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Popkultur

Karl Lagerfeld

Unser Interview mit Karl Lagerfeld, dem Genie, dem Kaiser und dem kreativen Leiter des 10-Milliarden-Dollar-Imperiums Chanel.

Selbstporträt von Karl Lagerfeld

Als Vice vergangenen Monat mit dem unerwarteten Angebot anrief, nach Paris zu fliegen und den Kaiser—Karl Lagerfeld, den kreativen Leiter des 10-Milliarden-Dollar-Imperiums Chanel—höchstpersönlich zu interviewen, ließ ich mich nicht zweimal bitten. Ich muss zugeben, dass ich vor der Anfrage von Vice nicht gerade ein Experte im Bezug auf den sagenumwobenen Modezar war, aber immerhin war mir doch bewusst, dass so ein Treffen unter Schwuchteln einer Audienz mit dem Papst gleich kam! Ich sah dem Treffen mit dem Mann hinter dem Fächer (bzw.—wie sich herausstellte—nunmehr dem Kragen), dem Guru hinter der Sonnenbrille, also mit der entsprechenden Aufregung entgegen, und freute mich auf die Gelegenheit, zu versuchen, den Mythos von der Realität zu trennen.

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Jetzt, nachdem ich Karl Lagerfeld getroffen und Zeit mit ihm verbracht habe, scheint mir, dass der Mann, soweit ich es einschätzen kann, tatsächlich komplett mit dem Mythos übereinstimmt. Nicht, dass man es nicht mit einer reellen physischen Person zu tun hätte, nur scheint der Mann, der—von Spiegeln bis ins Unendliche reflektiert—die Treppe seines Modehauses herabsteigt, der irdischen Mühsal mittels irgendeiner Alchemie entkommen und zu einer reinen Kreatur der Kreativität aufgestiegen zu sein. Lagerfeld ist eine Studie der pausenlosen Bewegung, der permanent zwischen unterschiedlichen kreativen Projekten hin- und herpendelt, dabei aber gleichzeitig immer auch die Geschichte und die ephemere Gegenwart, den Zeitgeist, in sich aufsaugt. Als eifriger Leser und Beobachter des Lebens durch die Linse von Büchern und Populärkultur filtert er die Welt wie eine Art Supercomputer in seine Mode und seine anderen kreativen Unternehmungen. Als ich ihn während des hier folgenden Interviews vorsichtig fragte, ob er nicht vielleicht unter dem Asperger-Syndrom leide—einer seltenen Form des Autismus, bei der sich eine Zwangsstörung als eine Art Genialität äußert—stimmte er mir zu.

Was mir an Lagerfeld während meiner vorbereitenden Recherchen am meisten auffiel, war, wie ähnlich wir uns im Hinblick auf viele unserer Glaubenssätze sind. Obwohl er einen Privatjet und mehrere luxuriöse Anwesen sein Eigen nennt, ist er antimaterialistisch und hängt, besonders seitdem er älter und reifer ist, immer weniger an seinem Besitz. Er hat einen gesunden Respekt vor Dingen, die manche als „unwürdig" betrachten würden, wie Prostitution, Promiskuität, usw., und ist entschieden antibürgerlich, was auch sein Missfallen gegenüber der Idee der Schwulen-Ehe erklärt.

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Bei unserem Treffen präsentierte ich ihm eine Liste der zehn Glaubenssätze, die wir beide teilen, was auf wunderbare Weise das Eis zu brechen half. Er war von Anfang an freundlich und umgänglich. Ich muss aber zugeben, dass er mich die ganze Zeit fest im Bann hielt. Während der gesamten anderthalb Stunden, die ich mit ihm verbrachte, fühlte ich mich, als wäre ich in einem Traum oder unter Hypnose—entspannt, aber wie verzaubert und ein wenig in Trance. La Lagerfeld ist mit Sicherheit ein Guru—und damit meine ich nicht nur der Modewelt.

Vice: Du bist im Moment also, wie immer, sehr beschäftigt.
Karl Lagerfeld: Ich bin immer beschäftigt, aber dies ist tatsächlich ein extrem hektischer Augenblick. Ich mag hektische Zeiten.

Ich auch. Ich habe mir verschiedene Dokumentarfilme über dich angesehen. Während ich mehr über dich erfuhr, überraschte mich, wie deine Philosophie sich immer deutlicher herauskristallisiert hat.
Sie ist bodenständig.

Ja, sehr bodenständig.
Anspruchsvoll bodenständig.

Das ist fast ein Paradox, aber ich weiß, was du meinst.
Ich liebe Paradoxa.

Ich auch. Ich denke, es geht immer um Paradoxa. Die Leute kapieren es nicht; sie denken, dass du dir selbst widersprichst, aber es ist ja durchaus möglich, dass zwei gegensätzliche Dinge gleichzeitig existieren. Das ist wirklich nicht so mysteriös.
Die Wahrheit ist nichts weiter als eine Frage der Perspektive.

Ich finde es gut, dass du ganz klar festgelegt hast, dass du nie ohne deine Sonnenbrille fotografiert oder gefilmt werden willst. Mir geht es genauso. Wer will das schon.
Die Brille ist meine Burka.

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Genau. Eine Burka für die Augen.
Eine Burka für Männer. Ich bin ein bisschen kurzsichtig, und wenn Kurzsichtige ihre Brille abnehmen, sehen sie aus wie süße kleine Hunde, die adoptiert werden wollen.

Ich bin tatsächlich mit einem Auge kurzsichtig und mit dem anderen weitsichtig.
Und das kann man nicht operieren?

