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Gefängnis

Turnmatten gehören zum Essen im Gefängnis einfach dazu

Irgendwie bin ich auf der harten Bank einer Gefängniszelle gelandet, wo ich eine Gratislektion in „Pimp your Käse-Majo-Sandwich mit Yogamoves" erhalten habe.
Foto: Wiki Commons

„Du musst dich rauflegen", sagte sie, während sie Methadon aus dem Ärmel ihres lila Hoodies saugte. Dann legte sie ein paar Sandwiches zwischen die Turnmatten. Irgendwie bin ich auf der Bank einer Gefängniszelle gelandet und sollte jetzt lernen, wie man ein angefrorenes Käse-Majo-Sandwich aufpeppen kann. Ich hatte mich für ein Sandwich mit Marmelade und Erdnussbutter entschieden. Was für ein dämlicher Anfängerfehler! Ich weiß echt nicht, warum ich das gemacht habe—ich mag Erdnussbutter nicht mal—und dann war es am Ende gar nicht Erdnussbutter und Marmelade, sondern Erdnussbutter und Honig. Auf jeden Fall war da eine klebrige, braune Substanz auf einem gefrorenen Brot, das vage an Weizen erinnerte, aber eigentlich niemanden ernsthaft davon überzeugen konnte, dass es sich wirklich um Weizen handelte. War dieser Scheiß überhaupt glutenfrei?

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Ich war mittlerweile schon seit 20 Stunden hier und wollte mir grad das gefrorene Sandwich irgendwie runterwürgen, als sie die Zelle betrat. Ihre Haare waren fettig, ihr Nacken übersät mit Knutschflecken und sie trug ein lilafarbenes, bauchfreies T-Shirt, das fünf Nummern zu klein war, sowie Turnschuhe, denen leider die Schnürsenkel fehlten. Bauarbeiter(innen)-Dekolletee und hängender Bauch rahmten die viel zu engen Bling-Bling-Jeans von True Religion stilvoll ein. Wie eine Wahnsinnige kam sie reingestürmt. Erst nachdem sie vier Sandwiches vom Gefängniswärter bekommen hatte, betrat sie die Zelle. Nach einer langen Umarmung setzte sie sich neben mich. Ich bekam sofort den Eindruck, dass sie hier wohl Stammgast war. Sie schmiss die Sandwiches zu Boden und rannte aufs Klo. Die Toilette hatte keine Tür, sondern nur einen Holzbalken davor, der wenigstens ein Mindestmaß an Privatsphäre sicherstellen sollte. Während wir da also saßen, konnten wir ihr dabei zuhören, wie sie auf dem Klo große Töne spuckte und sich darüber beschwerte, dass ihre Zigarette in die Kacke gefallen ist. Spätestens jetzt war an Essen nicht mehr zu denken.

Als sie zu uns zurückkam, hatte ich die Ehre, nach einem „SORRY LADYS" in die Runde die erste Person zu sein, die sie ansprach. Sie wollte von mir wissen, wofür ich hier gelandet bin und vor allem warum zum Teufel ich nichts essen würde. Ich erwiderte, dass mir gefrorenes Essen einfach nicht schmeckt—ich wollte nicht zugeben, dass es eigentlich mit ihrer akustischen Kloeinlage zu tun hatte. Mission: Anschluss finden. Derweil sah ich, dass ihr lilafarbener Kapuzenpulli komische, weiße Krümel am Ärmel hatte. Den machte sie dann im Waschbecken nass und begann, ihn über einem Becher auszuwringen, um gleich danach auf dem nassen Stoff rumzusaugen. Zwischendurch hielt sie netterweise ein paar Mal inne, um mir zu erklären, was hier gerade abging. Sie machte sich grad einen Becher mit Methadonsaft, ein mysteriöses Gemisch, über dessen Ingredienzen ich mir noch immer nicht im Klaren bin.

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Sie bot mir einen Schluck von dem Saft an. Ich lehnte dankend ab, obwohl komische Substanzen aus einem schmutzigen Styroporbecher, die dich ein bisschen gaga machen, nach einem ganzen Tag hier drinnen durchaus an Attraktivität gewannen. Sie schrie zum Wärter, dass er nach mehr Majo fragen soll. Zu jedem deiner Käsesandwiches kriegst du hier noch zwei Majonnaisepackungen on top. Irgendwie schien das hier echt jeder zu essen, und das trotz der Tatsache, dass es sich wahrscheinlich (soll heißen: definitiv) nicht um echten Käse handelte. Selbst meine natürliche Scheu vor Milchprodukten wurde kurzerhand außer Kraft gesetzt, als ich das orangenscheibengroße Käsestück mit dem Klumpen braunes Etwas auf meinen gefrorenen Sandwichscheiben verglich. Das einzige, woran ich denken konnte, war die Tatsache, dass die Sandwiches hier mit Majo statt mit Senf serviert wurden. Ist denn Senf wirklich so viel teurer als Majo?, fragte ich mich.

