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Sex

Gewinne und Verluste im Sexgeschäft an der Wall Street

Edelprostituierte sind für die Banker der Wall Street nur eine weitere Sache, die sie kaufen können.
Fotos von Pearl Gabel

„Meine Finanztypen lassen normalerweise ein bis zwei Tage ins Land gehen, nachdem sich am Markt irgendwas Wichtiges getan hat, bevor sie sich melden. Sie lassen es kurz sacken, und dann rufen sie mich an", sagte mir Zoë*, eine unabhängige Edelprostituierte Mitte 30, die ihre Dienste für 600 Dollar pro Stunde anbietet, und seit sie volljährig ist, in diesem Geschäft arbeitet—unterbrochen von kurzen Phasen, während derer sie ihr Glück in der legalen Ökonomie der 10-Dollar-Jobs versucht hat.

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Von dem halben Dutzend Frauen, mit denen ich in den letzten Wochen, mal offiziell, mal inoffiziell, über ihre Arbeit im Sexgeschäft in der Gegend gesprochen habe, waren sich alle einig, dass man der Welt der Wall Street in New York nirgendwo entkommt, da fast alle anderen Sektoren—die Immobilienwirtschaft, Restaurants, Prostitution und alles mögliche andere—angespannt auf das warten, was an Geld aus der Finanzindustrie zu ihnen durchsickert. Seit der Dow in den letzten zwei Jahrzehnten nach oben zu steigen und einen immer größeren Teil der nationalen Ökonomie zu repräsentieren begonnen hat, befindet sich auch New York auf dem langen, aber stetigen Weg nach oben, von den zwei Abstürzen nach den Anschlägen auf die Twin Towers und dem Fall der Lehman Brothers abgesehen.

Die Lehman Brothers waren auch der Grund, warum die Französische Hure—die uns bat, sie so zu nennen, um ihre Identität zu schützen—in der Sexbranche gelandet ist. Sie hat in ihrer Wohnung in einem Zimmer ihr Bett zum Schlafen, in einem anderen das für die Freier. Ihre Geschichte illustriert auf besonders perfide Weise die Vision des ehemaligen Bürgermeisters Michael Bloomberg von New York als einer Luxusstadt, einem Ort, der Reiche anzieht und die Schar ihrer Bediensteten beherbergt. Sie beschrieb es so, dass sie nun gezwungen ist, die Kerle zu ficken, die die amerikanische Ökonomie gefickt haben.

Nachdem sie Mode studiert hatte, kam die Französische Hure nach New York, um mit dem Entwerfen von maßgeschneiderter Mode groß rauszukommen.

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„Es warf nicht wirklich etwas ab", sagte mir die Französische Hure. „Ich habe nie viel Geld verdient. Die Arbeitstage waren lang und ich kam nur auf 15 Dollar die Stunde. Ich arbeitete zwei Jahre lang in der Modeindustrie. Für jemanden wie mich war es nicht möglich mich hochzuarbeiten. Das ist etwas für Kinder aus reichen Familien. Mit etwas Geld hätte ich es mir leisten können, fünf Jahre lang Praktika bei den richtigen Firmen zu machen."

Als der Markt dann 2008 kollabierte, die Jobs ausblieben und ihre Miete unbezahlbar wurde, begann sie, wie sie sagt, aus purer ökonomischer Notwendigkeit, Sex anzubieten. Die Freier, die sie von einer Escort-Agentur vermittelt bekam und von denen viele im Finanzsektor arbeiteten, wurden ihr irgendwann zu anstrengend, also versuchte sie es auf dem klassischen Weg, senkte ihre Preise auf 200 Dollar die Stunde und arbeitete allein.

„Das ist ein relativ niedriger Preis—damit ich mir vorbehalten kann, bestimmte Dinge nicht zu tun", erklärte sie.

„Den Bankern ist guter Service wichtig, sie sind bereit, dafür zu zahlen, aber sie verlangen viel. Jetzt verdiene ich an einem Wochenende 3.000 Dollar. Das ist dann allerdings ein hartes Wochenende, an dem ich ohne Unterbrechung arbeite."

Zoë und ich treffen uns an einem Dienstagabend in der Bar eines Hotels in Chelsea. Ich fragte sie, was es sei, das ihre Dienstleistungen drei Mal so teuer mache, wie die der Französischen Hure.

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„Hauptsächlich Marketing", sagte sie. „Ich verkaufe mich gut, und kann, wie ich hoffe, den Leuten vermitteln, dass ich eine menschliche Verbindung anbiete. Ich weiß, dass es nicht mein Sex ist, der drei Mal so gut ist."

Durch gutes Marketing hat sie sich eine größere Bandbreite möglicher Freier erschlossen, und ist daher nicht mehr so stark von den Finanzkreisen abhängig. „Ich bin jetzt unabhängig, also muss ich mich weniger mit Anrufen von den Koksern herumplagen, den 25-jährigen Hedgefonds-Idioten; aber den Markt spüre ich trotzdem noch", sagte Zoë. „Meine Freier planen es wenigstens vorher, wenn sie mich sehen wollen. Die jungen Typen, die einem das Geld in den Agenturen hinterherwerfen, planen das in der Regel nicht. Sie rufen an und wollen in einer Stunde jemanden, nicht in einem Monat. Die Mädchen dort sind wie Seismografen. Sie sind die ersten, die es merken, wenn sich am Markt was bewegt."