Nein. Sie sagen, dass ich nie eine Brille brauchen werde, weil ich das eine Auge nur für das nahe Sehen und das andere für die Ferne benutze.
Das ist doch perfekt, oder? Ich will kurzsichtig bleiben, weil ich sonst irgendwann eine Lesebrille brauchen werde. Aber ich will sie nicht, denn ich mache meine Skizzen und überhaupt alles ohne meine Brille, außer mich mit Fremden zu unterhalten. Besonders, wenn sie auch eine Brille tragen.

Und ich hasse es, wenn die Fotografen sagen: „Können wir ein Foto von dir ohne die Brille machen?" Warum? Ihr seht mich doch auch so.
Ich hatte mal ein Interview mit einer deutschen Journalistin—einer schrecklichen, hässlichen Frau. Es war kurz nach dem Mauerfall—vielleicht eine Woche danach—und sie hatte einen gelben Pullover an, der halb durchsichtig war. Sie hatte riesige Titten und einen riesigen BH und sie sagte mir: „Das ist unhöflich; nehmen Sie bitte die Brille ab." Ich sagte: „Bitte ich Sie denn, Ihren BH auszuziehen?"

Man sollte sich gut überlegen, was man verlangt. Etwas, was du machst, und was ich in meiner Kunst auch versuche, ist, alle Aspekte der Kreativität gleich zu behandeln. Mode, Fotografie, Bücher, was auch immer—alles entspringt demselben Ort.
Genau. Es kommt alles aus demselben Kopf. Die drei Dinge, die ich im Leben am meisten mag, sind Mode, Fotografie und Bücher. Es gibt auch eine ganze Reihe anderer Dinge, die ich vielleicht gut finde, aber für die mir die Begabung fehlt. Ich habe kein musikalisches Talent. Ich kann nicht singen. Ich schauspielere nicht gerne, weil mein ganzes Leben sowieso eine Pantomime ist.

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Nun, du hast die Talente, die du hast, auf jeden Fall gut für dich nutzen können.
Ich bin vollkommen zufrieden und, was alles noch toller macht, ist, dass ich die Dinge so machen kann, wie ich es mir vorstelle. Ich habe keine Probleme, was die praktischen Fragen betrifft; ich kann alles, was ich tue, unter bestmöglichen Bedingungen tun. Mein Modeunternehmen, Chanel, ist die größte Konfektionsmodemarke. Fendi ist Teil von LVHM, die ebenfalls riesig sind.

Du bist schon eine ganze Weile berühmt, aber die Landschaft der Promikultur hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert.
Das ist ein Teil von unserem Leben, unserer Kultur.

Denkst du nicht, dass es irgendwie vergiftet ist?
Ja, aber dagegen kann man nichts tun. Es ist der Preis, den man für den Ruhm zahlt, und Leute, die das nicht wollen, können in Schwierigkeiten geraten. Ich akzeptiere die Idee der Berühmtheit, weil ich an ein französisches Sprichwort glaube: „Du kannst nicht die Butter haben und das Geld für die Butter behalten."

Das ist gut. Du musst dich für das eine oder das andere entscheiden.
Und inzwischen kann ich noch nicht mal über die Straße gehen. Ich kann nirgendwo hingehen.

Aber es macht dir nichts aus, alleine und isoliert zu sein?
Ich habe Bodyguards. Ich habe große Autos.

Reist du mit Bodyguards?
Oh ja. Aber ich reise nicht mit kommerziellen Fluglinien. Wenn ich um die Welt reise, benutze ich Privatjets.

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Und wenn du in einen Nachtclub oder so etwas gehen willst?
Das tu ich nicht. Ich geh nirgendwo hin, noch nicht mal von hier zum Quai Voltaire, wo ich wohne. Niemals, nie. Die Leute warten vor meinem Haus.

Wie lange ist es schon so, dass die Fans vor deiner Haustür warten?
Seit zehn Jahren. Vorher war es OK. Als ich noch jünger war, kannten die Leute mich eigentlich nicht. Ich hatte Zeit, jung zu sein und mir nicht über diese Art Sachen Gedanken zu machen.

Karl und Bruce in Karls Studio in Paris (Foto von Olivier Saillant)

Heute sieht man, wie diese jungen Stars aufgefressen und zerstört werden, und es ist irgendwie traurig. Aber um ehrlich zu sein, mache ich mir nicht so große Sorgen um die Stars. Ich mache mir Sorgen um die ganz normalen Leute, die viel zu viel Zeit damit verbringen, über Prominente nachzudenken.
Ich könnte jetzt prätentiös tun und sagen, dass ich keine normale Person bin. Aber ganz im Ernst, ich weiß wie es ist.

Ja, ich weiß, dass es dir nicht egal ist, weil du dich sowohl für die Hochkultur als auch die Alltagskultur gleichermaßen interessierst.
Das kommt daher, dass es überhaupt nur eine Kultur gibt.

Das Wort „prätentiös" wird oft abwertend verwendet, aber ich finde nicht, dass prätentiös zu sein unbedingt etwas Schlimmes ist. Ich weiß auch, dass du sehr hart arbeitest—das ist eine weitere Sache, die wir gemeinsam haben. Ich hasse Urlaub. Ich kann nie einfach wegfahren und am Strand liegen.
Ich war in meiner Jugend ein Beachboy.

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Das war deine Sturm-und-Drang-Zeit. Du hast gesagt, dass du in dieser Zeit das Leben kennengelernt hast. Was hast du damals gemacht?
Alles, was man nur tun kann, um zu sehen, was für ein Leben man will—was man mag, was man nicht mag, was man OK findet. Ich habe schnell mitbekommen, dass es sehr viele Dinge gibt, die nichts für mich sind, gegen die ich aber auch nichts einzuwenden habe. Ich habe keinerlei Vorurteile. Ich beurteile die Dinge nicht.

