schwesta_Ewa_freier
Sex

Ich habe einem Freier aus Schwesta Ewas Autobiografie vorgelesen

"Für viele Kunden ist die Prostituierte ein Stück Fleisch mit Loch: benutzen und wegwerfen", sagt Oswald.

Schwesta Ewa und Oswald haben wenig gemeinsam. Ewa ist 35 Jahre alt, Oswald 62, sie erreicht mit ihren Alben die Charts, er liefert in Karlsruhe Pizza aus. Ewa sitzt bald eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren ab, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger. Oswald war noch nie in Haft.

Was sie und ihn verbindet, ist das Rotlicht. "Mit dem Geld, das ich in meinem Leben für Prostituierte ausgegeben habe, könnte ich ein Haus bauen", sagt Oswald. Seit 40 Jahren kauft er Sex – Schwesta Ewa bot ihn ihr halbes Leben lang an.

Anzeige

Vergangene Woche hat die Rapperin ihre Autobiografie Enthüllungen: Das Leben fickt am härtesten veröffentlicht. Und Ewa fickt es so richtig. Ihren Vater, einen polnischen Schwerverbrecher, lernte sie nicht kennen. Ihre Mitschüler, schreibt Ewa, nennen sie eine "asoziale Polackin". Als Grundschülerin vergewaltigt sie ein Typ, der im Supermarkt die Einkaufswagen zusammenschiebt. Bei ihrer ersten Probeschicht als Prostituierte ist sie keine 18 Jahre alt.

Ewas Autobiografie ist ein Trauerspiel auf 200 Seiten und damit ist noch nichts über die Qualität des Buchs gesagt. Hinter jeder Ecke lauert der nächste Freier auf Ewa. Ein Trucker, der sie in seinem LKW vom Straßenstrich entführt. Oder ein Stammkunde namens Willy. Aus Eifersucht streckt er Ewa mit einem Teleskop-Schlagstock auf einem Rewe-Parkplatz nieder.

Als Leser stelle ich mir immer wieder die Frage: Was denken Freier über die Anekdoten aus Schwesta Ewas Prostituiertenleben? Lösen sie bei Kunden wie Oswald Mitleid aus, oder lässt ihn der Mensch hinter der Dienstleistung kalt? Was treibt ihn in ein Milieu, das laut Schwesta Ewa Drogen und Gewalt bestimmen? Also habe ich Oswald aus Schwesta Ewas Autobiografie vorgelesen.

VICE: Oswald, du besuchst seit den 70er Jahren Bordelle. Wann warst Du denn das erste Mal im Puff?
Oswald: Da war ich Anfang 20. Das erste Mal war nach einem Fußballspiel. Bei einer Kneipentour stand ich irgendwann in der Bordellstraße. Wo ich schon mal da war, bin ich hineingegangen. Es war unterirdisch, aber der Virus hatte mich erwischt. Damals sprach man noch nicht darüber, es war Mitte der 70er Jahre. Ich ging heimlich hin, guckte mich immer um, ob man mich beobachtet oder sehen kann. Ich wurde zwar abgezockt, aber die Sucht war trotzdem da.

Anzeige

Schwesta Ewa findet die Vorstellung, mit wildfremden Männern zu schlafen, ekelhaft. Aber das Geld reizt sie mehr. Kannst du als Freier die Motive der Frau ausblenden?
Ich denke schon darüber nach, aber Prostituierten persönliche Fragen zu stellen, ist ein No-Go. Viele Frauen trennen Beruf und Privates sehr klar. Sie brechen direkt ein Date ab, wenn man persönliche Fragen stellt. Ich kann das verstehen. Als Pizzafahrer fragt man mich ja auch nicht, warum ich Pizzas ausfahre.

Na, dann fangen wir mal an.

Erste Szene: "Königinnen der Kneipe"

Schwesta Ewa wächst in Armut auf, ihre Mutter geht putzen, als Kind sammelt sie Pfandflaschen. Mit 17 beginnt Ewa, in einer Kieler Kneipe zu arbeiten, einer Anlaufstelle für das Rotlichtmilieu:

"Die Nutten beeindruckten mich am allermeisten. Sie kamen mit Pelzen und Markenklamotten, sie parkten Ferraris vor der Tür und trugen Rolex-Uhren am Handgelenk. Sie schmissen mit dem Geld nur so um sich. Und dazu waren sie alle witzig und schlagfertig. Sie waren die Königinnen der Kneipe. Und das wussten sie auch. Sie vermittelten jedem das Gefühl, dass ihnen die Welt gehörte. Ich fand das wahnsinnig cool. "

Schwesta Ewa bewunderte die Prostituierten, nennt sie "Königinnen der Kneipe". Was hat dich an Prostituierten interessiert?
Mich hat weniger die Optik, sondern das Unkomplizierte gereizt. Deshalb habe ich schon als junger Mann hauptsächlich mit Prostituierten geschlafen. Später lebte ich mit einer Frau in einer WG zusammen, die aktive Prostituierte war. Sie war groß und blond, genau mein Typ. Ich war ihr Kunde und kam ständig zu ihr. Sie war erst skeptisch, dann vertraute sie mir. Durch sie bin ich tiefer ins Milieu eingestiegen.

