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Deshalb lachen die Deutschen immer noch so gerne über homophobe Witze

Johannes Kram hat ergründet, warum Comedians wie Jürgen von der Lippe, Oliver Pocher, Stefan Raab, Bully Herbig und Dieter Nuhr Gags über Schwule reißen.
Collage: VICE | Nuhr: imago | AP Press || von der Lippe: imago | Revier || Pocher: imago | Sven Simon

Die Deutschen lachen nicht gerne, so das Klischee. Offensichtlich aber lieben die Deutschen ihr Klischee. Es stimmt zwar nicht, dass sie nicht gerne lachen. Aber Deutschland lacht meist aus. Gerne Homosexuelle: "tuntige" Schwule oder "ungewaschene" Lesben. Johannes Kram betreibt den "Nollendorfblog". Darin behandelt er seit 2008 Homophobie in den Medien, im Alltag und im Humor.

In seinem Buch Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber hat er sich unter anderem mit dem deutschen Humor beschäftigt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, warum Comedians wie Raab, Nuhr, von der Lippe und Herbig nicht von Schwulenwitzen lassen können.

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VICE: Ist Homosexualität witzig?
Johannes Kram: Es gibt Sex, der witzig ist. Und natürlich viele Homosexuelle, die witzig sind. Aber Homosexualität ist eine Identität. Und eine Identität per se ist nicht witzig.

Gibt es den "billigen Schwulenwitz" unter den Berufskomikern noch?
Ja, und weil er so schön billig ist, wird er gerne etwas aufgehübscht. Dieter Nuhr etwa reißt die bekannten Homo-Zoten von Popo-Sex und der Seife unter der Dusche, die man nicht fallen lassen darf, und spielt das dann als schwuler Putin und sagt, er habe ja die Homophobie Putins kritisieren wollen.

Der Autor | Foto: Privat

Warum lacht es sich immer noch so gut über Homosexuelle?
Heteros versichern sich ihrer Norm, indem sie über das lachen, was von dieser Norm abweicht. Und Homosexuelle haben gelernt mitzulachen, auch wenn es ihnen vielleicht weh tut. Auch wenn man spürt, dass das, was da gerade ausgelacht wird, eine Karikatur dessen ist, was man nicht sein soll: die dumme Schwuchtel, die humorlose Kampflesbe. Deswegen gibt es da wenig Widerspruch. Jeder will ja locker sein.

Und es stimmt auch: Man soll, man darf, man muss auch über Homosexuelle Witze machen und klar dürfen Klischees strapaziert werden. Niemandem soll etwas verboten werden. Aber es sollte eben auch möglich sein zu sagen, was einen daran stört, ohne dass man als Spielverderber angegriffen wird oder einem vorgeworfen wird, überempfindlich zu sein. Man darf nicht vergessen: Schwule Sau ist das Schimpfwort an deutschen Schulen und homosexuelle Schüler bringen sich häufiger um als ihre heterosexuellen Altersgenossen. Wie sollen die queeren Kids den Mut haben, sich gegen Homophobie auf dem Schulhof zu wehren, wenn sie mitbekommen, dass Kritik an homophoben Witzen von Leuten wie Dieter Nuhr als absurd abgetan wird?

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Gibt es Komiker, die da besonders auffallen?
Die Raab-Pocher-Phase ist Gott sei Dank vorbei, Schwulenwitze waren ja eines von deren Markenzeichen, besonders Pocher fand sich immer sehr mutig dabei. Aber ich beschreibe in meinem Buch auch, wie er aus dem Feuilleton heraus dafür beklatscht wurde. Das war der Zeitgeist der Nuller Jahre: Während in Ländern rund um uns daran gearbeitet wurde, Ressentiments zu überwinden, erlebten diese auf der Humorbühne ihr Comeback, weil Deutschland nach der Kohl-Ära besonders locker wirken wollte. Und über sich selber zu lachen, hieß damals vor allem, über nette, aber dumme Schwule zu lachen. Die Bully-Filme, die darauf beruhten, waren die erfolgreichsten deutschen Kinohits. Während unsere Nachbarn die Ehe für alle einführten, machte Deutschland Entspannungsübungen auf Kosten von Homosexuellen, und erwartete dass diese da kein Problem mit haben. Dass die Ehe für alle ausgerechnet in Deutschland so spät kam, hat auch mit dieser komischen Haltung zu tun: Was wollt ihr eigentlich, ihr habt doch quasi alles, was ihr wollt, wir mögen euch doch, weil ihr so lustig seid, wo ist euer Problem?