Ein derart hart arbeitender Mensch zu sein, wie du es bist, ist ein bisschen wie ein Mönch zu sein.
Mit dem hart Arbeiten ist es wie mit dem politisch korrekt Sein. Sei politisch korrekt, aber bitte nerve die anderen nicht mit Unterhaltungen darüber, was es heißt, politisch korrekt zu sein, denn das ist das Ende von allem. Willst du die Leute langweilen? Sei einfach beim Sprechen politisch korrekt.

Was heißt politisch korrekt zu sein für dich?
Ich meine damit, wenn Leute sich über Wohltätigkeit unterhalten. Beschäftige dich mit Wohltätigkeit, auf jeden Fall, aber langweile die Welt damit nicht zu Tode. Es ist sehr unangenehm. Aber ich gehe nicht viel aus, also habe ich auch nicht so viel mit Leuten zu tun.

Und so isoliert zu sein, ist kein Problem für dich?
Ich habe kein Problem. Das ist das Wunder meines Lebens. Ich habe keine Probleme, nur Lösungen—gute und schlechte.

Du bist gegen die Idee der Schwulen-Ehe. Ich stimme dir da vollständig zu.
Ja, ich bin aus einem sehr einfachen Grund dagegen: In den 60ern sagten alle immer, dass wir das Recht haben, anders zu sein. Und jetzt wollen alle plötzlich ein bürgerliches Leben führen.

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Das führt zur Normierung.
Ich kann mir das schwer vorstellen—einer der Papas auf Arbeit und der andere zu Hause mit dem Kind. Wie das wohl für das Baby ist? Ich weiß nicht. Ich sehe mehr verheiratete Lesben mit Kindern als verheiratete Jungs mit Babys. Ich glaube auch mehr an die Beziehung zwischen Mutter und Kind als zwischen Vater und Kind.

Ich nehme an, dass du keine Kinder willst?
Wenn ich mich für Kinder interessieren würde, würde ich Patenonkel oder –tante werden. Ich mag die Vorstellung nicht, Leute aus ihren Leben, ihrem Umfeld herauszuholen. Wenn es ein Kind gäbe, das ich adoptieren wollte, würde ich die Familie des Kindes suchen und ihnen Geld für die Erziehung des Kindes in seinem eigenen Lebensumfeld geben.

Und was ist mit berühmten schwulen Künstlern wie Francis Bacon oder Wilhelm von Gloeden? Sie hatten beide sehr wichtige Beziehungen, die fast wie Ehen waren.
Ich kannte Francis Bacon; er war der netteste Mensch der Welt, wie eine Lady aus Mittelengland, die mit gespreiztem kleinen Finger Tee in Monte Carlo trinkt. Mein bester Freund, der inzwischen tot ist, war sehr gut mit Francis Bacon befreundet. Sie gingen zusammen spielen und trinken.

Hatte Bacon seinen Protegé dabei bzw. seinen Lover?
Ich glaube, er war damals schon tot—der berühmte war schon tot.

Ah, George Dyer.
Ich sah Bacon nur mit meinem Freund, während sie gnadenlos soffen und zockten.

Dein bester Freund ist …
Er ist auch tot.

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Was ist mit ihm passiert?
AIDS. Das war vor 20 Jahren.

Wie hast du diese ganze Periode überstanden? Ich bin sicher, du kanntest sehr viele großartige Menschen, die an AIDS starben.
Ich möchte diese Zeit nicht noch einmal erleben müssen. Damals war eine AIDS-Diagnose hoffnungslos.

Es war ein Todesurteil.
Du bist vielleicht noch ein bisschen jung, um dich daran zu erinnern. Es war schrecklich. Schlimmer als schrecklich.

Es hat die Modewelt dezimiert.
Es brachte eine ganze Generation von Leuten um.

Fran Lebowitz hat ja mal gesagt, dass AIDS all die coolen Leute umgebracht hat.
Das stimmt.

Was ich sofort glaube, denn normalerweise waren es die Leute, die extrem lebten und experimentierten, die es erwischte.
Vielleicht ging das damals zu weit. Aber jetzt wollen sie alle zu bürgerlich werden.

Genau. Es hat sich in die entgegengesetzte Richtung entwickelt. Diese bourgeoise Idee, dass Schwule ein traditionelles Familienleben führen wollen—ich kapier' das einfach nicht. Als würden die Unterdrückten zu den Unterdrückern werden.
So kann man es sagen, genau.

Sie wollen wie die Leute werden, die sie immer verachtet haben.
Als ich ein Kind war, fragte ich meine Mutter, was Homosexualität war, und sie sagte—und das war vor 100 Jahren in Deutschland und sie war sehr liberal: „Es ist wie eine Haarfarbe. Es bedeutet nichts. Manche Leute sind blond und manche haben dunkle Haare. Es ist kein Thema." Das war eine sehr gesunde Einstellung.

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In der Beziehung hattest du Glück.
Manche Leute machen ein Drama daraus. Ich verstehe es überhaupt nicht. Da gibt es kein Problem. Es existiert nicht. Es ist kein Thema. Für mich war es das nie.

Wie warst du als Kind?
Ich war sehr erwachsen. Ich habe Fotos von mir als Kind, wo ich einen Schlips trage, und ich bin genau derselbe, der ich heute auch bin. Und ich war natürlich auch sehr erfolgreich mit der Pädophilie. Ich wusste davon, seit ich zehn war.

