10 Fragen an eine Hidschab-Trägerin, die du dich niemals trauen würdest zu stellen
Foto: Betül Alimdar

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10 Fragen

10 Fragen an eine Hidschab-Trägerin, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Warst du schon mal besoffen? Welchem Mann hast du schon deine Haare gezeigt? Bist du noch Jungfrau?

In der 8. Klasse beschloss Farah Bouamar aus Bielefeld, ein Kopftuch zu tragen. Sie wollte so sein wie ihre elegante Tante und die eloquenten Nachrichtensprecherinnen aus dem arabischen Fernsehen. Eine Entscheidung mit Folgen: "Mein Geschichts- und Deutschlehrer benotete meine Hausaufgaben absichtlich schlechter", sagt sie, "und es gab Arbeitgeber, die mich wegen des Kopftuchs nicht eingestellt haben." Es sei ermüdend, sich nach draußen immer mehr beweisen zu müssen als andere. "Aber all das bestärkt mich auch darin, das Kopftuch weiter zu tragen."

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Inzwischen studiert die 25-Jährige Philosophie und Literaturwissenschaft in Paderborn und sagt, dass sich ihre Gründe für das Kopftuch immer wieder ändern. Warum sie es trägt, will sich die sunnitische Muslima nicht von anderen erklären lassen – weder von alten weißen Männern noch von Femen-Aktivistinnen.


Auch eine Art von Religion: Die Drunken-Glory-Bewegung


Als Teil des YouTube-Kanals Datteltäter, der sich satirisch mit dem Alltag von Muslimen beschäftigt, will die Aktivistin lieber ein eigenes Bild davon vermitteln, was es bedeutet, ein Kopftuch zu tragen. Wir haben Fragen.

VICE: Warum lässt du dir von deiner Religion vorschreiben, wie du dich zu kleiden hast?
Farah Bouamar: Dass die Religion einem eine bestimmte Kleidung wie eine Art Uniform vorschreibt, ist nicht richtig. Es ist eher der Rahmen, der gesetzt wird, beispielsweise soll die Kleidung nicht zu eng oder durchsichtig sein. Wie man den Rahmen aber ausfüllt, bleibt einem frei überlassen. Wenn ich mein Kopftuch mit einem bauchfreien Oberteil kombinieren würde, sähe das wahrscheinlich sehr befremdlich aus. Aber mein Bauch war auch noch nie so durchtrainiert, dass ich ihn zeigen wollte. Ich fühle mich durch die Kleiderordnung nicht eingeschränkt. Wenn mir ein ärmelloses Oberteil gefällt, kaufe ich es. Ich trage es zu Hause, auf Geburtstagen von Freundinnen oder kombiniere es im Alltag mit etwas, das meine Arme verdeckt. Die Vorstellung, dass Musliminnen rund um die Uhr lange, graue Gewänder tragen, ist unsinnig. Bis vor Kurzem habe ich mir auf Reisen immer ein kurzes Kleid gekauft. Im für mich passenden Rahmen trage ich es dann auch. Man wird mit der Zeit auch kreativer mit der Kleiderkombination und entwickelt seinen eigenen Stil. Ich bin in einem Fitnessstudio für Frauen und kann so jederzeit ohne Kopftuch Sport machen und beispielsweise auch enge Sportklamotten tragen. Im Urlaub besuche ich private Strände nur für Frauen, also muss ich auch nicht aufs Sonnen verzichten oder einen Burkini tragen.

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Bist du an heißen Tagen neidisch auf Frauen, die keine Kleiderordnung befolgen?
Nein, nicht wirklich. Ich kann meine Textilien so auswählen, dass ich Luftiges trage. Wenn ich mal danebengreife, sie falsch aussuche und dementsprechend mehr schwitze, dann ist das mein Pech. Aber es gibt keine Situationen, in denen ich neidisch bin, weil ich theoretisch auch freizügiger rumlaufen könnte. Es zwingt mich ja keiner dazu, mich zu bedecken.

Denkst du, dass unverhüllte Frauen in die Hölle kommen?
Ich bin froh, wenn am Ende des Tages mein eigener Hintern gerettet ist. Ich bin weder Gott, noch darf ich mir anmaßen, über den Lebensstil anderer zu urteilen. Jede Frau sollte den für sie richtigen Lebensstil praktizieren dürfen. Und nein, natürlich verdamme ich Frauen nicht, wenn sie kein Kopftuch tragen. Sonst müsste ich meine halbe Verwandtschaft und viele Freunde verurteilen.

Welchem Mann hast du schon deine Haare gezeigt?
Mein Vater und mein Onkel kennen meine Haare. Neben Brüdern, Söhnen und dem Ehemann dürfen die sie sehen. Unbeabsichtigt kam es mal vor, dass jemand meine Haare sah, beispielsweise unser Biolehrer auf Klassenfahrt in der 10. Klasse. Als wir nachts unsere Streiche spielten und die Türklinken mit Zahnpasta beschmierten, erwischte er uns. Dabei trug ich kein Kopftuch. Gelegentlich, wenn ich in unserem Haus zum Dachboden hochlaufe, spekuliere ich, ob es auch ohne Kopftuch geht. Manchmal kommt trotzdem jemand und ich muss schnell wieder runterlaufen. Als einmal der Postbote kam, habe ich mir schnell eine Jacke über den Kopf geworfen und die Wohnungstür aufgemacht. Er hat nicht schlecht gestaunt.

