Was passierte, als ich alle Hass-Mails beantwortete

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Was passierte, als ich alle Hass-Mails beantwortete

"Ich überhäufte die Leute mit Herzlichkeit und Liebe und blieb hart in der Sache. Eins nahm ich mir vor: Das letzte Wort habe ich."

Foto: Anna Gold | Wikimedia | CC BY-SA 4.0

Ich bekomme Hate-Mails. Viel Hate-Mails. Eigentlich jeden Tag. Beleidigungen, Bedrohungen, manchmal auch wirre Nachrichten. Ich gehöre zu jenen Menschen, die im Internet einen Ruf haben, einen für einige Menschen sehr zweifelhaften Ruf: als Parteimitglied der Linken, als Sozialistin und Feministin bin ich eine Zielscheibe für Rechte und Neonazis, generell für Nationalisten und andere Vertreter und Vertreterinnen reaktionärer Ansichten. Ich habe das Gefühl, die Rechten hassen mich regelrecht. Sie arbeiten sich an mir ab. Sehr gerne in Großbuchstaben.

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Ich bin mittlerweile erfahren im Shitstormbusiness. Meinen ersten hatte ich vor rund sechs Jahren, als noch kaum jemand darüber sprach. Ich war engagiert bei den Piraten und in der Partei gehörten Shitstorms quasi zum Alltag dazu. Als ich mein erstes Buch 2012 veröffentlichte, gab es einen. Und der letzte große wurde von Rechten angeführt, weil ich immer wieder sehr linke Ansichten vertrete. Seit ich Mitglied der Partei die Linke bin, fühlen sich viele Rechte in ihrer Meinung über mich bestätigt und drücken das auch aus.

Ich bin ein politischer Mensch, ich bin in einer Partei, ich schreibe politische Bücher. Meine Meinung öffentlich zu sagen, gehört zu meinem Job. Und damit gehört es für mich auch dazu, angreifbar zu sein.

Aber ich habe gelernt, mich zu schützen. Ich habe sogar über zwei Jahre für die Amadeu Antonio Stiftung zum Thema gearbeitet. Ich kenne alle Tricks, wie auf den einzelnen Plattformen ein größtmöglicher Schutz entsteht. Bei Twitter ist das Problem noch nicht so gut gelöst wie bei Facebook, aber seit ich verifiziert bin, werden 80 Prozent der Interaktionen nicht angezeigt – Twitter filtert einfach kleine Accounts: User, die ein Ei als Avatar haben, nur wenige Follower oder erst einige Tage aktiv sind. Anfang Januar tobte schon wieder ein kleiner Shitstorm, den ich aber erst zwei Tage nach Beginn und durch Zufall mitbekam – Anlass waren meine kritischen Anmerkungen zum Polizeieinsatz in Köln.

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Bei Facebook sind die Privatsphäre-Einstellungen strenger. Wenn Twitter der Marktplatz ist, dann ist Facebook irgendwo zwischen Gated Community und Eckkneipe. Bei Facebook lässt sich einstellen, dass Menschen nur kommentieren können, wenn man sie als Freunde bestätigt. Eine sehr angenehme Form, die Kontrolle über die Pinnwand zu behalten. Wenn nun also ein Shitstorm ausbricht, dann können die wütenden Kommentatoren auf meiner Seite nichts hinterlassen. Was sie noch wütender macht. Also schreiben sie mir direkt Nachrichten. Auch hier ist Facebook sehr bedacht auf die Nutzerfreundlichkeit und filtert. Als ich das "Nachrichtenanfragen"-Postfach das erste Mal entdeckte, war ich erstaunt. Und ignorierte es erstmal. Auch als Beatrix von Storch mir letzten Sommer ihre wilde Bande mit einem äußerst irritierenden Posting auf den Hals hetzte, stapelten sich die Nachrichten in dem Nachrichtenfach. Immer mit dem gleichen Ton und der gleichen Erzählung: Ich sei eine Volksverräterin, dumm, scheiße, hässlich, sie würden mich kriegen, ich sei Dreck, Vieh, die Machtergreifung käme bald und so weiter. Was Rechte eben so erzählen. Normalerweise filtere ich das, ignoriere das, verdränge es, manchmal mache ich mich öffentlich drüber lustig. Normalerweise. Denn normal ist irgendwie nichts mehr.

Als ich mich zu Beginn des Jahres kritisch zum Polizeieinsatz am Hauptbahnhof Köln äußerte, war mein Postfach bei Facebook wieder voll mit Attacken. Ich scrollte desinteressiert drüber hinweg, wie immer also, als ich eine Nachricht entdeckte, in der mir einer schrieb, er wünsche mir alles Schlechte. Und plötzlich regte sich in mir etwas, was ich lange nicht mehr gefühlt hatte: das Bedürfnis nach Widerspruch, nach Kontaktaufnahme, nach Dialog. Also antwortete ich dem Schreiber.

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Ich antwortete ihm dieses und jenes, ich fragte ihn, ob er so erzogen wurde, Leute einfach zu beschimpfen, und ich schrieb ihm, dass ich ihm alles Gute wünsche, weil die Welt schlecht genug sei. Die Antwort kam prompt. Er warf mir Verlogenheit vor. Ich antwortete wieder und attackierte ihn, fragte ihn nach seinem Anstand und wiederholte immer wieder, dass er von mir niemals etwas anderes hören werde, als dass ich ihm alles Gute wünsche. Er verhöhnte mich, aber es machte mir nichts aus, denn ich merkte, dass es etwas in mir ausgelöst hatte: Wenn ich diesem Hass mit Klarheit, Bestimmtheit und Freundlichkeit begegnete, dann könnte das doch eine Chance sein, diesem wahnsinnigen Hass in Sozialen Medien konstruktiv und erfolgreich zu begegnen. Vielleicht kann man Hass lindern oder beseitigen, wenn man ihm freundlich begegnet. Vielleicht kann eine Diskussion zu mehr gegenseitigem Verständnis führen. Ich wollte es ausprobieren.