Du hast das also bewusst benutzt?
Nun, soweit würde ich nicht gehen. Es war unmöglich, mich anzurühren. Ich rannte weg und erzählte meiner Mutter davon, wenn es Leute waren, die sie kannte, wie der Bruder von dem Mann einer meiner Schwestern. Es war nichts passiert, aber meine Mutter sagte: „Weißt du, Liebling, du bist selber schuld. Schau dir doch an, wie du dich verhältst."

Hattest du je Sex mit jemand Älterem?
Nein, so weit ging es nie.

Der Comedian Chris Rock hat mal gesagt, dass er, wenn seine Cousins oder Onkel bei einem Familienpicknick an ihm rumfummeln wollten, zu seiner Mutter ging, und die sagte: „Geh spazieren, bis du dich beruhigt hast."
Also wie meine Mutter, nur ein wenig plumper. Das ist der Grund, warum diese Dinge in einer modernen Welt kein Thema sein sollten. Kinder sollten einfach Bescheid wissen.

Was für eine Beziehung hast du zu der ganzen politischen Schwulenbewegung?
Ich habe nichts damit zu tun. Für mich ist es ein Teil des normalen Lebens. Ich meine, die 20 Prozent, die so sind, von Gott oder wem auch immer so geschaffen wurden, sie sind genauso, wie sie sein sollen. Wo ist das Problem?

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Man könnte argumentieren, dass sie, indem sie politischer und organisierter vorgehen, besser in der Lage sind, Dinge wie schwulenfeindliche Gewalt zu bekämpfen.
Mir ist so etwas in meinem ganzen Leben nie begegnet. Ich hatte wohl ein zu beschütztes Leben. Wogegen soll ich also kämpfen. Ich hatte nie damit zu tun und ich kenne keinen, der das hatte.

Es ist, wie Marianne Faithfull sagt: „Wofür kämpfst du? Es ist nicht meine Realität."
Genau. Und die liebe ich. Sie ist großartig.

Ich frage mich, ob politische Schwulenorganisationen versucht haben, dich für ihre Sache zu gewinnen?
Ja, aber ich habe noch nie für irgendwas meine Stimme abgegeben—für keine Art Politik.

Ich auch nicht.
Ich bin hier ein Fremder. Ich bin in Deutschland ein Fremder. Ich bin immer nur Zaungast.

Die Politik ist einfach zu geschäftsorientiert.
Ich arbeite in der Mode. Die Politik ist nicht mein Job. Ich gehe in Frankreich nicht zur Wahl, obwohl Ausländer das hier dürfen. Ich werde nie zur Wahl gehen.

Mir geht's genauso.
Gut. Ich könnte für mich selber stimmen, weil ich alles über mich weiß. Und ich kann alle anderen belügen, aber ich kann mich nicht selber anlügen. Meine Mutter sagte immer: „Wenn du ehrlich bist, und einen gewissen Bildungsstand hast, wirst du immer die Frage und die Antwort wissen."

Hast du je mit Carla Bruni, der Frau von Sarkozy, gearbeitet, als sie noch ein Model war?
Oh ja, sie war eine der zehn Supermodels.

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Ich war damals wie besessen von ihr. Ich schnitt ihre Fotos aus Zeitschriften aus und wenn ich in den frühen 90ern einen Film schnitt, starrte ich immer auf ihre Fotos an der Wand. Ich weiß nicht warum. Sie hatte was.
Sie ist sehr gebildet und spricht viele Sprachen. Sie ist perfekt für den Job der First Lady. Ich habe sie sogar mal nackt fotografiert.

Hat man die Bilder wieder ausgegraben, nachdem sie Präsidentengattin geworden war?
Ja, aber sie waren sehr elegant und sie hatte nichts dagegen. Es war ihr ziemlich egal. Sie ist in der Beziehung sehr cool. Das Foto ist wunderschön. Ich kann dir das Aktfoto zeigen. Ich machte es 1998 für Visionaire. Jeder weiß, wie ein Mann oder eine Frau gebaut sind, und jeder geht an den Strand. Wo ist also das Problem?

Und mit Pornografie hast du auch kein Problem.
Nein, ich bewundere die Pornografie.

Das ist noch etwas, das wir gemeinsam haben.
Und ich persönlich mag nur hochklassige Escorts. Ich schlafe nicht gerne mit Menschen, die ich wirklich liebe. Ich schlafe nicht mit ihnen, weil die sexuelle Anziehung nicht von Dauer ist, Zuneigung aber ein Leben lang anhalten kann. Ich denke, das ist eine gesunde Einstellung. Und für reiche Menschen ist das auch durchaus möglich. Aber der Rest der Welt ist auf Pornografie angewiesen. Ich glaube auch, dass es sehr viel schwieriger ist, in einem Porno mitzuspielen, als als Schauspieler irgendeine Emotion in seinem Gesicht zu reproduzieren.

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Ja, es gibt dieses Zitat von dir, dass in einem Film jemanden einen zu blasen, sehr viel schwieriger ist, als große Emotionen darzustellen, die man leicht vortäuschen kann. Ich stimme dem völlig zu. Ich finde, die Leute zollen der Arbeit der Pornodarsteller nicht genug Respekt. Was sie tun ist nicht einfach.
Ich bewundere Pornodarsteller.

Ich auch, und Prostituierte genauso. Es ist eine echte Kunst.
Frustration ist die Mutter der Kriminalität, also gäbe es ohne Prostituierte und ohne Pornos sehr viel mehr Kriminalität.

Du hast Ärger gekriegt, als du in den frühen 90ern in einer deiner Shows einen Pornostar benutzt hast.
Ja, aber wen hat das schon gestört.

Anna Wintour hat es gestört.
​Ja, aber ich verstehe mich nach wie vor blendend mit ihr.

