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Wahlen 2015

Warum wir eine neue Debatte über das Ausländer-Wahlrecht brauchen

Wer ist das Volk? Damit Gesetze wirklich fair zustande kommen, müssen wir über die Definition neu nachdenken—oder zu einer post-demokratischen Oligarchie werden.
Foto von L.Rico via flickr

In der Vorwahlkampfzeit der Wienwahl 2015 kam wie alle Jahre wieder das Thema „AusländerInnenwahlrecht" auf. Genauer gesagt sprechen sich SPÖ, Grüne und Neos dafür aus, während FPÖ und ÖVP wenig überraschend dagegen argumentieren.

Der Verfassungsgerichtshof kippte eine Änderung des Wahlrechts 2004, der zufolge „AusländerInnen" auf Bezirksebene wählen hätten dürfen, mit Bezugnahme auf Artikel 1 der Österreichischen Bundesverfassung: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus."

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Aus der Sicht des Verfassungsgerichtshofes ließ das Wort „Volk" auf die Österreichische Staatsbürgerschaft rückschließen, was ein solches Wahlrecht verfassungswidrig machte.

Doch genau hier müssen aktuelle demokratische Bewegungen anknüpfen. Der Grundsatz einer Demokratie ist es, dass sich das „Volk" seine Normen selbst auferlegt. Nur es selbst darf über sich entscheiden und keine äußeren Kräfte sollen die Macht haben, über es zu bestimmen.

Soweit würde die Definition auch perfekt zu rechter EU-Phobie passen, der Teufel liegt jedoch im Detail: Wenn nämlich die ethnisch-völkische Konstruktion eines „Volkes" als irrelevant abgeschrieben wird, kann „Volk" nur noch als Gruppe von Menschen beschrieben werden, die gewillt ist, gemeinsam Grundsätze für das Zusammenleben festzulegen.

An diesem „Volk" könnte dann jeder Mensch teilhaben, der Interesse daran hat. Wenn diese Definition weitergedacht wird, ändert sich natürlich auch die Definition von „Innen" und „Außen". Innen—als Teil des „Volkes"—sind dann alle Menschen, die ein Interesse an gleichberechtigtem Zusammenleben haben. Die Summe aller Normunterworfenen also, welche diese Normen mitentscheiden wollen. Folgerichtig sind dann außen jene, die exakt dieses verhindern wollen.

Wenn als Grundprinzip gilt, dass ein Gesetz nur dann fair und demokratisch zustande gekommen ist, wenn die Normunterworfenen selbst die Möglichkeit hatten, es festzulegen, dann ist jegliche davon abweichende Konstruktion von Wahlberechtigung, die Menschen diese Partizipationsmöglichkeit entzieht, zutiefst undemokratisch. In Anbetracht der kommenden Wien-Wahl bei der knapp über ein Viertel der hier lebenden Personen aufgrund der Kategorie „Staatsangehörigkeit" von der Partizipation ausgeschlossen sind, wird dieser Wahnsinn besonders offensichtlich.

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Dennoch ist nicht die Anzahl der Personen entscheidend, sondern die dahinterstehenden Macht-Mechanismen. Eine Gruppe an Personen, die durch eine Eigenkonstruktion über mehr Macht verfügt als andere—und diese „anderen" mit Gewalt davon abhält—strebt eine Oligarchie an; und damit das Ende jener demokratischen Partizipationsmöglichkeiten, die über Jahrhunderte erkämpft wurden.

Wenn Demokratie mehr als eine leere Worthülse sein soll, muss es Partizipationsmöglichkeiten für alle Menschen geben, die in Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben.

Dass die praktische Umsetzung eines Wahlrechts für alle einer Debatte bedarf, ist klar. Genauso klar muss aber auch sein, dass dieses kommen muss, wenn das Bekenntnis zur Demokratie mehr als eine leere Worthülse sein soll. Diese Partizipationsmöglichkeit muss es dann nämlich für alle Menschen geben, die in Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben. Und das gänzlich unabhängig von ihrer ökonomischen oder sozialen Situation.

Auch Flüchtlingen oder MigrantInnen muss diese Möglichkeit zustehen—nicht erst, nachdem die von „uns" willkürlich bestimmten Voraussetzungen erfüllt wurden, sondern von Anfang an. Es wird Zeit, dass hier jenseits von billigem Populismus eine echte demokratische Debatte geführt wird. Und zwar über das Grundverständnis von Demokratie selbst.


Titelbild: L.Rico | flickr | cc by 2.0