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Ich habe versucht, mir 40 Stunden lang ‚Game of Thrones’ anzusehen

Ich war anfangs skeptisch gegenüber dem drachen- und blowjob-lastigen Epos. Am Ende schrie ich tränenüberströmt den Bildschirm an.

Achtung: Spoiler für die ersten vier Staffeln.

Letzten Winter, als es so richtig kalt und dunkel und ekelhaft war, ging ich meiner Lieblingsbeschäftigung für die dunkle Jahreszeit nach: Ich blieb im Haus und sah fern. Ich sah mir einfach alles an, was ein Mensch sich nur ansehen kann. Alles außer Game of Thrones.

Wenn ich das anderen Leuten mit einer Abneigung gegen „Fantasy" erklärte, antworteten sie immer dasselbe: „Aber das macht doch nur fünf Prozent davon aus!" Das würde tatsächlich ein bisschen besser erklären, warum Game of Thrones die erfolgreichste Sendung des Serien-Giganten HBO ist. Ich meine, es kann unmöglich sein, dass alle 18,4 Millionen Menschen, die regelmäßig Game of Thrones ansehen, die Art Person sind, die dicke Fantasy-Wälzer liest. Ob zutreffend oder nicht, ich stellte mir eben vor, dass es in der Serie nur um Zwerge geht, die Prinzessinnen bumsen, während gelegentlich mal ein Drache auftaucht, und so fühlte ich mich davon einfach nicht angesprochen.

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Doch inzwischen läuft die fünfte Staffel, und das bedeutet, dass wieder alle über Game of Thrones reden, und nach einer Phase des Gruppenzwangs, die schon an Mobbing grenzte, habe ich es als meine Bürgerpflicht als Fernseherin erkannt, bei dieser Serie aufzuholen, oder es zumindest zu versuchen. Irgendwie wurde daraus die Idee, dass ich jede einzelne Folge, also 41 Stunden, Game of Thrones ansehen und mich dabei filmen sollte. Wie David Blaine, als er 44 Tage in einem Glaskasten verbrachte. Nur mit mehr Drachen, und Snacks.

STAFFEL 1

Ich stelle fest, die Gerüchte über das unendliche viele Gevögel der Bewohner von Westeros sind wahr. Nach etwa einer Stunde der Serie habe ich jede erdenkliche Kombination von Figuren beim Doggy-Style-Sex gesehen. Ich habe echt Mitleid mit Daenerys, deren Bruder sich an ihr aufgeilt und die dann mit einem furchteinflößenden, muskulösen Typen verheiratet wird, auch wenn sie plötzlich etwas mit ihm anfangen kann, nachdem sie ein paar Sex-Tipps von einer Dienerin befolgt (die wahrscheinlich die Cosmo liest). Ich bin außerdem verwirrt, denn es gibt 500 Figuren und sie heißen alle „D'horen". Man muss sich ganz schön viel merken und ich befürchte, der Handlung nicht folgen zu können. Das verheißt nichts Gutes für mein Experiment.

VIDEO: Wir waren in Island bei den stärksten Männern der Welt und haben uns mit Hafþór Júlíus „Thor" Björnsson unterhalten, der in Game of Thrones Gregor Clegane spielt.

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Zwei Freundinnen kommen vorbei und ich bestelle mexikanisches Essen von dem Restaurant im Erdgeschoss, doch bei all dem Inzest und dem Ausgeweide auf dem Bildschirm kommt kein richtiger Appetit auf. Es hilft auch nicht gerade, Daenerys dabei zuzusehen, wie sie ein Pferdeherz isst. Dieses Experiment ist wohl nicht die beste Art, sich eine Serie anzusehen; man kann es nicht so recht genießen, man muss durchhalten und es über sich ergehen lassen. Ich mag Arya eigentlich—doch als ihr Vater geköpft wird und sie zu einer Straßenwaisen wird, regt sich in mir nichts. Bin ich kaputt?

STAFFEL 2

Ich hatte vorgehabt, zwischen den ersten beiden Staffeln eine kleine Pause einzulegen, doch ich unterbreche den Marathon dann doch nicht. Ich will meinen Schwung nicht verlieren. Außerdem sehe ich die Serie inzwischen lange genug, um mit einer „Pause" gar nichts mehr anfangen zu können. Alle, die schon mal einen Serienmarathon gemacht haben, wissen das: Nach ein paar Stunden davon verlierst du jegliche Hemmung. Wo ist schon der Unterschied, ob du 8 Folgen einer Serie ansiehst oder 15? So oder so wirst du lügen, wenn man dich fragt, was du am Wochenende gemacht hast. Als ich die zweite Staffel beginne, fühlt sich jede Folge an wie ein Schritt auf einer langen, langen Reise. Das kleine Hochgefühl, das ich daraus ziehe, stelle ich mir so ähnlich vor, wie das High, wenn ein World of Warcraft-Spieler ein Level dazugewinnt.