Da Karl Karikaturen von sich mag, haben wir diese hier bei Johnny Ryan in Auftrag gegeben.

Um auf den weiblichen Körper zu sprechen zu kommen: Beth Ditto von The Gossip? Was hältst du von ihrem Image?
Sie ist sehr gut. Ich kenne sie sehr gut. Sie ist ein Genie. Sie landet nicht in den Sachen, die wir in den Shows zeigen, aber sie hat eine tolle Persönlichkeit.

Reden wir über Pelze. Ich bin auf einer Farm aufgewachsen. Mein Vater war ein Trapper und ein Jäger.
Ich auch. Mein Vater war eigentlich kein Bauer, aber ich verbrachte viel Zeit auf dem Land und weiß also alles über das Leben dort. Deshalb sage ich immer, wenn die Leute darüber reden, keine Pelze zu benutzen: „Bist du reich genug, um den Leuten, die von der Jagd leben, einen anderen Lebensunterhalt zu finanzieren?"

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Bist du Vegetarier?
Ich muss einmal pro Woche Fleisch essen, weil meine Ärzte das so wollen, aber ich bevorzuge Fisch. Ich mag es nicht, dass die Menschen Tiere abschlachten, aber auch nicht, wenn sie Menschen abschlachten, was anscheinend gerade sehr populär ist auf der Welt.

Du pflegst einen ziemlich unaufgeregten Umgang mit dem Pelz.
Wenn du dir Pelze nicht leisten kannst, vergiss es. Benutze sie nicht als Investition, um den Leuten zu zeigen, wie reich du bist. Benutze Pelz, als wäre es irgendetwas billiges Gestricktes. Es ist wie mit einem großen Edelstein. Schön für dich, wenn du ihn dir leisten kannst, aber wenn du dadurch in finanzielle Schwierigkeiten gerätst, dann kauf den Stein einfach nicht.

Das ist noch so ein Paradox, das ich an dir mag. Die Art, wie du die Dinge benutzt, hat nichts Protziges.
Wenn du es dir leisten kannst, OK. Aber wenn du es als Investition machst, vergiss es.

Du hast eine interessante Beziehung zu Technik.
Nun ja, ich hasse Telefone. Ich bevorzuge es zu faxen, weil ich gerne schreibe.

Wem faxt du denn? Faxen macht doch keiner mehr. Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch, der noch ein Faxgerät hat.
Leute, mit denen ich befreundet bin, haben Faxgeräte. Anna Wintour hat eins. Wir unterhalten uns per Fax. Und in Paris schicke ich den Leuten Briefe.

Das ist eine verlorene Kunst.
Ich habe jemand, der jeden Tag in der ganzen Stadt Briefe für mich austrägt.

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Du lässt den Leuten per Boten Mitteilungen zukommen.
Ja, ich schicke sie per Bote.

Das ist sehr viktorianisch.
Ja, aber an den Viktorianern ist auch einfach nichts schlecht. So sieht für mich das zivilisierte Leben aus. Ich bin keine Kammerzofe, die man jederzeit anklingeln kann. Heute verhalten sich die meisten Leute so, als würden sie in einem Hotel eine Telefonzentrale betreiben.

Die ganze Kultur der Handys, der Textnachrichten usw. ist sehr unpersönlich und sehr ablenkend.
Ich arbeite nicht in einer Telefonzentrale. Ich muss mich auf das konzentrieren, was ich tue. Die wenigen Leute, die ich in meinem Telefon eingespeichert habe, sind schon zu viel. Wenn ich am Telefon bin, rede ich, aber in Wirklichkeit möchte ich allein sein, um zu zeichnen, zu arbeiten und zu lesen. Ich lese wie ein Verrückter, weil ich alles wissen will.

Vielleicht hast du ja das Asperger-Syndrom. Weißt du, was das ist? Es ist eine Art Autismus, eine Art Inselbegabung.
Das ist genau das, was ich habe. Als Kind wollte ich erwachsen sein. Ich wollte alles wissen—aber nicht um darüber zu sprechen. Ich hasse intellektuelle Konversationen mit Intellektuellen, weil mich nur meine eigene Meinung interessiert, aber ich lese gerne sehr abstrakte Hirnkonstrukte. Wenn ich noch einmal die Wahl hätte, hätte ich vielleicht Sprachen und die Zivilisationen der Antike studiert.

Hast du denn Latein gelernt?
​Ja, aber für jemand, der Deutsch spricht, ist das nicht schwer. Es hat dieselbe Grammatik und wird auf dieselbe Art ausgesprochen. Mit zehn oder zwölf konnte ich Latein so gut sprechen wie Englisch. Ich liebe tote Sprachen. Homer war einer der ersten Autoren, die ich las, als ich mit dem Lesen anfing. Ich halte die Ilias nach wie vor für eins der großartigsten Bücher der Geschichte.

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Du hast gesagt, dass Besitztümer eine Last sind und man sich nicht zu sehr an den Dingen festhalten sollte, dass der Besitz einen zum Opfer macht und einengt.
Es ist schön, wenn man sich etwas Schönes leisten kann, aber in dem Moment, wo man zu seinem Opfer wird, sollte man es aufgeben.

Wenn du so etwas sagst, klingt das nach einem ziemlichen Widerspruch.
Es ist genauso, wie wenn die Leute sagen, dass sie kein Geld mögen. Sei erst einmal reich, dann wirst du es verstehen. Wenn du nie Geld in der Hand gehabt hast, weißt du nicht, was Geld ist. Wenn du reich bist, lass das Geld wieder los. Es ist sehr einfach.

Das ist die Leichtigkeit.
Ja, das Leichtsein ist das Wichtigste für mich. Nichts Überflüssiges, nirgendwo. Nicht im Körper und nicht im Geist.