Anzeige

Zweite Szene: Ewas erster Freier – "Ein richtiger Fettberg"

Lange dauert es nicht, bis Ewa ihren Plan, Prostituierte zu werden, in die Tat umsetzt. In einem "Fünf-Sterne-Puff" auf der Hamburger Reeperbahn arbeitet sie Probe.

"Dann öffnete ich die Tür, hinter der mein erster Kunde auf mich warten sollte. Das Zimmer war ziemlich klein (…) und auf dem frisch bezogenen Bett lag ein nackter, übergewichtiger Chinese. Das war Fat-Shui. Er war nicht nur dick. Er war unfassbar fett. Ein richtiger Fettberg. Und auf diesem gelben Fettberg waren überall schwarze Haare. Es war absolut widerlich. (…) Da war nur Fett und Haar und ich fand seinen gottverdammten Schwanz nicht."

Fat-Shui scheint sich wenig Mühe zu geben, Schwesta Ewa zu gefallen. Ist es dir wichtig, dass Prostituierte dich sexy finden?
Gut, ich bin nicht gerade der Schlankste. Die Frauen werden mich nicht unbedingt sexy finden. Aber es ist schön, wenn sie mich sympathisch finden. Deswegen versuche ich, meinen Escorts einen schönen Abend zu machen. Ich bringe ihnen Blumen mit, lade sie zu Musicals ein und gehe mit ihnen essen. Das kommt sehr gut an. Einige Frauen treffen sich noch mit mir, nachdem sie ihren Job aufgegeben haben.

Aber manche finden es doch trotzdem ekelhaft?
Ja, natürlich gibt es das auch. Ich merke es, wenn die Frau beim Sex sich sehr mechanisch bewegt, sie gequält wirkt und keine Freude hat. Dann breche ich sofort ab. Deswegen gehe ich auch nicht auf den Straßenstrich. Mein Eindruck ist, dass 98 Prozent der Frauen da nicht freiwillig arbeiten. Das sieht man schon an den Gorillas, die als Aufpasser am Straßenrand sitzen und sie kontrollieren.

Anzeige

Schwesta Ewa ist beim Sex mit Fat-Shui gerade 17. Wurden Dir als Freier minderjährige Prostituierte angeboten?
Mir persönlich nicht. Ich habe davon auch nur aus den Medien gehört.

Dritte Szene: Schläge, Tritte, Messerstiche

Über die Jahre im Milieu lernt Ewa unterschiedliche Facetten des Rotlichts kennen. Die Laufhäuser, in denen es separate Waschräume und einen Alarmknopf gibt, um bei Übergriffen der Männer die Securitys zu verständigen. Den Straßenstrich, wo die Arbeit am schnellsten und unkompliziert Kohle bringt. Aber ob Puff, Straße oder FKK-Club – eine Sache ist laut Ewa überall gleich:

"Es gibt nirgendwo Schutz. Ich hab als Nutte so oft auf die Fresse bekommen, dass ich es gar nicht mehr zählen kann. Und zwar überall. Ich war im Puff und habe einen Russen gefickt. (…) Irgendwann ist er trotzdem durchgedreht. Einfach so. Er zog ein Messer und rammte es mir ins Bein. Mitten beim Sex. Ein anderer hat mir ein Messer in meinen Arsch gesteckt und hochgezogen. Ich habe noch heute eine Narbe davon. Jeder Freier war ein potenzieller Irrer."

In Schwesta Ewas Buch knallt es gefühlt auf jeder zweiten Seite. Hattest du schon gewalttätige Auseinandersetzungen mit Prostituierten?
Noch nie. Ich war allerdings mal im FKK-Club, als ein Zuhälter eine Dame vor versammelter Belegschaft verprügelt hat. So richtig verdroschen mit den Fäusten. Irgendwann hat ihn dann das Personal von ihr weggezogen. Ich habe den Laden danach nicht mehr betreten.