Allerdings wird mir schnell klar, dass Game of Thrones die furchtbarste Serie ist, die man sich auf diese Art reinziehen kann, denn es gibt so viel Tod und Elend. In jeder Szene wird entweder jemand von Schwertern aufgespießt oder aus egoistischen politischen Motiven von jemandem gefickt. Es ist echt stressig. Mein Magen meldet sich, und mir wird klar, dass es 1:30 Uhr nachts ist und meine letzte Mahlzeit stattfand, lange bevor Joffrey sich als der menschgewordene Teufel entpuppte. Ich rufe bei einem der wenigen Restaurants an, die noch an meine Adresse liefern, und bestelle ein dickes Sandwich mit Hühnchen, Speck und Käse. Ich nehme zwei Bissen und werfe es auf mein Bett, wo es die nächsten 12 Stunden verbringen wird.

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Ich werde extrem paranoid, dass ich alles nur halluziniere, und komme zu dem Schluss, dass mein geistiger Zustand sich verschlechtert. Ich schaue weiter.

Um 3 Uhr schreibt mir ein relativ neuer Kumpel, nennen wir ihn Tom, der die Straße runter wohnt: „Lässt du mich rein? Brauch 'ne Minute." Ich weiß nicht, wofür er die Minute braucht, aber es ist mir auch egal, ich will keine Gesellschaft in meinem winzigen Zimmer, das sich immer mehr so anfühlt, als müsste es eigentlich gepolsterte Wände haben.

Doch dann kommt er hoch und fängt auf meiner Couch an zu schluchzen und erzählt eine komplizierte Geschichte über einen kranken Freund, seine Verspätung beim nach Hause fahren und seinen Rausschmiss aus dem Elternhaus. Er fängt an, sich immer und immer wieder zu wiederholen, bis sich mir langsam der Gedanke aufdrängt, dass er irgendwas genommen hat. Game of Thrones wütet im Hintergrund die ganze Zeit weiter, doch er scheint nicht bemerkt zu haben—oder vielleicht stört es ihn auch einfach nicht—, dass ich noch kein einziges Mal die Augen vom Bildschirm genommen habe. Tom bietet mir ein bisschen Acid an, dass er in Alufolie gewickelt hatte. Ich ziehe es kurz in Erwägung, aber beschließe dann, dass es eine furchtbar schlechte Idee wäre, meine Psyche noch weiter in diese Fantasy-Welt zu schießen. Er schläft auf der Couch in meinem Wohnzimmer und tut am nächsten Tag so, als sei nichts gewesen.

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Ich schaue weiter.

Am Nachmittag, als normale Leute wieder wach und aktiv sind, kommen ein paar Freunde vorbei, um nach mir zu sehen, und ich kriege einen Eindruck des Drogendealer-Daseins, wie ich es mir vorstelle. Leute kommen vorbei, sitzen ein paar Minuten auf der Couch, gehen und kommen dann irgendwann wieder, nur um mich bei genau derselben Aktivität vorzufinden wie beim letzten Mal.

Als die Besuche aufhören, werde ich unfassbar einsam. „Wenn du das Spiel der Throne spielst, gewinnst du oder stirbst du", warnte Cersei, die ich inzwischen zu meiner Seelenführerin erklärt habe, in der siebten Folge der ersten Staffel. „Dazwischen gibt es nichts." Ich habe fast die Hälfte meines Marathons geschafft und fühle mich davon angesprochen. Ich spiele das wahre Spiel der Throne und ich werde gewinnen oder sterben.

Während all dem filme ich mich. Ich hatte mir vorgestellt, dass die Aufnahmen lustig sein würden (doch tatsächlich war das am Ende nur ein Teil, siehe unten). Irgendwann bemerke ich, dass ein rotes Licht an der Kamera blinkt, also schreibe ich einem Typen, der Ahnung von Kameras hat, eine SMS und frage ihn, was ich tun soll. Fast sofort antwortet er mit zwei Bildern von der Rückseite der Kamera und einer schrittweisen Anleitung, wie man die Speicherkarte wechselt. Ich sehe nichts als einen bedeutungslosen Textblock. Ich kann die Wörter nicht verstehen, selbst wenn ich versuche, sie laut zu lesen und jeden Satz einzeln zu nehmen. Er schickt mir ein Video per E-Mail. Die Stimme des Sprechers ist monoton und niemand wird enthauptet, weswegen ich vermutlich nicht schaffe, bei der Sache zu bleiben. Ich sehe es mir zwei Mal an, bevor ich aufgebe.

