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Femen, oder Warum ein nackter Busen nicht immer superfantastisch ist

Mit Femen haben es blanke Busen auch in seriösem Zusammenhang in die Medien geschafft. Trotzdem ist der nackte Protest allein nicht die Antwort auf alle Probleme, sondern verursacht zum Teil sogar neue.

Foto: PLANETART

Dass ein blanker Busen eher in wenig seriösen Medien auftaucht, wissen wohl alle, die sich in der U-Bahn nicht einfach nur auf die bereits verschlissenen, angefurzten Ausgaben der Österreich plumpsen lassen, sondern diese ab und zu auch in die Hand nehmen, um sich mehr oder weniger interessiert über Mord, Todschlag und die anstehende Apokalypse in Form von Immigration zu informieren. Hier nimmt die Busendame nicht selten einen prominenten Platz neben den Promis ein.

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Trotzdem ziehen sich in letzter Zeit immer wieder auch durch qualitativ hochwertigere Zeitungen Berichte und Fotos nackter Frauen und ihrer Brüste – genauer gesagt von den Brüsten der Femen-Aktivistinnen in aller Welt, die ich mittlerweile wahrscheinlich schon öfter gesehen habe als meine eigenen.

Auf den ersten Blick ist es eine wunderbare Idee: Sie ist provokant, laut und erhascht mehr Aufmerksamkeit als Unterschriftensammlungen, Transparente oder feministische ÖH-Rundmails. Freigelegte Nippel haben nun mal eine hypnotischere Wirkung als sämtliche Sirenengesänge. Allerdings muss man diesen Effekt und die daraus resultierende mediale Präsenz gekonnt nutzen können, damit das Ganze nicht bloß den Securitys in Form von offiziell erlaubtem Tittengrabschen zum Wohle der allgemeinen Sicherheit zugutekommt. An der Stelle hat die Femen-Philosophie fast noch größere Lücken als der geplante Coup in The Killing.

Foto: Antoine Walter

Denn jeder Femen-Protest wirkt auf mich eher wie der erste Stein einer langen Dominoreihe, den man von der falschen Seite anstupst, sodass die anderen gezwungenermaßen noch strammstehen müssen. Der erste kleine Schritt einer gesellschaftlichen Veränderung ist zwar getan – das Aufmucken, das Protestieren, die mutmaßliche Provokation und Auflehnung gegen Missstände der Politik und der Gesellschaft an sich –, aber richtige Arbeit und tatsächliches Handeln, das benachteiligten Frauen und Mädchen helfen könnte, bleibt aus. Die nachfolgenden Dominosteine stehen nach wie vor unbewegt an ihrem Platz.

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Es reicht nun mal nicht, nackt mit ein paar Buchstaben am Oberkörper um Putin und Merkel herumzutänzeln oder die Bühne von Germany’s Next Topmodel zu stürmen. Natürlich ist Putin ein sexistischer und intoleranter Spinner sondergleichen und Germany’s Next Topmodel wirkt auf jeden halbwegs klar denkenden Menschen wie ein Sammelbecken gedankenarmer Solettistangen. Ersterer war übrigens nicht sonderlich beeindruckt (sondern eher erfreut, neben Angela Merkel plötzlich junge nackte Brüste zu sehen) und was Germany’s Next Topmodel betrifft, müssen Frauen und Mädchen in erster Linie selbst begreifen, dass die Sendung wertloser Müll und Heidi Klum alles andere als ein erstrebenswertes intellektuelles Vorbild ist, bevor Femen ihnen das mit Blankziehen klarmachen kann.

Diese Problematik des unreflektierten Handelns vieler Femen-Aktivistinnen zeigt sich besonders in ihren Ansichten über muslimische Frauen. Es ist riskant und wenig durchdacht, alle Muslimas in einen Topf zu werfen und zu behaupten, sie wären unterdrückt und trügen zum Beispiel das Kopftuch aus fremdem Zwang heraus. Es gibt Frauen, die es aus freien Stücken als Symbol ihres Glaubens tragen und leider ebenso jene, die es aus anderweitigen Gründen tun müssen. Pauschalisierungen sind hier aber wie in den meisten Fällen fehl am Platz, denn jede muslimische Frau ist ein Individuum, genau wie ihre persönliche Auslebung des Islams immer unterschiedlich ausgeprägt ist.

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Foto: Christian Alexandru

Durchaus mehr Anerkennung und Respekt zolle ich jenen Femen-Aktivistinnen, die sich für ihre Proteste tatsächlich die Hände schmutzig machen – Amina Sboui zum Beispiel, die im Mai inhaftiert und kürzlich wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde. Es ist bemerkenswert, wie sie sich trotz der absehbaren Folgen für ihre Meinung und ihr Weltbild stark gemacht hat. Trotzdem frage ich mich – auf die Gefahr hin, ignorant zu klingen – ob ihre Aktion auf weite Sicht nicht ebenso schnell ohne sonderliches Nachbeben in der Luft verpuffen wird wie die bereits erwähnte Heidi Horror Picture Show.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich rechne es jedem Menschen hoch an, Defizite des gesellschaftlichen Miteinanders ausmachen und verringern zu wollen. Das gelingt grundsätzlich jedoch nur mit viel Reflexion, Koordination und gemeinsamem strategischen Handeln, kombiniert mit jener nicht erlernbaren Leidenschaft und Dynamik, die Femen-Aktivistinnen bereits in sich haben und in die Welt hinausschreien. Dass ein gesellschaftlicher Umbruch nicht von heute auf morgen passieren kann, ist klar.

Es bedarf immer der altbekannten Kombination aus Blut, Schweiß, Tränengas und langwierigen Prozessen. Um den von Femen gewünschten Statuswandel der Frau zu bewirken, braucht es in erster Linie Kontakt zwischen Aktivistinnen und Frauen aus aller Welt. Schafft man erst einmal ein Bewusstsein für die Notwendigkeit des Wandels, erhöht sich eher die Chance auf ein wachsendes Kollektiv von Frauen, die beschließen, das Bild von sich selbst zu reformieren bzw. neu zu definieren. Da sind junge Frauen mit vermeintlich bedeutungsschwangerer Botschaft auf ihren Brüsten einfach zu wenig. Sorry.