Planeten im Quantenschaum
Bilder: Shutterstock | Collage: Cathryn Virginia
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Das Universum besteht aus winzigen Bläschen mit Mini-Universen, glauben Physiker

Die Quantenschaum-Theorie ist die vielleicht bizarrste Erklärung für die Leere im Weltraum, aber es gibt gute Gründe für sie.

Seit mindestens 100 Jahren steht die theoretische Physik vor einem Rätsel kosmischer Größe: Woraus besteht der Weltraum? Genauer: Woraus besteht der Raum zwischen den Planeten, Sternen und Galaxien?

Denn als wäre eine Antwort darauf nicht nicht schon schwer genug zu finden, widersprechen unsere besten Theorien den Beobachtungen, die wir im Universum machen. Gerade Einsteins 1916 veröffentlichte allgemeine Relativitätstheorie stößt an ihre Grenzen, wenn man damit das ganze Universum beschreiben möchte.

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Die allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Raumzeit, also die gemeinsame Darstellung des dreidimensionalen Raums und der Zeit als vierte Dimension, als eine Art Trampolin. Planeten und Sterne liegen auf ihr wie schwere Bowlingkugeln, die die Oberfläche krümmen. Wenn ein leichter Ball in die Nähe einer schweren Bowlingkugel kommt, rollt er in der gekrümmten Fläche an dessen Seite entlang – wie ein Planet, der einen Stern umkreist. Umlaufbahnen erklärt die Theorie also nicht durch Anziehungskräfte, sondern mit der Krümmung der Raumzeit.

Diese Theorie funktioniert wunderbar, wenn man kleine Bereiche der Raumzeit beobachtet. Als Einstein sie allerdings auf das komplette Universum anwendete, passten seine Vorhersagen nicht mehr. Sonst würde das Universum aufgrund der Schwerkraft in sich zusammenstürzen. Also führte er die kosmologische Konstante ein, einen festen Wert, der der Wirkung der Schwerkraft entgegentritt. Als Forschende allerdings feststellten, dass das Universum entgegen Einsteins Annahmen expandiert und nicht statisch ist, setzten sie die kosmologische Konstante auf Null und sie geriet eine Weile in Vergessenheit. Ende der 1990er erkannte man aber, dass sich die Ausdehnung des Universums immer weiter beschleunigt. Seitdem spielt Einsteins Anti-Schwerkraft wieder eine größere Rolle.


VICE-Video: zu Besuch im Untergrund-Labor, das nach Dunkler Materie forscht


Was bis dahin als leerer Raum galt, musste mit großen Mengen einer mysteriösen Dunklen Energie gefüllt sein. Nur so lässt sich die beschleunigte Expansion erklären. Allerdings legen Messungen nahe, dass die Energie des leeren Raums sehr viel schwächer ist, als aktuelle Theorien voraussagen. Das Problem wird in der Physik auch die Vakuum-Katastrophe genannt.

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Was das bedeutet? Die ganze Extra-Energie fehlt irgendwie, wenn wir uns das Universum in seiner Gänze anschauen. Entweder ist sie sehr gut versteckt oder unterscheidet sich stark von Energie, wie wir sie kennen.

Seit Jahrzehnten versuchen Theoretische Physikerinnen und Physiker, diese Ungereimtheiten zwischen den verschiedenen Theorien unter eine Hut zu bringen. Dafür befassen sie sich mit der Struktur der Raumzeit im kleinstmöglichen Maßstab, der sogenannten Planck-Länge. Ihre Erkenntnisse sind überraschend: Die Raumzeit ist vielleicht gar nicht die trampolinartige Ebene, die sich Forschende immer vorgestellt haben, sondern ein schäumendes Wirrwarr aus kleinen Bläschen mit Mini-Universen, die in unserem eigenen Weltall entstehen und sterben.

Was ist Raumzeit-Schaum?

1955 postulierte der einflussreiche Physiker John Wheeler, dass die Raumzeit auf Quantenebene nicht gleichmäßig, sondern "schaumig" ist und aus winzigen, sich ständig verändernden Bläschen besteht. Jüngere Studien legen nahe, dass diese Raumzeit-Bläschen selbst Mini-Universen sind, die sich kurz in unserem eigenen Universum bilden.

Die Raumzeit-Schaum-Theorie passt gut zu der Unbeständigkeit der Quantenwelt. Die Theorie vom Raumzeit-Schaum greift die Unvorhersehbarkeit der Position und Bewegung von Teilchen auf und überträgt das alles auf die Struktur des Universums. Auf der kleinsten Ebene ist die Geometrie unseres Universums somit nicht stabil, konsistent oder fixiert.

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Zur Veranschaulichung dieser Theorie verglich Wheeler die Raumzeit mit der Meeresoberfläche. Der theoretische Physiker Y. Jack Ng von der University of North Carolina, Chapel Hill, beschreibt die Analogie in einer E-Mail an VICE:

"Stell dir vor, du fliegst in einem Flugzeug über dem Meer. Von weit oben sieht der Ozean glatt aus. Wenn du aber tiefer fliegst, kannst du plötzlich Unebenheiten erkennen. Ganz nah an der Meeresoberfläche angekommen siehst du Bläschen und Schaum. Analog dazu erscheint die Raumzeit im großen Maßstab glatt. Aus nächster Nähe betrachtet wird sie uneben und schaumig."

Professor Steven Carlip von der University of California, Davis, veröffentlichte im September 2019 eine Arbeit, die auf Wheelers Quantenschaum-Theorie aufbaut. Seine These: Die Raumzeit-Bläschen könnten die kosmologische Konstante im großen Maßstab verstecken.

