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Verschwörungstheorien

Wie die "Strahlenmafia"-Theorie einen Ex-Lehrer zum Mörder werden ließ

Weil er schwul sei, sollen sie ihn verfolgt haben. Am Ende überfuhr er wahllos eine Frau. Vor Gericht sagte der Mann: "Ich wollte einfach töten."
Montage: VICE || Wohnzimmer: imago | Westend61 || Strahlung: imago | Science Photo Library

Reichsbürger schießen auf Polizisten, Chemtrail-Gläubige versuchen, mit Laserpointern Flugzeuge vom Himmel zu holen, und Paranoide überfahren ihre Mitmenschen, weil sie Angst vor der "Strahlenmafia" haben. Nicht nur Verschwörungen, sondern auch Verschwörungstheorien töten Menschen. Das zeigt ein aktueller Fall aus Nordrhein-Westfalen. Ein 57-jähriger Mindener hat am Montag den Mord an einer ihm bis dahin unbekannten Frau gestanden. Der Mann habe sein Opfer überfahren, um sich an der Strahlenmafia zu rächen. Vor dem Landgericht Bielefeld sagte er: "Man hat das Recht, sich zu wehren."

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Wie die dpa schreibt, will der ehemaliger Lehrer zuvor 20 Jahre lang jede Nacht von Unbekannten attackiert worden sein – mit unsichtbaren Strahlen. Die Folge: Nicht nur Schlaflosigkeit und Herzrasen hätten ihn geplagt, im Februar 2017 sei bei ihm Darmkrebs diagnostiziert worden. Bei der Befragung durch den Richter gab sich der Mann sicher: Nicht etwa Paranoia oder ein anderes psychisches Leiden sei für seine Probleme verantwortlich gewesen, sondern die "Strahlenmafia". Die hätte ihn wegen seiner Homosexualität angegriffen. Als er am 7. Dezember vergangenen Jahres in sein Auto stieg, habe er sich rächen wollen.

Nach eigener Aussage sei er erst ziellos durch die Gegend gefahren und habe nach einem Opfer Ausschau gehalten. Der Mann habe geplant, die ominöse Mafia zu schwächen, sagte am Montag: "Ich wollte einfach töten." Die 53-jährige Fußgängerin, die er dann auf der Straße erblickte, habe er nicht gekannt. Der Fahrer gab Gas, die Frau flog nach dem Aufprall 30 Meter weit, schreibt der WDR, und blieb schwerverletzt auf einem Feld liegen. Drei Monate lang lag die Frau im Koma, bevor sie im März an den schweren Verletzungen verstarb.

Die Todeszahl der Irrfahrt hätte noch viel höher ausfallen können. Der Angeklagte will zuvor noch weitere mögliche Opfer ausgemacht haben, doch eine Gruppe Kinder, die an einer Bushaltestelle wartete, sowie zwei Jogger habe er verschont. Nach einer Begegnung in einer Sauna will er gewusst haben, "dass die Mitglieder der Mafia im mittleren Alter sind".

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Was steckt hinter der Theorie von der "Strahlenmafia"?

Die Anhänger und Anhängerinnen der "Strahlenmafia"-Theorie organisieren sich in Internet-Foren und auf Blogs. Dort verbreiten sie die These, dass der Staat oder unbekannte Mächte "neue psychophysische Waffensysteme" an den Menschen testen wollen würden. Von der Mikrowelle über Funkmäste bis zur Strahlenkanone könne die Mafia dabei alles Mögliche als "Waffe" einsetzen. Die Opfer seien – je nach Auslegung der Theorie – nur einzelne Menschen oder gleich ganze Staaten, die durch die Strahlen kontrolliert und geschwächt werden sollen.


Unsere Kollegen aus Großbritannien haben eine Doku über das Thema gedreht:


Es gebe auch einen Verein, der sich gegen Mikrowellenfolter einsetzt, schreibt Giulia Silberberger gegenüber VICE. Silberberger ist die Geschäftsführerin des "Golden Aluhuts". Die Berliner Initiative will über Verschwörungstheorien aufklären.

Der Mindener Todesfahrer konnte nicht rechtzeitig von seiner gefährlichen Theorie abgebracht werden. Mitleid mit seinem Opfer habe er zunächst nicht gehabt, erklärte er auf Nachfrage des Gerichts. Dennoch sagte er: "Der Tod der Frau war nur eine suboptimale Lösung." Anders als von ihm erhofft seien seine Schlafprobleme nach der Tat nicht verschwunden.

Die Frage, ob der 57-Jährige schuldfähig ist, ist noch offen. Er war in der Vergangenheit bereits in psychiatrischer Behandlung.

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