Also antworte ich weiter jenen, die mich beleidigten. Ich fragte sie nach ihrer Kinderstube, ging inhaltlich auf die Dinge ein, auf die ich inhaltlich eingehen konnte, ich wünschte ihnen Liebe und Freundschaft, und dass ihre Kinder nicht so erzogen werden, dass sie irgendwelchen Leuten im Internet hinterhersteigen, nur weil ihnen deren Meinung nicht passt. Ich wünschte ihnen andere Hobbys, als mich zu beschimpfen. Ich antwortete auf jede absurde These und Unterstellung. Kurz: Ich trat in den Dialog, ich überhäufte die Leute mit Herzlichkeit und Liebe und guten Wünschen und blieb hart in der Sache. Und ich nahm mir eins vor: Das letzte Wort habe ich.

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Ich schrieb also so lange, bis das Gegenüber freundlich wurde oder mich blockte. Die wenigsten gaben auf, die Uneinsichtigen blockierten mich, was ich erst erkannte, als meine Nachrichten nicht mehr durchkamen. Einige schrieben mir, ich solle sie in Ruhe lassen, dabei hatten sie ja angefangen, mir zu schreiben. Einige wurden immer aggressiver, aber ich blieb dabei. Und dann blockten sie mich. Einer ist letztens wieder unter einem Kommentar von mir aufgetaucht. Das Bedürfnis, Menschen abzuwerten und zu beleidigen, ist sehr ausgeprägt, wie ich gelernt habe, für manche ist es simpler Frustabbau. Vielleicht fühlen sich auch viele Menschen ertappt, wenn ich ihnen antworte. Bestätigt hat sich meine Annahme, dass es oftmals gar nicht um die Menschen geht, die beleidigt werden. Im Gegenteil. Sie sind Zielscheiben für virtuellen Hass und oft nur Projektionsflächen, an denen sich etwas entzündet. Geblockt hat mich bisher ungefähr die Hälfte. Die anderen suchten den Dialog.

Und so öffnete sich ein Teil der Menschen. Sie erzählten mir von ihren Kindern, die nicht weiß sind, und dass die rassistische Stimmung in Deutschland diesen Kindern all ihr Selbstwertgefühl raube.

Im Laufe des Gesprächs kam dann heraus, dass die Wut auf mich ein Ventil für diese Angst gewesen ist. Am Ende war es eine sehr nette Unterhaltung. Mir wurde auch von der Angst um die Zukunft erzählt, von Drogenerkrankungen, von Frust und dem ständigen Gefühl, abgehängt zu sein, verarscht zu werden. Viele waren einfach nur erstaunt, dass ich ihnen ernsthaft antwortete, dass ich ihre Nachricht aufnahm, dass sie gehört wurden. Sie dachten zuvor, dass diese wütenden Nachrichten, die sie mir schrieben, im Äther digitaler Kommunikation einfach vorbeirauschen würden. Dass ich sowieso zu arrogant sei zu antworten. Diese Nachrichten kamen von Menschen, die gelernt hatten, dass ihre Stimme nichts zählt, es egal ist, was sie fühlen, denken, wünschen.

Ich habe lange geglaubt, dass Dialog nicht möglich ist. Ich habe geglaubt, dass es eben viele autoritäre Charaktere gibt, die nur auf Autorität und nicht auf Argumente und Dialog reagieren. "Deplorables", wie es Hillary Clinton nannte, die Verdammenswerten; Sexisten, Rassisten und Homophobe. Und es mag für die eine oder andere Person zutreffen. Aber was ich beim Antworten auf jede noch so unterirdische Nachricht gelernt habe, ist, dass viele Menschen einfach nur eine Stimme haben wollen, angehört und ernst genommen werden wollen. Das sollte Aufgabe der Politik sein – die Sorgen ernst nehmen, ohne die Haltung zu verlieren. Keine menschenfeindliche Stichworte geben, sondern konstruktiv mit den Sorgen und Ängsten der Menschen arbeiten. Politik sollte die Menschen nicht aufheizen, sondern beruhigen. Sie sollte ihnen eine Stimme geben. Auf der anderen Seite habe ich auch gelernt, dass es viele Ressourcen frisst, in diesen Dialog zu treten, dass es eine emotionale Herausforderung ist, diesen verbalen Angriffen und Bedrohungen mit Klarheit und Herzlichkeit zu begegnen. Einige Männer versuchten, mich in den Gesprächen abzuwerten, nannten mich Göre oder Kind. Darauf freundlich zu antworten, fiel mir schwer. Am Ende fragte ich einen, ob das was Sexuelles sei, und dass er seine Fantasie doch bitte nicht an mir auslassen solle. Das war mein kommunikativer Tiefpunkt in diesem Experiment. Mit einem Schreiber schreibe ich immer noch, seit Tagen. Das letzte Wort zu haben, ist wirklich furchtbar anstrengend.

Vor einigen Jahren hätte ich nicht die innere Stärke und das Selbstwertgefühl gehabt, überhaupt auf die Menschen zuzugehen, und ich kann verstehen, wenn das viele Menschen nicht können und wollen. Ich für meinen Teil werde weiter jede noch so unverschämte Nachricht beantworten, wenn es die Zeit möglich macht. Denn: Was bleibt uns übrig? Und wenn nicht wir – die für gesellschaftlichen Fortschritt und Menschlichkeit einstehen – das letzte Wort haben, wer dann?

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