in der Wildnis, umgeben von erschiessbaren Tierwundern. Waren aber alles nur Menschen, diese Affen.