Es gab in der Zelle nur drei Turnmatten, die zum Schlafen verwendet wurden. Die sind hier extrem wichtig, weil sie das einzige Mittel sind, dein Essen aufzutauen. Auf denen zu liegen war fast so, als würde man sich als einziger in einem Kingsize-Himmelbett aalen, während sich die anderen neben dir gerade ihren Rücken auf Luftmatratzen kaputt machen. Du beginnst dich nach schäbigen Turnmatten zu sehnen, wenn du 24 Stunden lang versucht hast, auf einer kalten Bank zu liegen. Ich besaß leider keine Turnmatte; ich fiel in Ohnmacht, als ich zum ersten Mal die Zelle betrat, was meine Street Credibility dermaßen beschädigte, dass ich jeden Anspruch auf eine Turnmatte unwiderruflich verwirkte. Die Methadon-Frau besaß eigentlich auch keine, aber für die Sandwichzubereitung wurden ihr dennoch zwei anheimgestellt. Sie legte das gefrorene Essen zwischen die beiden Matratzen und machte dann einen fulminanten Bauchklatscher. Wenn die Heizungen hier nicht funktionieren, ist Körperwärme die einzige Möglichkeit, dein Sandwich essbar zu machen. Dann dämmerte sie hinüber, während sie auf ihren Matratzen und Glutenspeisen thronte. Ich hingegen begann, von essbaren Sandwiches in der freien Welt zu träumen.

Als sie schließlich aufwachte, starrte ich immer noch eine leere Box Corn Pops an, die in der Resteecke gelandet war. Die Corn Pops kamen heute morgen zum Frühstück rein. Und da der Wärter jedes Festmahl zu festen Zeiten verteilt und ich dieses spezielle Frühstück leider verpasst hatte, kam es dazu, dass ich plötzlich eine Lust auf Cornflakes verspürte wie noch nie zuvor. Als sie jedes einzelne Sandwich auspackte, dämmerte mir langsam, dass ihre vier Sandwiches nicht nur den bloßen Zweck des Hungerstillens erfüllen sollten. Ich saß im Schneidersitz auf dem Boden und sah ihr dabei zu, wie sie in einer Tour abtrat und dann wieder zu sich kam. Sie erzählte mir von ihrem Freund (der auch verhaftet worden war) und von den Drogen, die sie genommen hatte, bevor sie hierher gebracht wurde. Sie meinte, ich könnte ein paar Kilos mehr auf den Hüften gut vertragen. Das Eis zwischen uns war endgültig geschmolzen. Für das Auspacken eines Sandwiches brauchte sie 15 Minuten, da sie zwischendurch immer wieder vom Methadonnebel eingeholt wurde. Dann kam der große Moment für die Majonnaise. Der Wärter hatte in der Zwischenzeit 12 Majopäckchen, zwei Milchkartons und ein paar Blätter Toilettenpapier gebracht. „Schätzchen, ich war drei Tage lang ausgesperrt und habe nichts gegessen. Die Sandwiches hier sind echt lecker", meinte sie. Ich ließ mir nichts vormachen, war aber dennoch bereit, etwas dazuzulernen.

Sie nahm vorsichtig die Käsescheibe aus jedem Sandwich raus und baute einen Käseturm auf zwei Brotscheiben. Alles, an das ich denken konnte, war ihre lautstarke Kloperformance von vorhin sowie das, was dieses Essen noch so anrichten könnte. Nachdem sie die einzelnen Käsescheiben auf ihre frisch aufgetauten Brotscheiben legte, begann sie, jedes einzelne Majopäckchen auf den leeren Brotscheiben auszuleeren. Jedes. Einzelne. Päckchen. Es gab jetzt mehr Majo und Käse als Brot.

Pro Zelle gibt es nur einen Mülleimer. Nachdem die Sandwichsituation gründlich evaluiert wurde, war das Fazit, dass noch Käse fehlte. Darum griff sie forsch in den Mülleimer und zauberte noch drei weitere Sandwiches hervor. Der Käse aus diesen leichtfertig zurückgewiesenen Sandwiches wurde zu der wackligen Käseburg hinzugefügt. Nun war es an der Zeit zu essen. Ich schaute ihr dabei zu, wie sie durch die Zelle wanderte, aß, einschlief, während sie ihre Finger mit Majo vollschmierte und ordentlich Milch verschüttete.

Dasselbe Szenario konnte ich vor dem Ende meines Gefängnisausflugs noch ein paar Mal bewundern. Käse und Majo können mit einem Mädchen die verrücktesten Sachen anstellen. Ich habe ihrer Kreation am Ende nie eine Chance gegeben und stattdessen zum Abendessen ein normales Käsesandwich bevorzugt. Es war genauso wenig überzeugend wie die Erdnussbutter-Honig-Kombo. Als ich endlich freigelassen wurde, ging ich schnurstracks nach Hause und bestellte mir eine große Pizza, Pommes, Mozzarella-Sticks und Zwiebelringe. Auf Majo verzichtete ich hingegen nur allzu gerne. Dann galt meine ganze Aufmerksamkeit nur noch der klebrigen und fettigen Käsebombe vor mir, die ganz ohne Körperwärme auskam. Es war wie der Himmel auf Erden. Ich weiß aber ehrlich gesagt nicht, ob ich ein stinknormales Käsesandwich jemals wieder mit den gleichen Augen anschauen kann.