Anzeige

Zunächst arbeitet Schwesta Ewa im Laufhaus, später auch auf dem Straßenstrich. Wo sind da für dich als Freier die Unterschiede?
Ich sag immer: Unter einer Stunde ziehe ich die Hose nicht aus. Ich hasse schnellen Sex. Ich bin kein abspritzorientierter Typ. Ich bin eher ein Genießer. Deshalb mache ich hauptsächlich Escort-Dates und gehe selten in den Puff.

Warum schlagen Freier überhaupt Prostituierte?
Viele Freier glauben, sie kaufen eine Frau und nicht die Dienstleistung. Und oft drehen sie durch, wenn ihnen etwas nicht passt. Es gibt 'ne Menge Idioten. Überfälle, Prügel, Schläge – das kommt alles vor.

Vierte Szene: Vierzehn Nasen Kokain an Ostern

Gefährlich machen Ewas Leben nicht nur die Schläge von Freiern, sondern auch ihre Drogenabstürze. Zwischenzeitlich ist sie cracksüchtig, ihre Zähne verfaulen, sie steht mit Kot am Bein auf dem Straßenstrich. Am Ende wiegt sie 45 Kilo. An Ostern zieht Ewa mit einem ihrer liebsten "Drogenfreier" vierzehn Lines "feinstes Kokain". Dann schläft sie ein.

"Ich hatte irgendwelche wirren Träume und als ich aufwachte, sah ich Martin, wie er in meinem Badezimmer stand und sich den Mund ausspülte. Er war extrem blass und sah aus, als hätte er geheult oder so. "Was ist los?", fragte ich verschlafen. (…) Ich suchte nach meinem Handy und … verdammt. Es war Dienstag?"

"Alter, wie lange habe ich geschlafen?" "Schon einige Zeit. Ein paar Stunden … aber Ewa … du hast nicht geschlafen …" "Doch, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich geschlafen habe." Was hatte er bloß? Ist er etwa verrückt geworden? "Ewa … Mann. Du … ich weiß gar nicht, wie ich dir das jetzt sagen soll …" Er setzte sich neben mich aufs Bett und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. "Jetzt hau schon raus." "Du … Du warst tot. Ich meine. Du bist gestorben vorhin."

Anzeige

Ewa entgeht dem Drogentod mehr als einmal knapp. Aus deinen 40 Jahren Erfahrung im Milieu: Warum nehmen so viele Prostituierte Drogen?
Für viele Freier ist die Prostituierte ein Stück Fleisch mit Loch. Benutzen und wegwerfen. Die Anerkennung fehlt einfach für eine ziemlich harte Dienstleistung. Dieses herabwürdigende Verhalten der Freier wirkt sich auf die Psyche aus. Eine Freundin von mir hat aber auch erst mit der Prostitution angefangen, um ihre Drogensucht zu finanzieren.

Hast du mit vielen drogenabhängigen Prostituierten Sex?
Wenn eine Frau vor mir Drogen nimmt, fliegt sie raus. Das war aber auch erst einmal der Fall. Sie zerteilte das Kokain in meiner Gegenwart. Ich wollte noch sehen, wie weit sie geht, als sie das Pulver konsumiert hat, flog sie raus. Es waren noch zwei Stunden bezahlt, das war mir aber egal.

Ich hatte aber Sex mit einer Dame, die hat alles genommen, was ging. Auch Heroin. Die hat jetzt nicht vor mir Drogen konsumiert, aber sie hat mir davon erzählt. Mit der Zeit hat sie sich mir anvertraut. Auch wegen meiner eigenen Suchtgeschichte.

Ich war jahrelang abhängig von Benzodiazepinen, also Beruhigungsmitteln. Hatte Schlafstörungen und habe immer mehr, mehr, mehr genommen. Mit meinen Erfahrungen habe ich die Dame dazu gebracht, einen Entzug zu machen.


Auch bei VICE: Im ersten Sexpuppen-Bordell Europas


Fünfte Szene: "Auf Falle Ficken"

Nicht in jedem Kapitel ist Schwesta Ewa diejenige, die vom Schicksal gefickt wird. Die Rapperin inszeniert sich nicht nur als tragische Heldin in einem schmutzigen Business. Ewa erzählt auch, wie sie aus Frust einen Freier mit einem Dildo quält und Kunden die große Liebe vorspielt, um sie dann bis auf den letzten Cent abzuzocken. So ergeht es auch Jonas. Der Freier gibt vor Ewa und ihrer Kollegin mit seinen Immobilien an.

"Ich würde dann mal das Koks holen. Hast du noch Geld?" Jonas zog seine Geldbörse aus der Tasche und hatte schon vergessen, dass ich ihm einen Lilanen gezockt hatte. "Scheiße, kein Bargeld."

