Leute in Zürich verraten, wie sie mit Rassismus im ÖV umgehen

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Rassismus

Leute in Zürich verraten, wie sie mit Rassismus im ÖV umgehen

Ignorieren, auf Konfrontation gehen oder das Gespräch suchen?

Alle Fotos von der Autorin Die öffentlichen Verkehrsmittel sind Schmelztiegel und Brennpunkt gesellschaftlicher Konflikte. Der Wandertag des Seniorenvereins trifft auf aufgedrehte Teenager, eine Jodlertruppe auf dem Heimweg von Paris und Anzugträger in der 1. Klasse Richtung Flughafen. Alle zusammen sind sie bei mangelnder Luftzirkulation eingesperrt und haben kaum eine Möglichkeit, den anderen Fahrgästen auszuweichen.

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Auch mit dem Zug, Tram oder Bus unterwegs sind intolerante Menschen. Jemand gibt im vollen Zug eine beherzte Schimpftirade zum Besten und wer kann, wechselt nicht nur das Abteil, sondern gleich die Zugetage. Meistens zeigt sich Rassismus in den ÖV aber weniger schrill. Jeder kennt misstrauische Blicke, fest umklammerte Handtaschen oder abschätzige Gespräche. Es fragt sich nur, wie du mit diesem Verhalten umgehen sollst. Ignorierst du die Kommentare und Unterhaltungen, gehst du auf Konfrontation oder suchst du ein konstruktives Gespräch?

Wir haben uns auf der Strasse umgehört, wie die Leute in Zürich solche Situationen handhaben und was ihnen dabei durch den Kopf geht.

Grace, 20

VICE: Hast du auch schon Rassismus im Bus oder Tram erlebt?
Grace: Ich seh das immer wieder. Wenn jemand Dunkelhäutiges einsteigt, gibt es ältere Leute, die komisch schauen oder sich sogar an einen anderen Platz setzen. Mein Vater ist aus Venezuela und ein bisschen dunkler. Wenn er und meine Mutter unterwegs sind, reden sie Spanisch miteinander. Einmal sass ein älteres Ehepaar neben ihnen und hat auf Schweizerdeutsch über "viel zu viele Ausländer" geschimpft. Meine Mutter ist Schweizerin und versteht das natürlich. Sie hat dann einfach beim Aussteigen zu dem Ehepaar "Schönen Tag noch" gesagt. Die Leute guckten dann ganz dumm.

Aber deine Mutter hat das Ehepaar nicht währenddessen konfrontiert?
Nein, das nicht.

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Wenn du mitbekommst, dass sowas vor sich geht: Sagst du dann was?
Ich würde gerne sagen, dass ich etwas sage. Aber nein, ich bin zu schüchtern. Ich bin nicht jemand, der auf die Leute zugeht.

Melvin, 20

VICE: Hast du schon Rassismus in den ÖV mitbekommen?
Melvin: Es kommt mir eigentlich so vor, als würden solche Sachen öfter in kleineren Städten passieren. Zürich oder Lausanne sind halt international und offen. In kleineren Städten in Glarus oder so kennt man das einfach weniger. Dort habe ich öfter mitbekommen, dass jemand einen blöden Spruch oder Witz über jemanden macht. Es ist aber schwierig, da zu intervenieren, denn ich komme nicht aus dem Glarus. Ich weiss nicht genau, wie sie auf mich reagieren würden, wenn ich was sagen würde. Und dann habe ich auch noch eine "Züri Schnurre".

Hast du selbst schon einmal eingegriffen, in so einer Situation?
Ja, das habe ich schon. Aber es war nicht direkt Rassismus. Ein Typ, den ich nicht kannte, hat im Tram blöde Sprüche gemacht, weil eine Transe eingestiegen ist. Ich habe einfach gesagt: Schau, der lebt seinen Style. Lass ihn doch einfach so leben, wie er will. Ich denke mir, das ist seine Entscheidung und wenn er das machen möchte, dann ist das doch voll OK. Aber ich hab den Typen auch nicht total fertig machen wollen.

Wie findest du das, wenn du Leute so reden hörst?
Ich finde, wir sind im 21. Jahrhundert und jeder darf so leben, wie er möchte. Ich finde es wichtig, dass wir uns alle respektieren und eigentlich keine Vorurteile haben sollten. Jeder hat das Bedürfnis, frei leben zu können.

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Lea, 19

VICE: Was sind deine Erlebnisse mit Rassismus?
Lea: Ich kann von meiner Mutter erzählen: Sie war mal mit Freundinnen im Tram (da war sie noch jünger) und sie haben scheinbar ein bisschen laut gelacht. Dann haben ein paar ältere Leute sie angeschrien: "Scheiss Ausländer! Alle so laut!". Meine Mutter hat's am Anfang gar nicht richtig verstanden, weil sie gerade erst in der Schweiz angekommen war.