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Foto: Betül Alimdar

Welche Folgen hat es, wenn ein fremder Mann deine Haare sieht?
Dann ist man verbrannt. Nein, was dann passiert, erfahre ich erst, wenn ich vor dem lieben Gott stehe. In der Vorstellung mancher Leute macht es dann vielleicht auf meinem Sündenkonto "katsching!". Aber für mich ändert sich nichts. Ich ärgere mich allerdings schon, wenn es passiert, weil es nicht die Norm ist, dass ich kein Kopftuch trage.

Wäre eine Glatze für eine gläubige Muslima eine Alternative?
Das steht in der muslimischen Gemeinschaft gar nicht zur Debatte. Diese Frage stellt sich auch gar nicht: Wenn man das Kopftuch nicht tragen möchte, legt man es ab. Kein Grund, sich dafür direkt die Haare zu rasieren. Die Frage ist creepy. Haare sind unter Muslimen grundsätzlich positiv konnotiert, aber es stimmt nicht, dass es kaum Kurzhaarfrisuren gibt. Ich bin oft überrascht, wenn eine Frau unter dem Kopftuch pinke Haare oder einen extrem kurzen Bob trägt. Das Stereotyp, dass muslimische Frauen unter dem Kopftuch automatisch konservativ sind, ist falsch.

Wenn ich ein Mann wäre und dich in der U-Bahn ansprechen würde, verdreschen mich dann deine männlichen Verwandten?
Nein, das ist eine Klischeedenke und vollkommen abstrus. Auch dass muslimische Frauen sich besonders gestört fühlen würden, wenn sie von Fremden angesprochen werden, ist ein Vorurteil. Auch da ist jede Frau anders. Manche fänden das in Ordnung, andere nicht. Aber das wäre auch so, wenn sie kein Kopftuch tragen. Bei mir ist es manchmal umgekehrt. Ich sitze in einem überfüllten Bus alleine in einem Viererplatz und keiner setzt sich zu mir, obwohl ich nicht dagegensprechen würde.

Gibst du fremden Männern zur Begrüßung die Hand?
Fremden gebe ich zur Begrüßung keine Küsschen oder Umarmungen. Auch nach Knigge ist das die Regel. Kulturell gehört das Händereichen in Deutschland zur Begrüßung dazu. Ich hatte vor Kurzem ein Vorstellungsgespräch. Im Knigge hatte ich gelesen, dass der Übergestellte mir zuerst die Hand reichen muss und nicht umgekehrt. Ich trage aber ein Kopftuch und dachte, wenn ich mich an diese Knigge-Regel halte und ihm nicht zuerst die Hand reiche, denkt er vielleicht, ich mache das wegen meiner Religion. Das ist ein Dilemma, dass ich mir über sowas Gedanken machen muss. Man wird als sichtbare Muslima in solchen Situationen vielleicht schneller verurteilt.

Warst du schon Mal besoffen?
Nein, ich trinke überhaupt keinen Alkohol. Ich verkehre selten in Kreisen, in denen Alkohol getrunken wird, aber springe auch nicht sofort auf, wenn es jemand macht. Betrunkene, laute und impulsive Menschen erlebe ich an Bahnhöfen und die sind mir unfassbar unangenehm. Öfter folgt ein rassistischer Spruch. Mir hat auch bereits jemand eine Flasche hinterher geworfen. Das fand ich nicht lustig. Deshalb fahre ich nicht mehr spät abends Bahn oder an Tagen, in denen viele Fußball-Fans unterwegs sind. Auf einer Einkaufsstraße hat mich eine Frau im Vorbeigehen mal als "arabische Hure" bezeichnet. Ein anderes Mal hat mir ein Mann am Bielefelder Hauptbahnhof am helllichten Tag ins Gesicht gespuckt und mich als "Kopftuchschlampe" bezeichnet. Vielleicht sind es Betrunkene, die sich durch das Kopftuch angesprochen fühlen und ihren Frust ablassen.

Bist du Jungfrau?
Das möchte ich dir nicht beantworten. Und zwar nicht, weil ich mit der Beantwortung dieser Frage ein Problem hätte oder meine Kultur oder Religion dagegensprechen würden, sondern weil ich die ewige Diskussion um die Jungfräulichkeit für dumm halte. Alleine schon wenn ich jetzt Bezug darauf nehme, mache ich das, was eigentlich kein Thema sein sollte und wogegen ich die ganze Zeit ankämpfe, genau zu einem solchen. Ob eine Frau Jungfrau ist oder nicht, sollte etwas vollkommen Irrelevantes sein.

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