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Fridays for Future

Christian Lindner hat sich gerade selbst zur Karikatur eines alten Sacks gemacht

Fresher Move, Chrissi!
Christian Lindner und demonstrierende Schüler
Montage: VICE || Christian Lindner: imago | photothek || Schüler beim Klimastreik: imago | 7aktuell

"Schulranzen verändern die Welt. Nicht Aktenkoffer." – Christian Lindner, 2017

"Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis." – Christian Lindner, 2019

Der erste Spruch passt sehr gut zu dem Image, das Christian Lindner im Bundestagswahlkampf 2017 von sich verbreiten wollte: jung, dynamisch, zukunftsorientiert. Damit holten die Liberalen damals auch immerhin 10,7 Prozent – und hätten es fast in die Regierung geschafft. Seitdem ist allerdings viel passiert: Lindner selbst ließ die Koalition mit CDU und Grünen platzen, in den Umfragen erreicht die FDP seitdem nur noch 8 Prozent, und die Grünen haben ihre Werte in derselben Zeit mindestens verdoppelt.

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Was bei Lindner offenbar eine solche Panik ausgelöst hat, dass er sich schon seit einer Weile nach einem neuen Image umschaut. Jetzt hat er es anscheinend gefunden – weg von jung und dynamisch, hin zu: alter, meckernder Sack.

Anders lässt sich nicht erklären, was er in der Bild am Sonntag zu demonstrierenden Schülern zu sagen hatte, die seit Wochen für eine bessere Klimapolitik freitags auf die Straße statt in die Schule gehen. Erstens: Schwänzen ist nicht cool, m'kay? Und zweitens: Klimaschutz ist eh eine Sache für Profis, als Schüler sollte man sich lieber erstmal über "physikalische und naturwissenschaftliche sowie technische und wirtschaftliche Zusammenhänge informieren" – und zwar, indem man in der Schule bleibt.

Die Lindner-Kombi: Dumm, dafür aber extrem arrogant

Für die Aussage wird der FDP-Chef jetzt gründlich verarscht – mit vollem Recht. Denn was Lindner da redet, ist aus einer ganzen Reihe von Gründen wahnsinnig arrogant – und vor allem ziemlich dumm. Hier mal drei davon:

1. Es ist undemokratisch.

Niemand muss ein "Profi" sein, um sich politisch zu engagieren (das müsste Lindner eigentlich wissen, schließlich ist er Politiker). Klar ist Klimaschutz ein komplexes Thema, aber das sind eigentlich alle politischen Themen. Zu verlangen, jeder müsse erstmal eine Prüfung ablegen, bevor er sich für irgendwas engagiert, widerspricht nicht nur dem gesunden Menschenverstand – sondern eigentlich auch dem Grundsatz der Demokratie. Aber da hat Lindner in der Schule vielleicht nicht so aufgepasst.

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Auch auf VICE: Noch mehr junge Leute, die einfach nicht gehorchen


(Einschub: Das besonders Witzige daran, dass ausgerechnet Lindner mit so einem Alter-Sack-Spruch um die Ecke kommt, ist ja das: Als 18-Jähriger hatte er in einem berüchtigten Fernsehbeitrag noch selbst damit angegeben, er säße seine Zeit in der Schule nur ab, sein eigentliches Ziel sei es, "die Welt zu verbessern" – aber eben nicht durch Demos für bessere Klimapolitik, sondern indem er irgendwelchen Firmen "PR-Konzepte" andrehte, um sich einen Porsche zu kaufen. Jetzt findet er, dass Leute, die die Welt wirklich verbessern wollen, lieber besser in der Schule aufpassen sollen.)

2. Es ist kontraproduktiv.

Alle Politikerinnen und Politiker reden immer davon, wie wichtig es sei, dass junge Menschen sich engagieren. Lindner fordert das auch, nur um kurz darauf zu sagen, dass er nicht viel davon hält: "Ich finde politisches Engagement von Schülerinnen und Schülern toll", sagt er. Aber eben nicht in der Unterrichtszeit, nicht so, dass es irgendjemandem auffällt!

3. Es ist krasser Unsinn.

Klimaschutz, sagt Lindner, ist "eine Sache für Profis". Dumm nur, dass die "Profis" – also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – den Streik der Schüler ausdrücklich unterstützen. Am Dienstag werden mehr als 700 Forscherinnen und Forscher ihre Petition vorstellen und darin erklären, dass die Forderungen der Schüler "berechtigt und gut begründet" seien, weil die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz "bei Weitem" nicht ausreichten.

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Der hier verlinkte Mann arbeitet übrigens beim Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. Ein Profi, sozusagen.

Sic tacuisses, fresh mansisses (Latein für: Hättest du geschwiegen, würden jetzt nicht alle über dich lachen, weil du ein missgünstiger alter Sack im Körper eines jungenhaften Strebers bist)

Das ist es, was an Lindner Aussage so wütend macht: Wenn es darum geht, den Klimaschutz politisch voranzubringen, versteckt er sich nämlich gerne hinter der Plattitüde, die "Debatte" würde er "den Wissenschaftlern" überlassen.

Dabei haben "die Wissenschaftler" ihre Debatte schon längst abgeschlossen – das Ergebnis: Die einen verlassen ihre Lehrstühle, um in Ruhe in den Bergen auf die Apokalypse zu warten, die anderen rennen schreiend im Kreis, wedeln mit den Armen und versuchen, die Menschheit noch irgendwie zu einer Kursänderung zu bewegen. Dazu empfehlen sie auch sehr konkrete Maßnahmen – die dann aber eben unsere Anführer, also die Politikerinnen und Politiker, umsetzen müssten.

Deshalb streiken die Schüler: Weil sie wollen, dass Politiker wie Lindner diese Maßnahmen jetzt endlich angehen.

Lindner hat da aber offensichtlich keinen Bock zu. Er will kein Politiker für die Zukunft sein. Er will ein alter Sack sein, um alten Wählern zu gefallen. Soll er machen. Aber dann darf er sich nicht wundern, wenn junge Menschen ihn und seine Partei auch genau so behandeln.

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