Wenn ich jetzt diese Situation erleben würde, wüsste ich ehrlich gesagt gar nicht, wie ich reagieren würde. Gerade bei alten Leuten weiss ich nicht, wie ich mich verhalten soll. Sind die vielleicht zu stur, um überhaupt Kritik aufzunehmen? Bei alten Leuten habe ich allgemein Angst, dass ich sie provoziere. Und ich weiss nicht, ob ich sie zurechtweisen kann. Aber sie haben ja einen Fehler gemacht. Alt sein ist keine Entschuldigung für alles. Aber auf der anderen Seite, wenn man eine alte Frau fragt, was ihr eigentlich einfällt, regt sie sich auf und am Ende bekommt sie noch einen Herzinfarkt.

Hast du selbst mal in so einer Situation eingegriffen?
Nein, bei alten Leuten habe ich wie gesagt nicht so den Mut, etwas zu sagen, und weiss auch nicht, ob ich es ihnen zumuten kann. Obwohl ich denke, dass Alter kein Freipass ist. Alte Leute sollten doch eigentlich weise sein. Wenn du 80 Jahre alt bist, hast du schon so viel gesehen und erlebt: Dann solltest du doch offener und aufgeschlossener sein.

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Lucia, 43

VICE: Wie gehst du damit um, wenn du Rassismus in den ÖV erlebst?
Lucia: Also ich sage sicher etwas. Ich würde vielleicht sogar sagen: "Entschuldigen Sie sich bei der Person." Aber einmal einzugreifen genügt dann auch. Ich würde dann nicht weiter darauf eingehen. Nicht konfrontativ auftreten.

Es gab auch schon Situationen, in denen ich Leute im Zug gefragt habe: "Wie kommen Sie jetzt überhaupt auf das? Die Person hat nichts gemacht und wie die Person aussieht hat sowieso nichts damit zu tun." Das habe ich gesagt, weil die angegriffene Person sich selbst nicht getraut hat, etwas zu sagen. Vielleicht wegen einer Sprachbarriere. Dann sollte man schon einschreiten.

Was überlegst du dir in diesen Situationen?
Man weiss manchmal nicht, ob die Leute einen Witz machen, der an der Grenze ist, oder ob sie das wirklich ernst meinen. Und das ist schwierig. Soll man intervenieren, denn es ist blöd oder finden die das jetzt einfach lustig? Ich überlege mir zum Beispiel auch, wie alt die Person ist. Ist es eine Gruppe Kinder und wie alt sind die? Das muss man abschätzen.

Wenn es Kinder sind, die rassistische Sprüche machen, greifst du eher weniger ein?
Ich denke schon. Kindern werfe ich mal einen Blick zu, der sagt: "Was soll das jetzt?" Ich sage eher etwas bei älteren Jugendlichen oder Erwachsenen. Kinder frage ich eher mal, wie sie es fänden, wenn jemand so über sie selbst reden würde. Manche Leute verstehen auch gar nicht warum man sie kritisiert, die fühlen sich gar nicht angesprochen. Aber ich finde absolut, dass man schon etwas sagen darf und soll.

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Judith, 48

VICE: Wie verhältst du dich, wenn du mitbekommst, dass jemand sich im Zug oder Bus rassistisch auslässt?
Judith: Also, ich reagiere eher zurückhaltend. Ich höre zu und beobachte die Situation. Sollte es dann wirklich ausarten, dann äussere ich mal einen lauten Gedanken. Aber ich würde mich nicht persönlich mit der Person einlassen. Man weiss ja auch nie, ob jemand gewalttätig ist. Wenn es ein Mann ist, dann sind wir als Frauen sowieso schwächer. Darum bin ich einfach eher zurückhaltend. Ich habe zu viel Respekt, um etwas zu sagen.

Wie ist es bei älteren Leuten? Sagst du da etwas?
Ich habe schon ältere Leute erlebt, die Rassistisches von sich geben, aber auch junge Leute. Ich finde es allgemein nicht OK, solche Sachen zu sagen. Ich schalte mich dann aber eben nicht ein. Denn meistens habe ich keine Zeit und bin vielleicht auch nicht in der Stimmung, mich auf eine ernsthafte Auseinandersetzung einzulassen. Ich höre zu und denke: "Wie kann man nur?" Wenn ich mit jemandem zusammen unterwegs bin, dann würde ich mit ihm oder ihr darüber reden, was gerade abläuft.

Wechselst du den Platz, wenn du so ein ein Gespräch mithörst?
Es kommt immer darauf an, wie lange die Reise ist. Wenn ich noch eine Stunde ausharren müsste, dann suche ich mir einen anderen Platz. Bei einer kurzen Distanz halte ich es eher mal aus. Aber vielleicht ist es besser, den Platz zu wechseln. Vielleicht merken die Leute, wie sie sich verhalten, wenn alle Leute den Platz wechseln.

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