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Ich bastle schon seit einer Stunde an der Kamera herum, und als ich gerade versuche, einen festgeschraubten Teil der Kamera mit bloßen Händen zu entfernen, kommt es mir so vor, als würde mich jemand auslachen. Doch es ist niemand da. Ich nehme das nur leicht angebissene Sandwich und werfe es mit Nachdruck in den Müll, um mich wenigstens ein bisschen so zu fühlen, als hätte ich etwas im Griff.

Schließlich rufe ich eine weitere Person an, die sich mit Kameras auskennt. Sie erklärt, dass ich den Knopf drücken muss, auf dem „Push" steht, um die Karte auszuwerfen. Ich schalte wieder Game of Thrones ein und Hunderte Männer verbrennen bei lebendigem Leib in ihren Schiffen.

Es gibt wirklich nichts, das mich noch schockieren könnte. Ein Leben ist in Westeros wenig wert, und ein Blowjob noch weniger.

STAFFEL 3

Ich habe keine Strichliste geführt, aber ich schätze, dass ich gesehen habe, wie Peter Dinklage 47 Blowjobs kriegt. Ich bin komplett dagegen abgestumpft. Es gibt wirklich nichts, das mich noch schockieren könnte. Ein Leben ist in Westeros wenig wert, und ein Blowjob noch weniger. Der lange, dunkle Winter, den Maester Aemon prophezeite, ist hier. Mein Leben ist dieser lange Winter.

Nach 24 Stunden Game of Thrones bin ich nur noch ein Schatten meiner Selbst. Doch als sich die königliche Hochzeit anbahnt, ahne ich einen bevorstehenden Höhepunkt und aktiviere noch einmal meine Energiereserven. Meine Vorahnung bestätigt sich, denn eine Szene, von der ich inzwischen weiß, dass sie „die Rote Hochzeit" genannt wird, ist das vielleicht Intensivste, das ich jemals in einer TV-Serie gesehen habe. Als ich Kids zum ersten Mal sah, verbrachte ich die letzten fünf Minuten des Films stehend und schrie den Bildschirm an. Hier habe ich ungefähr dieselbe Reaktion. Auch wenn ich bisher mit allen Toden klarkam, sogar mit Ned Starks, fühle ich nun, wie Tränen über mein Gesicht laufen. Ich starre regungslos auf den Nachspann und komme erst wieder zu mir, als das Leuchten des HBO-Logos mich zurück in die Realität zwingt. Das sah so aus:

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STAFFEL 4

Der Gefühlsausbruch hat mich viel Kraft gekostet. Zum ersten Mal glaube ich, dass ich einschlafen könnte, wenn ich es wollte. Ich überlege ernsthaft, einen Hut und eine Sonnenbrille aufzusetzen, um die Kamera reinzulegen. Ich komme zu dem Schluss, dies sei eine „gute Idee", denn „niemand wird etwas merken". Ich funkle die Kamera wütend aus dem Augenwinkel an. Jetzt ist sie mein Feind.

Die Rote Hochzeit ist tatsächlich auch der letzte Handlungspunkt, an den ich mich erinnere. Ich fange die vierte Staffel an, doch ich bin schon dermaßen weggetreten, dass ich genau so gut eine leere Wand anstarren könnte. Game of Thrones spült über mich hinweg wie eine Welle aus Blut, doch ich bin distanziert, habe glasige Augen und schlafe komplett unabsichtlich ein.

Ich wache 11 Stunden später mit Schuhen auf der Couch auf und sehe als Erstes das blinkende Licht an der Kamera, das mir mitteilt, dass sie mich nicht länger filmt. Als Zweites bemerke ich, dass draußen wunderschönes Wetter ist.

Als ich die Treppe herunterwatschle, um den ersten Frühlingstag zu erleben, fühle ich mich weniger wie eine erwachsene Person als zwei Kleinkinder in einem Trenchcoat. Meine untere Hälfte will nicht mit der oberen zusammenarbeiten. Aber das macht nichts. Der Winter ist vorüber. Und es war ein echt langer Winter.