Und ein gewisser emotionaler Abstand.
Ja, absolut. Ich wurde zu einer solchen Unabhängigkeit erzogen. Man kann nichts mitnehmen. Es gibt ein paar wenige wichtige Dinge, und das sind nicht deine Besitztümer.

Womit wir vielleicht wieder bei der Frage wären, wie man es im digitalen Zeitalter schafft, sich nicht permanent ablenken zu lassen.
Ich weiß nicht, wie die Leute sich konzentrieren können, wenn die ganze Zeit ihre Handys klingeln und all das. Ich verbringe gerne Zeit mit Musik, Büchern und Papier, um zu zeichnen und über die Dinge nachzudenken. Um mich selbst einer Hirnwäsche zu unterziehen und Briefe zu schreiben. Ich habe nie das Gefühl, allein zu sein. Für mich heißt Einsamkeit alt und krank zu sein und niemanden um sich zu haben. Aber wenn man einigermaßen bekannt und einigermaßen, sagen wir, nicht arm ist, ist das der höchste Luxus.

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Fällt es dir schwer, Zeit für dich selbst zu finden?
Ich muss darum kämpfen, allein zu sein, aber ich brauche die Zeit, um meine Akkus wieder aufzuladen. Tagträume sind das Wichtigste für mich. Es wäre ein Albtraum nicht tagträumen zu können.

Musik ist sehr wichtig für dich und ich habe versucht, deinen Assistenten zu überzeugen, dass du anfangen solltest in Clubs aufzulegen.
Ich habe es einmal gemacht, mit DJ Michel Gaubert.

Hat es dir Spaß gemacht?
Ja, aber es ist nicht wirklich mein Job. Ich höre lieber zu. Für mich ist das zu viel Arbeit.

Du kannst es ja jemand anderen machen lassen. Es geht ja um die Auswahl der Songs.
Ich habe normalerweise CDs. Ich kaufe mir gerne CDs und treffe dann meine Auswahl, und dann habe ich meinen iPod.

Und mehr ist DJing auch nicht. Einfach eine iPod-Playliste zu machen. Aber für ein Live-Publikum aufzulegen und es zum Tanzen zu bringen, ist etwas ganz eigenes.
Das ist für mich auch schwierig, nicht weil ich etwas dagegen hätte, aber ich trinke nicht, ich nehme keine Drogen und ich habe nie im Leben geraucht.

Auch früher nicht?
Nein.

Du hast nie mit Drogen experimentiert?
Ich habe andere dabei beobachtet und ich hatte nicht den Eindruck, dass es ein besonderer Erfolg war.

Du warst noch nicht einmal neugierig?
Nein. Es gab mal einen berühmten Mann, der über Fliegen und Insekten schrieb, und ich bin wie derjenige, der die Insekten beobachtet. Ich sehe mir lieber an, wie die Drogen bei anderen wirken. Und ich kann keine Zigaretten rauchen. Ich brauche meine Hände für andere Dinge. Als ich 14 war, wollte ich rauchen, weil meine Mutter eine extreme Raucherin war. Ich wollte rauchen, um erwachsen auszusehen. Aber meine Mutter sagte: „Du solltest nicht rauchen. Deine Hände sind nicht besonders schön, und wenn du rauchst, sieht man das."

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Und das hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Ja, ich habe nie geraucht, also Gott sei Dank. Ich sollte ihr dankbar sein. Sie rauchte pausenlos und wenn sie keine Zigaretten hatte, hatte sie eine üble Laune. Ich kann dir sagen, wir taten alles dafür, dass sie ihre Zigaretten bekam.

Wie war das Verhältnis zwischen deinen Eltern?
Es war für beide nicht die erste Ehe. Sie stritten sehr viel. Meine Mutter trennte sich mehrfach von ihm. Mein Vater war ein liebenswerter Mann, aber ein wenig langweilig. Er war älter und meine Mutter war sehr schwierig und eine sehr humorvolle Person, daher verbrachte sie ihr Leben damit, Witze über ihn zu machen. Ich wurde geboren, als mein Vater 60 und meine Mutter 42 war. Aber ich glaube nicht, dass ich wirklich etwas über das Leben meiner Eltern weiß. Ich bin nicht sicher, ob man das sollte.

Eine andere Form der Distanz.
Ja, aber ich wusste, dass sie mich liebten. Ihr Privatleben ging mich nichts an.

Ich verstehe Leute nicht, die ihr ganzes Leben nach der Anerkennung ihrer Eltern suchen. Es ist dasselbe wie Schwule, die die Anerkennung der Gesellschaft wollen.
​Ich hatte nie das Gefühl, dass es mir an Anerkennung mangelt. Ich kann es mir nicht mal vorstellen. Mein Vater sagte immer: „Du kannst mich nach allem fragen, aber nicht vor deiner Mutter, denn sie würde sich lustig machen." Und mein Vater sagte zu allem ja, das ich wollte. Er schenkte mir 20 Sportwagen und solche Sachen, er hat mich also verwöhnt. Wenn ich meine Mutter um etwas bat, sagte sie immer: „Frag deinen Vater."

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Karl im Film L'Amour, 1973 (Foto aus The Films of Paul Morrissey von Maurice Yacowar, Cambridge University Press, 1993)

Lass uns über Sex reden. Ich weiß nicht, ob du das gelesen hast, aber vor Kurzem gab es im New Yorker diesen interessanten Artikel von Louis Menand über Andy Warhol.
Ja, diesen Artikel fand ich sehr gut.

Er war gut. Es ging darin um Warhols Sexleben. Es hat mich irgendwie schockiert, dass sie sagten, dass er in den frühen 60ern total gut im Bett war.
Daran sollte man nicht erinnert werden.

