Menschen

Ich stehe in Italien unter Coronavirus-Quarantäne

Ich darf nicht zur Arbeit oder die Gegend verlassen. Aber viel schlimmer sind die Gerüchte.
Niccolò Carradori
aufgeschrieben von Niccolò Carradori
Florence, IT
Der Autor in Codogno
Roberto Cighetti in Codogno | Foto: bereitgestellt von Roberto Cighetti

Es ist Sonntag. Wir haben gerade unsere Vorräte kontrolliert. Für die nächsten Tage sollte es reichen, aber die Supermärkte, in denen meine Familie und ich normalerweise einkaufen, sind geschlossen. Vor anderen Geschäften bilden sich lange Schlangen. Kunden dürfen die Läden nur nacheinander betreten. So ist das wohl, wenn die eigene Stadt abgeriegelt ist.

Ich lebe in Codogno in der norditalienischen Lombardei. Die Stadt mit gut 15.000 Einwohnern war die erste, die einen Corona-Fall im Norden Italiens meldete – und sie ist einer der elf Orte, die seit Samstag von der Außenwelt abgeriegelt sind. Ich gehöre zu den Anwohnern, die die sogenannte rote Zone nicht verlassen dürfen – das Virus-Epizentrum, wenn du so willst. Irgendjemand meinte gestern Abend im Fernsehen, dass der Bereich überwacht sei. Eine Straßensperre sorgt auf jeden Fall dafür, dass niemand rein- oder rauskommt. Am Bahnhof halten keine Züge mehr.

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Ich persönlich habe versucht, meine Fähigkeiten und mein Wissen zur Verfügung zu stellen. Ich bin 33 Jahre alt und unterrichte Naturwissenschaften, Hygiene und Anatomie an der Cesaris-Hochschule in Casalpusterlengo, rund 50 Kilometer südlich von Mailand. Auch Casalpusterlengo ist Teil der roten Zone. Ich habe mich gerade morgens für die Arbeit fertig gemacht, als ich am Freitag von dem Fall in Codogno hörte.

Es war beunruhigend, Bilder von unserem örtlichen Krankenhaus in großen italienischen Tageszeitungen zu sehen. Plötzlich war das Coronavirus von etwas sehr Abstraktem zu etwas sehr Konkretem geworden. Die Schüler in der Schule waren schockiert. Einige Kolleginnen und Kollegen mussten ihre Kurse absagen, weil alle so unter Spannung standen. Meine Eltern wollten, dass ich den Notruf anrufe und mich testen lasse. Ich sei doch ständig unter Menschen, meinten sie. Ich versuchte, sie zu beruhigen und das Ganze etwas in Perspektive zu rücken.


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Der plötzliche Corona-Ausbruch am Freitag, der bislang nicht mit China-Reisen in Verbindung zu stehen scheint, hat in Italien bereits elf Todesopfer gefordert. Nach China und Japan sind wir weltweit am drittstärksten von dem Virus betroffen. Die italienische Regierung hat entschieden darauf reagiert, manche würden sogar sagen drastisch: In den betroffenen Gebieten, die in den sieben reichsten Regionen des Landes liegen, sind Schulen, Museen, bestimmte Geschäfte und Unternehmen geschlossen. In der roten Zone sind jegliche öffentliche oder private Zusammenkünfte bis auf Weiteres abgesagt. Der öffentliche Nahverkehr ist eingestellt. Unsere Häuser dürfen wir allerdings weiterhin verlassen – auch wenn Gerüchte etwas Anderes behaupten. Es wurde uns jedoch geraten, uns nicht lange in der Öffentlichkeit aufzuhalten.

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Den Bewohnerinnen und Bewohnern von Codogno würde etwas Ruhe auch nicht schaden. Alle haben sich panisch Atemmasken gekauft, dabei empfiehlt die WHO diese nur, wenn man selber hustet, niest oder eine Person pflegt, die das Virus haben könnte. Die Nachfrage nach Virustests ist ebenfalls durch die Decke gegangen, und der Bürgermeister hat die Leute angemahnt, nicht in verbotenen Gebieten einkaufen zu gehen. Die Supermärkte in der Region würden regelmäßig beliefert und öffnen.

Die Straßen sind, wie zu erwarten, fast wie ausgestorben. Nicht, dass Codogno jemals eine geschäftige Metropole gewesen wäre. Wie in den meisten kleineren bis mittelgroßen Städten Italiens ist der Altersdurchschnitt hier relativ hoch. Deswegen ist es auch ein bisschen witzig, dass Medien berichten, das Nachtleben in Codogno sei zum Erliegen gekommen. Als ob es je eins gegeben hätte. Nur kurz vor Einsetzen der Abriegelung war hier was los. Das kamen viele Journalistinnen und Journalisten und haben die Menschen auf der Straße befragt.

Online verbreitet sich die Angst vor dem Virus wie … ein Virus. Ich kann meiner Mutter erzählen, was ich will, trotzdem lässt sie sich nicht davon abhalten, in komischen Facebook-Gruppen abzuhängen, wo Falschmeldungen und Panikmache kursieren. Auf WhatsApp zirkulieren anonyme Sprachnachrichten mit falschen Informationen über das Virus, Infizierte und die angeblichen Lügen, die von Behörden verbreitet werden.

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Abgesehen von der Panik und dem ungewohnten Medieninteresse ging es in meiner Quarantäne bislang vor allem darum, meine Zeit vollzukriegen. Ich habe zwei Tage zu Hause verbracht und Anrufe getätigt, um Termine abzusagen und den vielen Nachrichten von Freundinnen und Freunden zu antworten, die wissen wollen, was zur Hölle hier los ist. Meine Familie macht alles, um sich zu beschäftigen, und wenn wir aus dem Haus müssen, tun wir das ohne große Angst und mit den nötigen Vorkehrungen.

Die Stimmung scheint sich auch langsam wieder zu entspannen. Selbst eine Person aus meinem Umfeld, die sich in totaler Quarantäne befindet, weil ein Familienmitglied erkrankt ist, klang am Telefon schon viel ruhiger. Sie sagte, die Behörden hätten immer noch nicht die Tests bei allen engen Verwandten durchgeführt, weil momentan alle Kräfte für die wirklich riskanten Fälle gebraucht würden.

Als Wissenschaftler würde ich gerne ein paar Ratschläge an Personen geben, die sich vielleicht gerade in einer ähnlichen Situation befinden. Ich weiß, dass die Isolation die Angst erhöhen kann. Du spürst die Gefahr viel akuter und riskierst dadurch, sie zu überschätzen. Also erstens: keine Panik. Bevor du dir das schlimmstmögliche Szenario ausmalst, besorg dir Informationen über das Virus und das, was gerade los ist. Halte dich sorgfältig an die öffentlichen Anweisungen, aber gehe nicht darüber hinaus. Und zu guter Letzt: Halte dich von komischen Facebook-Gruppen und WhatsApp-Chats fern, in denen Menschen Meinungen und Halbwahrheiten austauschen. Die verbreiten sich schneller als das Virus selbst.

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