FYI.

This story is over 5 years old.

Reisen

Der schwarze Engel von Mexiko

Die Anhänger einer neuen Sekte in Mexiko bitten den Teufel darum, sie zu beschützen.

Während die neuseeländische Fotografin Erin Lee den ​Santa-M​uerte-Kult dokumentierte, der mit Gewalt und Verbrechen in Verbindung gebracht wird und angeblich die am schnellsten wachsende Religion der Welt ist, stieß sie auf eine seltsamere und weniger bekannte Sekte namens Angelito Negro. VICE hat mit Erin über die Teufelsanbetungen gesprochen, deren Zeuge sie geworden ist.

VICE: Was ist Angelito Negro?
Erin Lee: Angelito Negro bedeutet schwarzer Engel. Es handelt sich um die Skulptur eines schwarzen Engels, der ein Mariachi-Outfit trägt und Tequila in der Hand hält, nur dass er eben aussieht wie der Teufel mit riesengroßen Hörnern. Uns wurde gesagt, dass man Angelito Negro nicht als Ausrede für verwerfliche Taten nehmen soll, dass man nicht sagen sollte: „Der Teufel hat mich dazu gezwungen." Der Teufel entscheidet nur, ob du nach dem Tod in den Himmel oder die Hölle kommst. Er hält Gericht über dich, er ist nicht dazu da, dich in Versuchung zu führen. Es unterscheidet sich also vom Satanismus.

Anzeige

Was ist während der Teufelsanbetung passiert, die du in Bildern festgehalten hast?
​Sie haben eine Frau in einen Kreis aus Feuer gestellt und vier Symbole aus Salz auf den Boden gestreut. Dann haben sie Linien in den Rücken der Frau geritzt. Die Symbole stehen für vier Portale zur Beschwörung des Übernatürlichen. Dieselben Symbole haben sie dann mit dem Blut der Frau auf ihren Rücken gemalt. Danach haben sie Salz auf die Wunden gestreut und Alkohol darüber gegossen. Das ganze dauerte ungefähr 20 Minuten.

Wer war diese Frau?
​Sie erzählte uns, dass sie eine zwölfjährige Tochter habe. Die Tochter war ein Frühchen, sie wurde drei Monate zu früh geboren. Damals wurde dem Vater gesagt, dass er sich zwischen seiner Frau und dem Baby entscheiden müsse. Er entschied sich für seine Frau, weil die beiden noch andere Kinder hatten. Sie überlebten aber beide. Sie sagte, dass sie dieses Ritual einmal im Jahr als Opfergabe durchführe, als Dank dafür, dass sie beide gerettet wurden. Ich weiß nicht, inwiefern das mit dem Teufel zu tun hat, das hat sie nicht erwähnt, aber sie sagte, dass sie sich deswegen opfere. Sie glauben an den Teufel, weil er sie schützt. Darum bitten sie, wenn sie beten. Sie bitten um Schutz und nicht um Ausreden dafür, verwerfliche Dinge tun zu dürfen.

Handelt es sich bei Angelito Negro um eine Sekte von Santa Muerte oder ist es etwas anderes?
​Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es handelt sich um etwas anderes. Es ist schon merkwürdig. Der Großteil dieser Kirche ist Santa Muerte gewidmet, überall stehen Statuen und Figuren von ihr. Aber wenn du reinkommst, siehst du Jesus Christus, die Jungfrau von Guadalupe (ein explizit katholisches Symbol) und dann eben Santa Muerte und Angelito Negro, die beide von der Katholischen Kirche verdammt wurden.

Anzeige

Wie in einem Supermarkt für Religionen?
​So ziemlich. Es gibt von allem etwas. Es gibt auch einen separaten Raum, der der ​Santeria gewidmet ist, einer afrokaribischen Religion. Ich verstehe nicht recht, wie all diese kleinen Kulte zusammenhängen, aber nicht jeder, der zu Santa Muerte beten will, besucht auch den Kirchenteil für Angelito Negro.

War es schwer, dabei zuzusehen, wie diese Frau das alles durchmachen musste, während du einfach daneben gestanden und Fotos gemacht hast?
Ja, besonders deshalb, weil sie es sich ja ausgesucht hatte. Das ist etwas anderes als zuzusehen, wie jemandem gegen seinen Willen Schmerzen zugefügt werden. Sie zahlen ja auch dafür.

Sie zahlen dafür?
​Sie bezahlt den Mann, der die Kirche leitet. Anfangs hörten wir, dass so ein Ritual 1500 Pesos [90 Euro] kostet, was in Mexiko viel Geld ist. Aber als wir mit dem Leiter der Kirche sprachen, sagte er uns, dass er bis zu 5000 Pesos verlangt [300 Euro]. Dieser Typ erzählte uns, dass er schon ein paar Mal im Gefängnis saß und in ein paar zwielichtige Dinge verwickelt war. Dann sagte er: „Und jetzt schaut euch mal an, was ich vorzuweisen habe. Ich habe das alles aufgebaut." Er wollte Menschen helfen, die Teil der Kirche sein wollten.

Er hat die ganze Kirche aufgebaut?
​Das behauptet er. Sie verdienen aber auch ziemlich viel Geld. Wenn eine Feier stattfindet, zahlen alle dafür. Sie servieren Tequila, eine Mariachi-Band spielt, aber sie verdienen eben auch Geld damit. Man kann alles kaufen. Er behauptet, dass das Geld in die Instandhaltung der Kirche fließt. Es gibt hier große Statuen und eine Menge Blumen und auch immer Alkohol.

Anzeige

Wie reagieren die Menschen normalerweise darauf, wenn du sie auf der Straße fotografierst?
​In meinem ganzen Leben, nicht nur in Mexiko, ist es nur wenige Male vorgekommen, dass Menschen wütend wurden, weil ich sie fotografiert habe. Es ist schon vorgekommen, aber eben sehr selten. Die Menschen hier in Mexiko werden nicht wütend, sie werden eher schüchtern. Die Menschen sind sehr zurückhaltend. Wenn es sie stört, werden sie einfach gehen. Sie sind überhaupt nicht konfrontativ.

Es ist eine lange Reise von Neuseeland aus. Bleibst du noch lange?
​Ich arbeite immer noch an dem Santa-Muerte-Projekt. Ich möchte jetzt in den Norden Mexikos reisen. Ich beschäftige mich mit denselben Themen: Familie, Religion, Kult, Vertrauen, Korruption. Diese Dinge sind alle miteinander verbunden und haben die mexikanische Gesellschaft geformt, die so anders ist als alles, was ich kenne. Ich möchte darstellen, wie oder warum diese Dinge verbunden sind und wie sie sich darauf auswirken, wie die Menschen einander behandeln. Du wirst jeden Tag daran erinnert, wie endlich das Leben ist. Du wirst jeden Tag daran erinnert, dass du nicht weißt, was passieren wird. Die Menschen hier leben im Jetzt. Sie feiern gern, sie kümmern sich um ihre Familie, ihre Freunde. Hier findest du immer einen Grund, um zu feiern, was ja auch gut ist. Die Menschen kosten jeden Moment aus, doch es gibt auch die andere Seite der Medaille. Vielleicht fühlen sie sich nicht verantwortlich für ihre Taten. Ich denke, wenn man sich anschaut, wie sehr hier die Kultur der Straflosigkeit um sich greift, dann ist das sehr wahrscheinlich.

Anzeige