Und dass sein Voyeurismus nichts mit Asexualität zu tun hatte. Es war eher so, dass er sich für öffentlichen Sex interessierte.
Das war damals etwas Neues. Man könnte, was er tat, als Pornografie bezeichnen, aber jetzt ist es Kunst, weil die Leute es als erotische Kunst sehen. Ich weiß nicht, wo die Grenze zwischen Pornografie und erotischer Kunst verläuft. Wenn man sich die Erkennungsmerkmale ansieht, muss man schon sehr intellektuell sein, um da eine genaue Trennlinie zu erkennen. Weißt du, ich war ja mal in einem Warhol-Film. Er hieß L'Amour. Ich kannte ihn und all die Leute um ihn herum. Das war damals eine witzige und angesagte Sache, die jeder machte.

Wer gehörte noch mit dazu?
Patti D'Arbanville, Jane Forth, Coral Labrie, Donna Jordan, ich und Paul Morrissey. Ich kann mich besser an die Mädchen erinnern.

Was hast du mit den Mädchen gemacht?
Ich musste Patti D'Arbanville küssen.

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Waren sie oben ohne?
Ja, die Mädchen trugen in der Szene keine Oberteile. Vielleicht auch sonst nicht viel.

Warst du nackt?
Manchmal. Sagen wir, ich hatte nicht übermäßig viel an.

Wir müssen irgendwie an diesen Film kommen!
Ich stell mir vor, ich war so eine Kreatur mit langem Haar.

Hast du selbst eine Kopie des Films?
Nein.

Ich glaube nicht mal, dass man ihn irgendwo ausleihen kann.
Es hat Spaß gemacht, damals. Für einen Modemenschen bin ich wenig prüde.

Wie war dein Verhältnis zu Warhol? Wart ihr befreundet?
Ich glaube nicht, dass Andy mit irgendwem wirklich befreundet war. Er war sehr nett, sehr liebenswert. Aber ich lebte nicht diese Art Leben; ich nahm keine Drogen und all das.

Das tat er ja eigentlich auch nicht.
Nein, aber er hielt andere dazu an. Ich war, auf gewisse Weise, ein bisschen zu feinsinnig dafür, und ich war eher wie ein Außenseiter im Inneren dieses Kreises. Ich wollte nie ein Porträt von Andy Warhol von mir, weil ich mir nichts aus Porträts mache. Ich habe genug, von Helmut Newton bis Irving Penn. Ich habe sie alle, aber ich hebe nur Karikaturen von mir auf. Das finde ich sehr viel unterhaltsamer. Aber Andy war sehr liebenswürdig, genau wie Fred Hughes, der auf schreckliche Weise umkam. Das Drama ist, dass Andy ein akzeptabler, aber nicht herausragender Illustrator war, aus dem ein herausragender Künstler wurde. Antonio Lopez, der ein sehr viel besserer Handwerker und Meisterkünstler war, versuchte, es in die Kunstwelt zu schaffen, aber es gelang ihm nicht.

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Als Warhol die Brillo-Kartons machte, kopierte er eigentlich die Arbeit von James Harvey, einem Künstler, der kommerzielle Illustrationen machte.
Ja, aber James Harvey war nicht gut darin, PR für sich zu machen. Andy war perfekt darin. Der Film, bei dem ich mitspielte, war von Paul Morrissey, der inzwischen sehr krank und alt ist. Die Leute sagen, es wäre kein Warhol-Film, sondern ein Paul-Morrissey-Film gewesen. Aber ohne Andy hätte es ihn nicht gegeben. Sie waren beide dabei.

Nun, das Ding mit den Paul-Morrissey-Filmen …
Was waren seine Filme ohne Andy?

Er hat Beethoven—Die ganze Wahrheit gemacht.
Den fand ich nicht besonders. Ich mochte ihn, weil ich mich gern mit ihm über deutsche Stummfilme unterhielt. Ich bin auf dem Gebiet ein Spezialist, und er kennt sich auch recht gut aus. Das Thema hatten wir gemeinsam.

Er hat auch Forty Deuce gemacht, der von einer männlichen Prostituierten handelt. Er war ganz gut. Kevin Bacon spielt bei ihm mit.
Ja. Die sind nicht so bekannt, wie die, die er mit Andy gemacht hat. Flesh und Trash und all das.

Man hat fast das Gefühl, dass Morrissey sich in den Filmen unter eine Szene gemischt hat, die nicht ganz seine war, dass er sich über die Transsexuellen lustig macht. Aber die Transsexuellen waren so toll, so witzig und schlagfertig.
Ich sollte das nicht sagen, aber er war körperlich ziemlich abstoßend.

Wer?
Andy.

Der Artikel im New Yorker scheint ja anzudeuten, dass er, als er jünger war, sexuell ein wenig attraktiver war.
Er war nicht gutaussehend.

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Er hat das Beste draus gemacht. Also, ich habe mir vor Kurzem die Filme Lagerfeld Confidential und Karl Lagerfeld Is Never Happy Anyway angesehen.
Die Leute mögen mich in diesen Visionen der Einsamkeit. Es gibt noch einen weiteren, Un Roi Seul [Ein einsamer König]. Das ist ein guter Film, auch wenn der Titel dumm ist.

Deine ganze Transformation hat mich fasziniert—z. B. dich zu sehen, bevor du abgenommen hattest, als du immer einen Fächer in der Hand hieltst.
In meiner Jugend war ich sehr schlank.

Dein Gewicht hat immer stark geschwankt, richtig?
Es fing, als ich 35 war, an zu steigen. Dann musste ich aufpassen und dann wurde mir das langweilig.