Anzeige

"Egal, gib Karte. Ich hole was von der Bank ab."

"Das würdest du machen?", fragte er happy.

Oswald: Oh neee!

Ich lese weiter:

"Klar, und du lässt dir von Nina derweil einen lutschen."

Nina schaute mich mit scharfem Blick an, Jonas gab mir eine EC-Karte und verriet mir seine PIN-Nummer. Gott, dachte ich mir. Wie kann ein einzelner Mann nur so blöd sein? Ich ging zu seiner Bank und hob mit der Geheimzahl fünftausend Euro ab. Ich schaute mir die Karte an. Es war die Bankkarte seiner Frau. Was für ein Bastard."

Bist du auch schon mal so richtig abgezockt worden?
Nein. Ich habe aber Freunde, die Haus und Hof verloren haben, weil ihnen Prostituierte ihr Geld abgenommen haben. Meistens sind das verheiratete Männer, und die Beweislage ist sehr dünn. Eine Anzeige bringt dir dann nur Probleme. Das ist dann Lehrgeld.

Wer in Hamburg unterwegs ist, sollte nicht auf die Herbertstraße gehen. Ich bin vor Kurzem mit einem Kumpel da gewesen und voll reingefallen. Da war eine Frau am Fenster, genau mein Typ, blond, groß, Brille. Da kam alles zusammen. "Gut, probiere ich es einfach mal", habe ich mir gedacht.

Sie wollte 50 Euro. Bin ich mit ihr aufs Zimmer. Dann hieß es: "50 Euro damit ich mich ausziehe." So wär das immer weitergegangen. Ich habe mich dann angezogen und bin raus. Meinem Kumpel ist gleichzeitig genau dasselbe passiert.

Wie schützt du dich davor, von Prostituierten abgezockt zu werden?
Ich gehe immer ohne Karte los, wenn ich in Hamburg auf der Reeperbahn unterwegs bin. Teilweise heißt es in Clubs, gib uns nur deine Karte und den PIN, wir buchen sechzig Euro ab, und wenn du aus dem Zimmer der Dame kommst, ist das Konto leer.

Anzeige

Schwesta Ewa beschreibt, wie eine Arbeitskollegin die Methode des "auf Falle Ficken" erklärt: "Der Freier denkt, er steckt ihn rein, aber in Wahrheit simuliere ich meine Muschi nur mit meiner Hand." Funktioniert das tatsächlich?
Das gibt es schon seit 40 Jahren. Früher war das noch viel verbreiteter. Das ist mir in meinen Anfangszeiten wahrscheinlich auch selber oft passiert. Es ist dunkel oder du bist angetrunken. Die Frauen machen das sehr professionell, drücken die Hände eng zusammen und schmieren sie mit Creme ein. Das merkst du nicht.

Das von Schwesta Ewa beschriebene Leben und deine Erfahrungen im Milieu weichen an vielen Stellen voneinander ab. Eine Parallele gibt es: Ewa beginnt eine Beziehung mit einem Kunden – du hast dich in eine Prostituierte verliebt. Klingt wie das größte Puff-Klischee.
Wenn die Chemie stimmt, passiert es halt. Eine Clubdame hat auch mal gemerkt, dass ich mich verliebt habe. Die hat sofort abgebrochen. Nach drei oder vier Treffen. Sie hat mir das gesagt, weil sie mich nicht abzocken wollte. Da bin ich ihr im Nachhinein sehr dankbar.

Welchen Eindruck hast du von Schwesta Ewa, nachdem ich dir aus ihrem Leben vorgelesen habe?
Zu HipHop habe ich überhaupt keinen Bezug. Als Mensch ist Schwesta Ewa mir jetzt sehr sympathisch. Das hätte ich gar nicht gedacht. Die Konsequenz, mit der sie sich über die Jahre im Milieu durchgesetzt hat, beeindruckt mich.

Update, 27.08.2019, 12.10 Uhr: In der ersten Version dieses Textes hieß es: "Das erste sexuelle Erlebnis hat sie als Grundschülerin, als ein Typ, der im Supermarkt die Einkaufswagen zusammenschiebt, sie vergewaltigt." Wir haben diese Formulierung geändert. Die Bezeichnung einer Vergewaltigung als "sexuelles Erlebnis" ist missverständlich und kann den Eindruck erwecken, dass sich Schwesta Ewa selbstbestimmt mit ihrer Sexualität auseinandergesetzt hätte. Dabei ist sie Opfer eines Verbrechens geworden.

Folge Paul bei Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.