"Es gibt viele verschiedene Vorschläge, um das Problem der kosmologischen Konstante zu lösen. Eine gute Voraussetzung für meine Forschung ist, dass keiner der bisherigen Vorschläge breite Anerkennung genießt", sagte Carlip in einem Interview. "Ich dachte, es würde sich lohnen, nach einem Ansatz zu suchen, der nicht direkt auf der Hand liegt – nach etwas, das wir vielleicht aus anderen Zusammenhängen kennen oder vermuten.”

Jeder Punkt der Raumzeit besteht aus winzigen, expandierenden und sich zusammenziehenden Universen.

Carlips Idee: Jeder Punkt im Raumzeit-Schaum verfügt über die große Menge Vakuum-Energie, die von der Quantentheorie vorhergesagt wird. Zeigt ein Punkt der Raumzeit ein bestimmtes Verhalten, verhält sich ein anderer Punkt mit großer Wahrscheinlichkeit genau gegenteilig. Und so neutralisiert der Raumzeit-Schaum die Extra-Energie und die Expansion auf winzigem Maßstab. Das wiederum würde die niedrigere Energie erklären, die im gesamten Universum beobachtet wurde.

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Damit die Theorie funktioniert, muss man davon ausgehen, dass die Zeit auf Quantenebene keine feste Richtung hat – es also auf kleinster Ebene keinen sogenannten Zeitpfeil gibt. Laut Carlip ist das in der Quantenwelt keine besonders wilde Vorstellung. "Die meisten Physiker würden zustimmen, dass wir auf einer ganz grundlegenden Ebene gar nicht wissen, warum es überhaupt einen Zeitpfeil gibt", sagte er. "Die Vorstellung, dass dieser erst in höheren Größenordnungen entsteht, kursiert schon lange."

Carlip bezeichnet den Raumzeit-Schaum als "komplexe mikroskopische Struktur". Jeder Punkt der Raumzeit bestehe aus winzigen, expandierenden und sich zusammenziehenden Universen. Carlip hält es sogar für möglich, dass expandierende Punkte der Raumzeit selbst mit der Zeit die komplexe Struktur nachbauen und voller winziger Universen sind.

Eine andere Arbeit, die im August 2019 erschien, geht noch ausführlicher auf dieses Szenario ein. Die Autoren Qingdi Wang und William G. Unruh von der University of British Columbia postulieren, dass sich jeder Punkt in der Raumzeit ständig ausdehnt und zusammenzieht – wie winzige Versionen unseres Universums. Jeder Punkt in der Raumzeit sei ein "mikrozyklisches Universum", das sich von der Singularität zum Urknall bewegt, schließlich kollabiert und alles wieder von vorne beginnt.

Die winzigsten Computer des Universums und die Weltformel

Der Physiker Y. Jack Ng sieht im Quantenschaum sogar einen potenziellen Schlüssel zur Weltformel – einer Theorie, die die Quantenwelt und die klassische Physik miteinander verbinden würde. Bislang existieren beide Felder unvereinbar nebeneinander und widersprechen sich in einigen Punkten sogar.

Für Ng sind die Bläschen im Quantenschaum die winzigsten Computer des Universums. Sie kodieren und verarbeiten Informationen. Indem er dieses Konzept auf das ganze Universum überträgt, zeigt der Forscher, dass Raumzeit-Schaum das Äquivalent zu Dunkler Energie und Dunkler Materie ist.

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"Die Existenz des Raumzeit-Schaums scheint auf einen Dunklen Bereich hinzuweisen, der mit der gewöhnlichen Materie koexistiert", sagt Ng gegenüber VICE. Nur dass der Schaum weitaus mehr Informationen verarbeiten könne als gewöhnliche Materie.

Das Fazit aus Ngs Arbeit: Der Raumzeit-Schaum kann nicht nur konzeptuell gemessen und erkundet werden, sondern er kann auch die beschleunigte Ausdehnung des Universums erklären. Er verbindet Quantenphysik mit der allgemeinen Relativitätstheorie und Dunkler Energie. Ng glaubt, dass die Weltformel in Reichweite ist.

"Wir sollten nicht nur die Existenz des Raumzeit-Schaums in Erwägung ziehen. Wir sollten auch untersuchen, ob Quantenmechanik und Schwerkraft erst in bestimmten Größenordnungen auftauchen, und ob die Thermodynamik den Schlüssel zum Verständnis der Naturgesetze beinhaltet", sagt er.

Die Zukunft der Schaumforschung

Als Konzept vereint und erklärt der Quantenschaum viele bestehende Probleme zwischen der Quantenphysik und der Kosmologie. Laut Carlip und Ng gibt es dazu allerdings noch großen Forschungsbedarf.

Carlip arbeitet momentan an einem quantitativen Modell des Raumzeit-Schaums, mit dem er das vorliegende theoretische Modell ergänzen möchte. Er nennt es "Minisuperspace" und hofft, dass Forschende, die auch an der Verbindung zwischen Quantenwelt und Kosmos arbeiten, ebenfalls Hinweise auf sein Bläschen-Modell finden. Für den Anfang möchte sich Carlip numerische Simulationen zur Unterstützung des Schaum-Modells anschauen.

Auch Ng sieht Bedarf für Forschung, die die Grenzen bestimmter Bereiche der theoretischen Physik umfasst. Er hofft auf nichts weniger als die Weltformel.

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