Es wurde dir langweilig, dich fit zu halten?
Ich ging, als ich sehr jung war, ins Fitnessstudio, und irgendwann fand ich es tödlich langweilig. Ich fing damit an, bevor andere damit anfingen, in den 60ern und späten 50ern.

Und als du schließlich anfingst, abzunehmen, was hatte den Anlass dazu gegeben?
Nun, es kam diese neue Linie von Hedi Slimane bei Dior heraus, und um die zu tragen, musste man sehr schlank sein. Ich sagte mir: „Du willst das? Dann kehr zurück zu den Knochen." Also verlor ich 44 Kilo und habe seitdem auch nicht ein Kilo wieder zugenommen.

Aber es war auch stilistisch eine Transformation für dich.
Ja, aber wenn du dir Fotos von mir als Kind ansiehst, hatte ich da schon denselben Kleidungsstil. Ich habe mich nie verändert.

Einer der Dokumentarfilme war auf Deutsch, der andere auf Französisch. Die Art, wie du auf Französisch sprichst, hat etwas sehr Interessantes.
Ich bin eine andere Person. Ich bin drei Personen. Wenn ich Englisch spreche, bin ich eine Person, wenn ich Deutsch spreche eine andere und wenn ich Französisch spreche noch eine andere. Ich freue mich, dass du das bemerkt hast.

Deine Philosophie ist in Französisch irgendwie klarer.
Ich bin nicht Kierkegaard. Nenn es also nicht so.

Aber jeder hat eine Philosophie, das ist jedenfalls meine Philosophie.
Ja, aber ich bin eher ein Schüler Spinozas.

Ich mag die Tatsache, dass du in Lagerfeld Confidential Marcuse zitierst. Es war etwas, das er gesagt hatte, wie: „Glück und ein komfortables Leben sind unanständig."
​Auf eine Weise sind sie das, wenn man sie zu sehr zur Schau stellt.

Wenn du dir die Geschichte anschaust, siehst du, wie viele Menschen den Kommunisten zum Opfer gefallen sind.
Du redest von den Sowjets.

Ja, den Sowjets und anderen Ländern, die du nicht erwähnst, weil es sie noch gibt. Nordkorea und so weiter.
Was hättest du gerne, das ich davon halte.

Der Kommunismus war in Frankreich in verschiedenen Perioden immer wieder in Mode, oft unter Intellektuellen.
In Frankreich, nach dem Krieg, wurde Kommunismus zu einer Art Snobbismus unter reichen Intellektuellen, die allerdings auch wieder nicht extrem wohlhabend waren.

Wir nennen sie die Champagner-Sozialisten.
Das war später. Was ich meine ist, was die Franzosen die gauche caviar nennen. Das war etwas softer.

Eine Art Trend?
Ja, es war ein Trend. Tut mir schrecklich leid, aber ihre Leben funktionierten nicht so, wie sie es predigten. Vor dem Krieg gab es nur eine einzige Philosophin von dieser Sorte—Simone Weil. Sie war die Tochter eines reichen Bankers und sie verschenkte ihr ganzes Geld und lebte wie die armen Kommunisten, die sie verteidigte. Sie starb infolge dieses Lebensstils, weil sie sich durch diese ärmlichen Bedingungen Tuberkulose zuzog. Das finde ich bewundernswert.

Sie war eine Art Märtyrerin.
Ja. Während diese bourgeoisen Typen lunchten und viel tranken und …

Das ist Heuchelei.
Ja. Es tut mir sehr leid. Das funktioniert für mich nicht. Man muss dieses Leben auch leben.

Man kann nicht Wasser predigen und Wein trinken.
Verschenke dein Geld und lebe das Leben, für das du kämpfst. So sollte es sein. Ich hasse reiche Leute, die versuchen Kommunisten oder Sozialisten zu werden. Ich finde das obszön.

Der Grund, warum ich vorhin Bacon erwähnte, war dass eine männliche Prostituierte seine Muse und später sein Ersatzsohn wurde.
Und von Gloeden bezahlte diese Jungs, um Fotos von ihnen zu machen. Es ist unglaublich.

Er hatte einen besonderen Assistenten namens Il Moro, der sein Liebhaber war.
Aber wenn du dir die Fotos ansiehst, sind sie nicht sexy. Die Jungs haben hässliche Zähne und ich finde die Art, wie sie angezogen sind, widerwärtig. Die Stimmung ist vielleicht interessant.

Es waren ja Bauernjungen, die er aufnahm.
Es waren Leute, die nicht gepflegt aussahen und fette Bäuche und hässliche Zähne hatten.

Dann magst du von Gloedens Fotos nicht?
Ich verstehe die Stimmung, aber ich würde mir seine Fotos nie an die Wand hängen.

Aber auf gewisse Weise hat er auch den Sextourismus erfunden, denn er wurde ständig von Leuten in Taormina, wo er in Sizilien lebte, besucht.
Warst du schon einmal in Taormina? Ich finde, es ist ein deprimierender Ort.

Das ist es. Es ist zu touristisch geworden.
Ich bekam die Grippe, als ich dort war, und blieb zwei Wochen in dem Hotel dort im Bett und mochte den Ort danach nicht mehr.

Hast du je die Art Beziehung zu jemand gehabt wie Bacon, wo jemand eine Muse für dich wurde?
Ja, aber es waren keine Prostituierten, sondern professionelle Models.

OK. Du hast Spinoza erwähnt. Welche seiner Gedanken haben dich besonders inspiriert?
Spinoza sagt, und ich übersetzte es frei: „Jede Entscheidung ist eine endgültige Verweigerung." Damit lebe ich.