Sind Jürgen von der Lippe und Dieter Nuhr homophob?
Das habe ich nie gesagt. Ich habe gesagt, dass sie homophobe Witze machen. Homophobie bedarf keiner Absicht. Dieter Nuhr ist deshalb ein so gutes Beispiel, weil so wie seine Erklärungsversuche auch ein Großteil des Medien- und Kulturbetriebs funktioniert, sich das aber auch im Alltag, im Berufsleben widerspiegelt. Wir haben doch viele homosexuelle Freunde und Kolleginnen, wir setzen uns für deren Rechte ein, also kann das, was wir sagen, doch gar nicht homophob sein. Dass selbst intelligente Menschen wie Nuhr so einen Blödsinn glauben, zeigt, wie massiv in Deutschland dieser Abwehrreflex ist, der immer wieder dann greift, wenn es eigentlich nötig wäre, über die hinter den Aussagen liegenden homophoben Strukturen und Denkmuster zu reden. Es ist leicht, Homophobie da zu erkennen, wo sie offensichtlich ist, etwa bei der AfD oder der katholischen Kirche und weiten Teilen der Union. Aber im Alltag werden wir konfrontiert mit Homophobie, die nicht wie Homophobie aussieht, von netten Leuten wie dir und mir. Nur ein Drittel aller homosexuellen Beschäftigten traut sich am Arbeitsplatz, offen mit der eigenen Identität umzugehen, so wie es für Heteros ganz selbstverständlich ist. Das hat doch einen Grund! Deswegen müssen wir dahin schauen, wo es unverdächtig ist. Wenn homophob immer nur die andern, die Arschlöcher, sind, kommen wir nicht weiter. Wir sind alle ein Teil des Problems.

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Ist Homophobie im Humor ein speziell deutsches Problem?
Nein, aber Deutschland war in der Verfolgung Homosexueller bis in die Bundesrepublik besonders hart, der Strafrechtsparagraph 175 wurde erst 1994 abgeschafft, in jeder Großfamilie gab es Betroffene. Darüber ist nie richtig geredet worden, auch aus Scham. Und diese Angst und Scham lassen sich in den Schwulenwitzen erkennen, die ja auf dem Humorniveau der 50er sind: Der Homo ist lächerlich oder gefährlich oder beides. Die Deutschen lachen gerne aus, lachen gerne nach unten. Homos sind dafür eine tolle Witzvorlage.

Du nennst dich homophob, obwohl du selbst schwul bist. Warum?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir alle nicht frei davon sind, wie wir auch alle nicht frei von Rassismus und Sexismus sind. Das gehört hier in Deutschland ganz einfach dazu. Auch ich dachte früher etwa, dass uns Homosexuellen die Ehe einfach nicht zusteht. Auch schäme mich manchmal noch, wenn ich peinliche Schwule in der Öffentlichkeit sehe, weil tief in mir verankert ist, dass wir nicht auffallen sollen, dass gleiche Rechte an bestimmte Erwartungen gebunden sind. Aber das ist natürlich Quatsch, Rechte muss man sich nicht verdienen, die stehen einem zu. Heteros schämen sich auch nicht für ihr Heterosein, wenn sie Leute wie Lothar Matthäus im Fernsehen sehen. Jemand ist nicht peinlich, weil er schwul, lesbisch oder sonst etwas ist.

Du sprichst von einer neuen Form der Homophobie. Was unterscheidet sie von der alten?
Im Prinzip ist die neue Homophobie die alte, weil sie auf der Abwertung von Homosexuellen basiert. Doch die Selbstwahrnehmung und die Argumente sind andere. Heute ist jeder davon überzeugt, dass er nicht homophob ist, wie ja auch jeder davon überzeugt ist, dass er nicht rassistisch ist. Und dann kommt das "Aber". Und das meint dann: Aber die Homosexuellen sollen es nicht so übertreiben. Doch Gleichheit kann man nicht übertreiben, es geht nicht um Sonderrechte, nicht darum, dass sich Homosexuelle nach vorne drängeln, eine Extrawurst bekommen. Sondern darum, dass es eben Diskriminierungen gibt, auf die hingewiesen werden muss, auch wenn es manchmal nervt. Früher waren Homosexuelle vor allem ein moralisches Problem, heute sind sie ein politisches: Man unterstellt ihnen, der Gesellschaft ihre eigene Lebensweise aufdrücken zu wollen, und sogar, dass sie die Zukunft des Landes dadurch gefährden, dass sie jetzt heiraten dürfen und deswegen weniger Kinder geboren werden.

Wie sollten wir mit Homophobie im Humor umgehen?
Meine Erfahrung gerade nach diesem Buch ist, dass viel mehr Menschen damit ein Problem haben, als man denkt, und das sollte Mut machen. Wichtig dabei: Es geht nicht um Beleidigtsein, sondern um Scham. Über Scham zu sprechen, fällt schwer, aber genau das sollte man tun: sagen, dass es einem schwer fällt. Dass man niemandem etwas verbieten will, aber auch gehört werden möchte. Bei homophoben Beleidigungen sollte man direkt widersprechen, und meine Erfahrung ist, dass das auch meist gut möglich ist. Man sollte nicht die Person angreifen, sondern was sie gesagt hat. Jeder darf Fehler machen. Aber man soll auch über Fehler reden dürfen.

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