„Ich will sie hier nicht entschuldigen, aber es ist ein hartes Geschäft", sagte sie dann zur Situation ihrer Kundschaft. „Die Wall Street ist eine Pyramide—es gibt sehr viel mehr Typen in den 20ern, die nach oben wollen, als 40-Jährige, die es geschafft haben. Der Verschleiß ist krass und sie müssen 90 Stunden die Woche arbeiten und dabei alle den gleichen Haarschnitt tragen. Sie kommen mir oft traurig vor, sind aber wild entschlossen, eine Art Lebensstil zu pflegen, der sexy und teuer ist. Das ist eine Geste der Selbstbestätigung; sie wissen, dass die Chancen, auf der Pyramide nach ganz oben zu klettern, und bis 40 zum Portfolio-Manager aufzusteigen oder es in den Private-Equity-Bereich zu schaffen, sehr klein sind, also geben sie riesige Summen für Koks und Nutten aus, und versichern sich damit ihrer eigenen Leistungskraft: Ich weiß, dass ich auch in Zukunft Unsummen von Geld verdienen werde, also kann ich schon jetzt ausgeben, was ich will, denn das nächste kommt gleich nach."

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Wenn im Februar die Boni ausgeschüttet werden, laufen die Geschäfte in der Regel sehr gut, was hilft, den normalerweise eher ruhigen Dezember auszugleichen. Für die Typen von der Wall Street „ist das, denke ich, eine Art Übergangsritual", sagt sie. „Sie kriegen 100.000 Dollar und geben davon am ersten Wochenende erst mal 10.000 für Nutten aus. Je teurer, desto glücklicher sind sie."

Dennoch sind Freier aus Finanzkreisen bekannt dafür, die Kreditkartenabrechnungen anzufechten, „also im Prinzip die Zeche zu prellen, nur das es eben Leute sind, die im sieben- oder achtstelligen Bereich verdienen". Und so endet es fast immer damit, dass die Kreditkartenfirmen die Konten der Agenturen schließen.

Wenn sie aber bezahlen, erzählte mir die Französische Hure, erwarten sie auch „mehr als andere. Sie wollen einen geblasen bekommen, sie haben sehr genaue Vorstellungen. Und wenn der Typ einen ‚Coke Dick', also einen Kokainständer hat, kann es sein, dass das die ganze Nacht dauert."

„Manche kriegen keinen hoch, und dann sitze ich da nackt rum und schaue zu, wie sie koksen", sagte sie. „Sobald sie gekommen sind, gehen sie wieder. Aber wenn sie nicht kommen, muss ich ihnen einen blasen. Der Deal ist, wenn man jemanden vögelt, muss derjenige auch kommen, selbst wenn es über eine Stunde dauert."

Nicht alle sind so pingelig. „Es gibt sogar einen Begriff dafür—man nennt es einen party call", sagte Zoë. „Es gibt Mädchen, die auf diese Sachen spezialisiert sind, weil sie so auf Kokain abfahren. Und weil sich der Sex dabei in Grenzen hält. Es ist anscheinend so, dass es Freier gibt, die nicht gern allein koksen, und die fühlen sich dann irgendwie stylisch oder wichtig, wenn ein nacktes Mädchen neben ihnen sitzt." Ein paar Agenturen sind auf „Champagner-Lieferungen" spezialisiert, wo der Sex nur eine Art Beilage ist.

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„Ich kann diese Neubaulofts nach wie vor nicht ausstehen", fügte Zoë hinzu. „Ich hasse ihre bekloppten Möbel. Ich hasse ihre, „Kennenlern"-Fragen, die peinlich sind, und den Übergang vom Smalltalk zum Sex nur noch krasser machen. ‚Wo kommst du her?', ‚Magst du die City?'"

„Diese Typen machen Geld", sagte die Französische Hure. „Sie erwerben also einfach eine Sache. Dafür wollen sie bestimmte Fertigkeiten, einen bestimmten Service. Und nach dem Gebrauch müssen sie es wie jedes andere Produkt wegwerfen können. Was sie sich aber selbst nicht eingestehen. Manche von ihnen fragen mich, ob sie das Kondom weglassen dürfen." Sie erwischte mal einen Typen mit Ehering dabei, wie er mittendrin versuchte, heimlich das Kondom abzustreifen.

Zoë sah das ganz ähnlich, hatte aber eine etwas andere Einstellung dazu: „Die Finanztypen sind weniger daran interessiert als irgendwer sonst, mich als Mensch wahrzunehmen." Sie hielt inne und nahm einen langsamen Schluck von ihrem Getränk. „Und für mich ist das ehrlich gesagt manchmal eine Erleichterung. Sie erwarten nicht, dass ich ihnen die ganze Zeit sage, wie toll sie sind. Komm einfach, mach paar sexy Sachen und dann schleich dich bitte pronto aus meinem Loft.

Einmal hatte ich kurz was mit einem der Freier, einem Wall-Street-Typen, unter anderem deshalb, weil er an allem, was nicht er selbst war, komplett uninteressiert war, weshalb es auch keine Rolle spielte, womit ich mein Geld verdiente."

Teile der Reportage stammen von Pearl Gabel.

* Namen geändert